Sex-Foul gegen Taurus-Skeptiker?
Militärexperte befeuert im Bild-Talk Gerüchte: Putin könnte Sexvideos von deutschen Politkern haben. Wären sie damit erpressbar?
Wer will sich deutsche Spitzenpolitiker und Ministerialbeamte beim Sex vorstellen? – Auf solche Befindlichkeiten nimmt der Bundeswehr-Professor und Militärexperte Carlo Masala keine Rücksicht, wenn es darum geht, vor der russischen Gefahr und aus seiner Sicht falschen politischen Entscheidungen in Deutschland zu warnen.
Mit dem Vize-Chefredakteur der Bild, Paul Ronzheimer, sprach Masala in einem Podcast über die Taurus-Abhöraffäre der Bundeswehr und die Frage, warum Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern will.
Was sagt der Subtext über Taurus-Skeptiker?
Natürlich unterstellte er Scholz oder anderen Taurus-Skeptikern nicht direkt, vom russischen Geheimdienst mit sexuellen Schweinereien erpresst zu werden. Als unbewiesene Tatsachenbehauptung wäre dergleichen justiziabel und auch für Gutverdienende nicht ganz billig. Entsprechendes Geraune könnte aber durchaus kalkuliert gewesen sein.
Zunächst wird im Podcast über das Sicherheitsleck während der Taurus-Besprechung hoher Luftwaffenoffiziere gesprochen, über Bequemlichkeit und Naivität in Sicherheitsfragen – und darüber, welche Priorität Deutschland für den russischen Geheimdienst hat.
Sexuelle Erpressung als Waffe im Psycho-Krieg?
Masala schätzt sie sehr hoch ein: Er sieht Deutschland "im Zentrum dieser Operationen". Dann fragt ihn Ronzheimer, was Russland nach seiner Einschätzung über "unsere Politiker" und "bestimmte Ministeriumsmitarbeiter" weiß. Es werde ja viel über "sogenannte Kompromate" spekuliert, fügt Ronzheimer hinzu; also über belastendes Material, das die Betroffenen erpressbar mache.
"Es ist ja halt auch bekannt, dass Russland in Russland selber versucht, mit Kompromaten zu arbeiten – und da geht es bei Männern vor allen Dingen um Sex. Also Frauen, die Sex mit denen haben und dabei dann irgendwie gefilmt werden." Er gehe davon aus "dass es natürlich Kompromate gibt"; und zwar "über Politiker, Ministerialbeamte, weiß der Teufel was".
Natürlich würden auch psychologische Profile erstellt, "um zu wissen, wo sind die verwundbar, wo sind die verletzbar, wo kann man da reingrätschen, um sie letzten Endes zur Mitarbeit zu gewinnen", ist Masala überzeugt. "Und da werden auch Aktivitäten entwickelt worden sein."
Sex-Clickbaiting, Waffenlieferungen und politische Spiele
Dass die Bild solche Aussagen gerne mal zuspitzt, dürfte Masala auch bekannt gewesen sein: "Top-Militärexperte warnt: Hat Putin Sex-Videos von deutschen Politikern?"
Ronzheimer wählte als Teaser auf seiner Seite "Hat Putin deutsche Politiker in der Hand?" – und im Dialog mit Masala im Podcast "Ronzheimer." geht es kurz nach diesen Spekulationen rein zufällig um das "Machtwort" des Kanzlers gegen die Taurus-Lieferung. Die besondere Effektivität der bunkerbrechenden Waffe wird in dem Gespräch mehrfach betont, obwohl auch Masala einräumt, dass sie "kein Gamechanger" wäre.
Später im Podcast hebt Masala dann auch innenpolitische Motive für die ablehnende Haltung von Scholz hervor: Der Kanzler nutzt aus seiner Sicht die Angst vor einer Ausweitung des Krieges zum Stimmenfang.
Der Subtext der Spekulation über Kompromate bleibt dennoch im Raum stehen: Wenn politische Entscheidungsträger anderer Meinung sind als Ronzheimer und Masala, könnten sie Dreck am Stecken haben, mit dem sie erpressbar sind, und damit zum Werkzeug des russischen Präsidenten geworden sein. Nichts Genaues weiß mach nicht.
Evolution des Kompromats: Was macht heute noch erpressbar?
Davon abgesehen steht natürlich die Frage im Raum, mit welcher Art von Sex Politiker in der westlichen Welt heute noch erpressbar sind. Seit der berüchtigte FBI-Chef J. Edgar Hoover im letzten Jahrhundert mit Kompromaten sein Unwesen trieb, hat sich doch einiges liberalisiert. Auf diesen Vorzug des Westens würden Ronzheimer und Masala bei anderen Gelegenheiten auch nicht ohne Stolz verweisen.
Einvernehmlicher Sex mit erwachsenen Frauen taugt schon seit vielen Jahren kaum noch als Kompromat – selbst ein konservativer Politiker wie Horst Seehofer (CSU) konnte sich 2007 zu einem unehelichen Kind bekennen, ohne dass es seiner Karriere ernsthaft geschadet hat. Er wurde im Jahr darauf bayerischer Ministerpräsident und 2018 Bundesinnenminister.
Auch Paul Ronzheimer selbst, laut Wikipedia-Eintrag "offen schwul lebend" und Vize-Chef einer nicht gerade progressiven Redaktion, ist ein Beispiel für die Liberalisierung der letzten Jahrzehnte.
Die Frage ist, ob heute die Angst vor dem Ärger mit dem Partner oder der Partnerin nach einem Seitensprung ausreicht, um als Politiker, Militärexperte – oder auch als einflussreicher Journalist – gegen die eigene Überzeugung für eine fremde Macht zu arbeiten. Müsste ein Kompromat dafür nicht viel unappetitlicher sein oder sogar Strafbares beinhalten?
Verengte Möglichkeiten – in Russland wie im Westen
Umso infamer wäre natürlich die direkte oder indirekte Unterstellung, Putin habe jemanden mit Sexvideos "in der Hand". Denn um auszuschließen, dass Betroffene das einfach zu Hause mit Beichte und Blumen regeln – und dann vielleicht den Erpressungsversuch den Behörden melden – müsste es im Grunde um sexualisierte Gewalt oder um Minderjährige gehen.
Was aber wäre die Folge, wenn einem der "Guten", die sich für jede mögliche Waffenlieferung ausgesprochen haben, sexualisierte Gewalt vorgeworfen wird? Würde die Frau, die diesen Vorwurf erhebt, dann als Kreml-Agentin verdächtigt?
Und was ist überhaupt mit der anderen Seite? - Ist die "Methode Hoover" inzwischen für US-Geheimdienste tabu? Würde der Bundesnachrichtendienst so etwas nie tun, oder hat die sexuelle Liberalisierung im Westen nur die Möglichkeiten verengt?
Putin jedenfalls hat es bisher auch in Russland nicht geschadet, dass westliche Medien immer wieder über Affären und heimliche Kinder berichteten, die er mit einer ehemaligen Spitzensportlerin gezeugt haben soll. Vielleicht wird er dafür von konservativen Macho-Männern sogar heimlich bewundert.