Showdown in der Ostukraine
Ein russischer und ein ukrainischer Hilfskonvoi ist unterwegs in die Ostukraine, ein kleiner militärischer Konvoi aus russischen Militärfahrzeugen soll die Grenze überquert haben
Es macht den Eindruck, als würden die plötzlichen Hilfslieferungen aus Russland mit an die 280 Lastwagen und der Ukraine mit 19 oder auch 75 Lastwagen in die umkämpften Gebiete in der Ostukraine auf einen Showdown zulaufen. Zwei Konvois mit Hilfsgüter konkurrieren miteinander, nachdem lange den Kämpfen, der Flucht von Zehntausenden und dem Elend der Menschen, die zurückblieben oder dies mussten, zugeschaut wurde. Die Frage bleibt, ob der ukrainische Konvoi nach Lugansk von den Separatisten eingelassen wird und ob der russische Konvoi von Kiew erlaubt wird oder einfach über das von den Separatisten noch kontrollierte Grenzgebiet auf ukrainisches Territorium gelangt.
Die ukrainischen Streitkräfte sollen mittlerweile Lugansk völlig eingekesselt haben. Inzwischen soll nach Auskunft einiger Journalisten vor Ort ein weiterer russischer Konvoi, bestehend aus 23 Militärfahrzeugen die Grenze in der russischen Stadt Donezk überquert haben. Eine Invasion ist dies nicht, aber eine Provokation.
Dass irgendetwas geplant ist, lässt sich auch aus dem plötzlichen "Rücktritt" des auch bei Teilen der Separatisten umstrittenen Russen Igor Girkin (Strelkow) schließen, der zuletzt der "Militärchef" der Separatisten in der "Volksrepublik" Donezk war und nun andere Aufgaben übernehmen soll. An seine Stelle rückt ein bislang unbekannter Mann. Zwei weitere Führer, die Russen Alexander Borodai und Denis Puschilin, hatten sich schon zuvor abgemeldet. Auch der Chef der "Volksrepublik" Lugansk hat seinen Rücktritt wegen einer Verletzung erklärt. Entweder verlassen die Ratten das sinkende Schiff oder das Führungspersonal soll ukrainischer werden, um die Vorwürfe einer russischen Subversion zu entkräften, oder es wird mit neuer Führung angesichts der drohenden Niederlage eine neue Strategie geplant, wozu der Hilfskonvoi und auch der weitere Konvoi gehören könnten.
Der russische Präsident hatte gestern den Sicherheitsrat einberufen, seinen demonstrativen Besuch der Krim recht knapp gehalten und gesagt, die Ostukraine ertrinke in einem Blutbad. Er werde alle tun, um den Konflikt und das Blutbad zu beenden. Das ließe sich, so allgemein gesagt, womöglich auch als Drohung verstehen. Derweil fordert das russische Außenministerium einen "sofortigen Waffenstillstand", um die Hilfsmission ausführen zu können.
Die Lage für die Menschen in den umkämpften Gebieten, in denen es teils weder Strom noch Wasser gibt, ist schrecklich. Auch nach einem Bericht der ukrainischen Kyiv Post, die sich im Gegensatz zu den meisten ukrainischen und russischen Medien bemüht, neutral zu berichten, sind die Menschen hin und her gerissen, ob sie fliehen sollen oder sich lieber verstecken sollen. Kiew hat zwar erklärt, "humanitäre Korridore" geschaffen zu haben, um den Menschen eine sichere Flucht in von ukrainischen Streitkräften kontrollierten Gebiete zu verschaffen, aber diese werden offenbar auch immer mal wieder von diesen beschossen, während die Separatisten sagen, sie wüssten nicht, wo diese verlaufen würden. Ein paar tausend Menschen haben es in den letzten Tagen gewagt, diesen Fluchtweg zu nehmen. In Donezk mussten Menschen wegen der Kämpfe wieder umkehren. Wie immer werfen sich Separatisten und ukrainische Streitkräfte gegenseitig vor, die Straßen unter Artilleriefeuer zu nehmen.
Kiew war erst aufgewacht, als der russische Konvoi sich schon auf den Weg gemacht hatte, möglicherweise weil es bei offenbar stattgefundenen Gesprächen zu Missverständnissen auf beiden Seiten kam oder beide Seiten jeweils eigene Schlüsse darauf zogen. Während Kiew sich nicht blamieren lassen und die Kontrolle behalten wollte, hat Moskau nicht nur versucht, die Initiative zu übernehmen, um Solidarität mit den Menschen in der Ostukraine zu zeigen und Kiew als Kriegsführer zu blamieren, sondern den Konvoi wohl auch zu dem Zweck gestartet, um den lange geforderten Waffenstillstand indirekt durchzusetzen und damit vermutlich nicht nur den Zivilisten zu helfen, sondern auch den Separatisten Luft zu verschaffen.
Die Rolle des Roten Kreuzes steht stellvertretend für die neutralen Kräfte, die von beiden Seiten instrumentalisiert werden. Das ICRC mahnt, humanitäre Missionen nicht zu politisieren, aber das sind sie im Falle eines Krieges unweigerlich, weil sie in die Kriegsgeschehen eingreifen und einer Seite in der Regel mehr nutzen als der anderen. Gestern meldete das ICRC, man erwarte von der Ukraine und Russland praktische Details für den russischen Hilfskonvoi. Der ist mittlerweile nicht in die zunächst von Kiew vorgeschlagene Route Richtung Charkiw, sondern in die Region von Rostow gefahren, also zum von den Separatisten kontrollierten Grenzgebiet.
Das ICRC meldete vor wenigen Stunden, man habe erfahren, dass auch ein ukrainischer Konvoi losgefahren sei. Das ist offenbar ebenso wenig in Ansprache mit dem Roten Kreuz erfolgt wie die Abfahrt des russischen Konvois. Man befinde sich nun in Gesprächen, wie dieser Konvoi durchgeführt werden soll. Fast gleichzeitig wurde berichtet, dass man mit dem russischen Konvoi in Rostow in Kontakt getreten sei. Hier gebe es noch viele Fragen zu klären. Kiew wiederum scheint nun nicht mehr strikt gegen den russischen Hilfskonvoi zu sein, aber er müsse zuerst von ukrainischen Grenz- und Zolleinheiten unter Anwesenheit des ICRC untersucht werden.
Steve Rosenberg, ein Reporter der BBC, der dem Konvoi gefolgt war, berichtete, dass er nicht nur aus weiß übermalten Lastwagen besteht, sondern auch von Militärlastwagen begleitet werde. Er habe gebeten, in einen LKW schauen zu dürfen, wo er aber nur Schlafsäcke gesehen hat. Das berichten auch andere Journalisten, woraus Russia Today natürlich gleich eine Geschichte macht: Western media inspect Russia's Ukraine aid trucks and find... aid.
Aber beunruhigend sind etwa die Behauptungen von Roland Oliphant, einem Korrespondenten des Telegraph, der ebenso wie Shaun Walker vom Guardian beobachtet haben will, wie gepanzerte russische Militärfahrzeuge teils mit militärischen russischen Nummernschilden und angeschalteten Lichtern am Abend die Grenze überquert haben. Für Oliphant ist dies eine erste Bestätigung dafür, dass die Behauptungen stimmen könnten, dass Russland Waffen und Kämpfer zur Unterstützung der Separatisten schickt. Einen Zusammenhang mit dem Hilfskonvoi war für ihn nicht ersichtlich, der etwa 30 km vor der Grenze bleibt. Die Fahrer wüssten nicht, was geplant ist, für Oliphant machen sie den Eindruck, russische Soldaten zu sein.