Sexsites weiter voll "auf Sendung"

Die umstrittenen Regelungen zum Jugendschutz im Netz sind vorläufig auf Eis gelegt

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Wider Erwarten bleibt der Jugendschutz in den Medien weiter Stückwerk mit wild konkurrierenden Bestimmungen und Prüfungsgremien beim Bund und bei den Ländern. Damit sind auch Pläne zur Einführung eines allgemeinen Ratings von Webangeboten und einer Art "Sendezeitbegrenzung" für Anbieter heißer Ware im Internet zunächst wieder hinfällig. Einspruch gegen die nach harten Verhandlungen aufgestellten Eckpunkte haben in letzter Sekunde die Bayern eingelegt, denen der Bund sich noch zu viele Mitspracherechte vorbehalten hatte. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Eigentlich wollten die Rundfunkexperten der Länder bei ihrem Treffen am gestrigen Dienstag in Hamburg bereits den jüngsten Entwurf für einen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) in eine abschließende Form bringen. Doch der gesamte Zeitplan für die groß angelegte Operation Jugendschutz (Operation Jugendschutz) ist wegen grundsätzlicher Vorbehalte Bayerns gegen die Rollenverteilung zwischen Bund und Ländern erneut durcheinander gewirbelt worden (Sendezeitbegrenzung für Sexsites soll Option bleiben).

"Der Vertrag kann unter den gegebenen Umständen so nicht mehr realisiert werden", erläuterte Hans-Dieter Drewitz, Ministerdirigent in der federführenden rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, gegenüber Telepolis. Die Verhandlungen über Wege zum jugendfreien Internet seien vertagt worden.

Dass die Bayern nach langen Gesprächen doch noch "ein Haar in der Suppe gefunden hatten", wie Drewitz sagt, kam für viele Medienexperten überraschend. Die Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder hatten sich Ende November mit dem Chef des Bundeskanzleramts, Frank Walter Steinmeier, über "Eckpunkte einer Neuregelung des Jugendschutzes in den Medien" prinzipiell geeinigt, wie Regierungssprecher damals bestätigten.

Planmäßig hätten die Ministerpräsidenten bei ihrem vorweihnachtlichen Treffen mit dem Bundeskanzler am 20. Dezember das Papier nur noch absegnen sollen. "Es war alles abgestimmt", erinnert sich Hans Ernst Hanten, Ministerialdirigent beim Kultur- und Medienbeauftragten Julian Nida-Rümelin im Kanzleramt.

Torpedo aus München

Auf Drängen Bayerns wurde der entsprechende Punkt allerdings von der Tagesliste abgesetzt, wie jetzt bekannt wurde. "Die Eckpunkte hätten die Verwischung der Zuständigkeitsgrenzen beibehalten", begründet Hansjörg Kuch, Leiter der Mediengruppe der Bayerischen Staatskanzlei, das plötzliche Veto aus München. Generell sollten dem Papier zufolge zwar "die Länder den Jugendschutz über den Rundfunk und die Mediendienste hinaus in allen elektronischen Online-Medien umfassend neu regeln" und eine gemeinsame "Kommission für Jugendmedienschutz" (KJM) als zentrale Aufsichtsstelle einrichten.

Der Dorn im Auge der Bayern war laut Kuch allerdings, dass mit der etablierten Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BpjS) weiterhin eine nicht den Ländern unterstellte Behörde über die Indexierung von Inhalten in Online-Medien mit Ausnahme des Rundfunks wachen sollte. "Dadurch hätte die ganze Aktion keinen Sinn gemacht", findet Kuch. Bei der Aufsichtsfrage sei eine "klare Trennung" der Befugnisse nötig.

Nicht nur in der Erotikindustrie, die sich bereits mit zahlreichen Auflagen zum Einrichten von technischen Vorsperren und "Sendezeitbegrenzungen" konfrontiert sowie ins Ausland abgedrängt sah (Scharfe Kritik an der geplanten Neufassung des Jugendschutzes), ist nach dem Scheitern der Absprachen zunächst Aufatmen angesagt. Auch Holger Päsler, stellvertretender Vorsitzender der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM) begrüßt, dass der "Kuhhandel" zwischen Bund und Ländern von der Minister-Kanzler-Runde nicht abgesegnet wurde. Das Eckpunktepapier sei "mit heißer Nadel gestrickt gewesen", während das wichtige Thema Jugendschutz nach einer ausführlicheren Diskussion verlange. Die FSM hatte ähnlich wie andere Selbstkontrolleinrichtungen und Medienverbände vor allem die geplante "staatliche Zertifizierung" von Wirtschaftsinitiativen zur Säuberung des Netzes von jugendgefährdenden Angeboten und die geforderten Rating-Maßnahmen als "Vorzensur" abgelehnt.

Schachzug als Ausgangspunkt weiterer Verschärfungen?

Dass Bayern den nach mehreren Monaten von den Medienregulierern bei Bund und Ländern gestemmten Kraftakt letztlich wegen einer Lappalie platzen ließ, gibt Beobachtern in Berlin allerdings zu denken. Schließlich kommen gerade aus München mit schöner Regelmäßigkeit Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendschutzes im Netz. So hatte die bayerische Familienministerin Christa Stewens (CSU) Mitte Dezember noch moniert, dass die "Laissez-faire-Haltung" mancher Internetfirmen "nicht länger akzeptabel" sei. Deshalb müsste die Aufsicht über den Jugendschutz in unterschiedlichen Rundfunk- und Mediendiensten in einem gemeinsamen Aufsichtsgremium auf Länderebene zusammengefasst werden.

Genau diesen Weg hätte das Eckpunktepapier trotz der Restbefugnisse der Bundesprüfstelle geöffnet, was das Scheitern der Reform rätselhaft macht. In Abgeordnetenbüros von Netzpolitikern wird nun über eine "Finte" Bayerns und anderer Unions-geführter Länder spekuliert, die diesen in zukünftigen Verhandlungen mit dem Bund noch weitere Regulierungsbefugnisse in die Hände spielen soll. Ansonsten müsste sich Bayern den Vorwurf der "Doppelmoral" gefallen lassen.

In einzelnen Kultusministerien und Staatskanzleien wird ganz im Sinne der "Fintentheorie" denn auch offen die Frage aufgeworfen, ob der Bund den Ländern wirklich genug versprochen habe. Immerhin stehe ja ein Paradigmenwechsel beim Jugendschutz an und es würde trotz der Kritik der auf ihre Rechte pochenden Landesmedienanstalten ein Gremium geschaffen, das der Selbstkontrolle mehr Raum gebe, lässt der Rundfunkreferent eines östlichen Bundeslandes durchblicken. Dafür seien bislang nicht die gewünschten "Wechselspiele" durchexerziert worden. Dass die Abgabe der Kontrollbefugnisse dem Bund selbst bislang nichts weiter als rein nebulöse Zusatzkompetenzen beim Datenschutz bringen soll, ist in den Ländern dagegen kein Thema.

Der Reformfahrplan ist nun wieder gänzlich offen. Das Zeitfenster für eine unterschriftsreife Einigung noch in dieser Legislaturperiode schließt sich Mitte März, da danach in Berlin nur noch der Bundestagswahlkampf auf der Agenda steht. Nach dem 22. September könnten die Verhandlungen dann unter ganz anderen politischen Vorzeichen neu aufgenommen werden. Der Mainzer Rundfunkexperte Drewitz ist sich aber sicher, dass die alten Pläne "in der ein oder anderen Form" wiederkommen. Er werde sie jedenfalls "als Handakte auf dem Tisch halten und nicht ins Archiv geben."