Sicherheitspolitik nach dem Vorbild der USA
Bundesinnenminister Schäuble besetzt mit provozierenden Vorschlägen das Feld der inneren Sicherheit
Die Parlamentsferien haben begonnen und schon ist der alljährliche Run auf den ersten Platz im Besetzen der so genannten Sommerlochthemen angebrochen. Dabei kann Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vorerst als eindeutiger Gewinner gelten. Mit seinem Interview im Spiegel hat er ein Thema vorgegeben, das die Öffentlichkeit sicherlich noch in den nächsten Monaten beschäftigen und auch in den kommenden Wahlkämpfen eine wichtige Rolle spielen dürfte: die innere Sicherheit.
Dabei sind es nicht die einzelnen Vorschläge, die überraschen. Schließlich haben wir sie so oder ähnlich von Schäuble seit seiner Amtszeit immer wieder gehört. Das Neue an dem aktuellen Vorstoß ist die Formulierung eines neuen Sicherheitskonzepts, das seine Vorbilder in der Heimatschutz-Politik der USA nach dem 11.September 2001 hat.
Gezielte Liquidierung als letztes Mittel
Diesen Zusammenhang stellt Schäuble im Interview selber mehrfach her. „Man könnte beispielsweise einen Straftatbestand der Verschwörung einführen, wie in Amerika.“ Damit würde der heute schon bestehende Straftatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ausgeweitet. Statt bisher drei würden dann zwei Personen für eine solche strafbare Verbindung reichen.
Auch die Internierung und als letztes Mittel die gezielte Liquidierung von islamistischen Gefährdern ist keine Erfindung von Schäuble und seinen Spin-Doctors. Auch hier werden ganz eindeutig Anleihen bei der Anti-Terrorpolitik der USA nach dem 11. September genommen, die nicht im Verborgenen, sondern ganz offen praktiziert wird. Nur will im Prinzip auch in Deutschland niemand die genauen Einzelheiten wissen, wenn in Afghanistan mal wieder ein angebliches Al-Qaida-Versteck bombardiert wurde.
Einen großen Stellenwert in Schäubles Interview nimmt eine kleine Anzahl von Personen ein, die als islamistische Gefährder eingestuft werden. Dieser juristisch fragwürdige Terminus soll Menschen, oft aus dem arabischen Raum, klassifizieren, denen keine konkrete Straftat zugeordnet werden kann, die aber verdächtigt werden, sich an Anschlägen beteiligen zu wollen. Weil ihnen oft in ihren Heimatländern Folter oder die Todesstrafe droht, können sie nicht ausgewiesen und abgeschoben werden.
Hier bringt Schäuble wieder einen Vorschlag aus der Anti-Terrorpolitik der USA in die Diskussion. Diese Gefährder könnten Kämpfer eines Krieges eingestuft und als Kriegsgefangene interveniert bis dieser Krieg zu Ende ist In den USA wird von Bush und Co. seit dem 11.9.2001 von einem Krieg zwischen Islamismus und freier Welt gesprochen, der Jahrzehnte anhalten könne. Auch britische Politiker haben nach den fehlgeschlagenen Anschlägen Ende Juni von einem Krieg gegen den Terrorismus gesprochen, der bis zu 15 Jahren dauern kann. Solange könnte unter Umständen auch die Inhaftierung dieser Gefährder terminiert werden, wenn sie jemals wieder freigelassen werden. Sofort wurde dieser Vorschlag als mildere Form des US-Gefangenenlagers Guantánamo klassifiziert, wo den Inhaftierten der Status eines Kriegsgefangenen verwehrt wird.
Frontalangriff auf den Rechtsstaat
Die Reaktionen auf den Schäuble-Vorstoss kamen prompt. Claudia Roth von den Grünen nannte ihn einen „Frontalangriff auf den Rechtsstaat“. Der FDP-Sicherheitspolitiker Max Stadtler kritisierte vor allem, dass die Legitimierung der gezielten Tötung von Terrorverdächtigen mit rechtsstaatlichen Praktiken nicht vereinbar sei. Verschiedene SPD-Vertreter monierten, dass Schäuble mit seinem Interview ihre Partei als unsichere Kantonisten in der Sicherheitspolitik hinstellen wolle und sich das in einer Koalition nicht gehöre. Das Eingreifen der Kanzlerin wird von SPD-Seite gefordert. Dabei hat doch Angela Merkel schon kurz nach den Anschlägen in Großbritannien Schäuble eindeutig den Rücken gestärkt und die Aufhebung der Trennung von äußerer und innerer Sicherheit als überholt bezeichnet (Merkel: Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist "von gestern").
Etwas erstaunlicher ist die Reaktion des bayerischen Innenministers Günther Beckstein, der selber immer als Vertreter eines starken Sicherheitsstaats hervorgetreten ist. Er will die Vorschläge seines Berliner Kollegen erst überdenken, warnte aber davor, dass die Liquidierung von Terroristen nicht zum Regelfall werden dürfe. Auch die Gewerkschaft der Polizei ging zu Schäubles Plänen auf Distanz und warf dem Minister reine Parteipolitik vor. Die Versäumnisse liegen nach ihrer Auffassung weniger in der Schaffung von neuen Gesetzen als in den personellen und materiellen Möglichkeiten, die bestehenden umzusetzen. Auch der Deutsche Anwaltsverein warf Schäuble vor, rechtsstaatlich problematische und teilweise auch unpraktikable Vorschläge zu verbreiten.
Das Dilemma der Kritiker
Die scharfen Reaktionen auf das Schäuble-Interview waren natürlich eingeplant. Die oft in Frageform gehaltenen Einlassungen des Ministers sollten schließlich diese Debatte auslösen. Dass der Politiker auf diesem Gebiet zu punkten hofft liegt daran, dass er die wunden Punkte eines Großteils seiner Kritiker kennt. Schäuble fordert gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Politik, die teilweise bereits jetzt in einer gesetzlichen Grauzone praktiziert wird. Wenn jetzt einige Kritiker Schäuble vorwerfen, seine Vorschläge rütteln an völkerrechtlichen Tabus, dann müssten sie so konsequent sein, auch das Vorgehen der KSK-Mitglieder in Afghanistan mindestens ebenso zu klassifizieren. Wenn sie aber, wie große Teile der SPD, zu diesen Einsätzen schweigen und nur lauthals Schäubles verfassungsrechtliche Tabubrüche beklagen, sind sie schon in der Defensive.
Ob nicht auch Bundeswehrsoldaten in Afghanistan die nötigen Zieldaten liefern, damit das US-Militär diese gezielten Bombardierungen vermeintlicher Islamisten vornehmen kann, wird höchstens von der Linkspartei und der Antikriegsbewegung gefragt. Doch die Empörung auf Lafontaines polemische Frage, ob damit auch deutsche Soldaten zumindest Zuarbeit für den Terrorismus leisten, zeigt auch Grenzen eines Großteil der Schäuble-Kritiker. Bloß nicht darüber reden und die Dinge beim Namen nennen, lautet die Devise. Demgegenüber ist es gerade das Ziel des Schäuble-Interviews unter dem Stichwort „Rechtsgrundlagen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten“, den öffentlichen Diskurs der teilweise schon praktizierten Realität anzupassen.
Interessant ist dabei, wie Schäuble den Freiheitsbegriff eindeutig bei denen positioniert, die er als Kämpfer gegen den Terrorismus bezeichnet. So kann der Verfechter eines starken Staates gleichzeitig die Münchner Staatsanwaltschaft kritisieren, weil sie weiterhin auf die Festnahme jener CIA-Beamten besteht, die an der Entführung des Deutschlibanesen Khaled el-Masri beteiligt gewesen sein sollen. Dieses Insistieren der Justiz könnte schließlich die gute Zusammenarbeit der Geheimdienste beeinträchtigen.
Damit entwickelt der Minister eine Tradition weiter, in der die Freiheitsrechte nicht mehr als Abwehrmaßnahmen der Bürger gegen die Eingriffe eines starken Staats verstanden werden, sondern als das Recht des starken Staats, sich gegen unterschiedliche „Störer“ zu schützen. Das können Linke, Fußballfans oder eben aktuell Islamisten sein. Schäuble machte im Interview deutlich, wie fließend die Kategorien hier sind. Was gegen den vermeintlichen Hooligans recht ist, wird für den Islamisten billig sein.
Mit diesem Freiheitsverständnis kann Schäuble auf jahrzehntelange Vorarbeit diverser Bundesregierungen und ihrer Innenminister, die immer mehr zu Sicherheitsministern wurden, anknüpfen. Sein unmittelbarer Amtsvorgänger Schily war dafür ein gutes Beispiel. Er hat schon nach 2001 die Schutzhaft für Menschen, die als Terrorhelfer gelten, denen aber keine Straftat nachgewiesen werden kann und bei denen ein Abschiebehindernis besteht, in die Diskussion gebracht und wurde dafür heftig kritisiert. Er hatte auch die heimliche Online-Durchsuchung jenseits der gesetzlichen Grundlage genehmigt, was der Innenminister im Spiegel-Gespräch gleich mehrfach betonte.
Schäubles Anregung, solchen Gefährdern den Umgang mit Handys und Internet zu verbieten, ist seit 2004 gesetzliche Praxis. So heißt es in § 54 a des Aufenthaltsgesetzes:
Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, bestimmte Kommunikationsmittel oder -dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkung notwendig ist, um schwere Gefahren für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren.
Das scheint wohl sowohl Schäuble noch seinen Kritiker von der SPD Peter Struck entgangen zu sein. Schäuble warf diesen Vorschlag im Interview in die Diskussion und Struck entgegnete, ein solcher Vorschlag ließe sich nur in einem Überwachungsstaat durchsetzen.