Sicherheitspolitischer GAU

Vorbereitungen zur Sicherung der "islamischen Atombombe"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auf dem US-Kriegsschiff Peleliu im indischen Ozean bereiten sich US-Marines auf ihren Einsatz im Kriegsgebiet vor. Doch sie üben nicht nur für einen Einsatz in Afghanistan, auch das Nachbarland Pakistan könnte mögliches Einsatzziel sein. Die Militärplaner im Pentagon bereiten sich auf den möglichen Sturz des pakistanischen Präsidenten Musharraf vor. Die Marines hätten in diesem Fall aber nicht nur die Aufgabe, amerikanische Staatsbürger aus Pakistan zu evakuieren. Wie das US-Nachrichtenmagazin Newsweek1 berichtete, sollen die US-Militärs auch die pakistanischen Nuklearwaffen und andere bei der Atomwaffenproduktion hergestellte nukleare Materialien vor dem Zugriff Taliban-freundlicher Kräfte sichern.

Nukleare Horrorszenarien werden derzeit von verschiedenen Seiten ins Spiel gebracht. Osama bin Laden hat zuletzt am vergangenem Wochenende erklärt, dass er über nukleare und chemische Waffen verfügt. Er will diese einsetzen, sollte er mit eben solchen Waffen angegriffen werden. Wie ernst die Drohung bin Ladens zu nehmen ist, bleibt jedoch unklar.

Ganz anders ist die Lage in Pakistan. Mit dem ersten Atomwaffentest im Mai 1998 meldete sich Pakistan offiziell im Kreis der Atommächte. Was damals noch als regionaler atomarer Rüstungswettlauf zwischen Indien und Pakistan bewertet wurde, hat nun durch den Afghanistankrieg eine völlig neue Brisanz gewonnen. Schon 1998 wurde Pakistan verdächtigt, dem Irak nukleares Know-how angeboten zu haben. Irakische Offizielle bestätigten das Angebot, bestritten aber jede Zusammenarbeit. Die lange Jahre wohlwollende Haltung Pakistans gegenüber den Taliban nährt nun die Befürchtung, dass Nuklearmaterial aus Pakistan auf dunklen Kanälen nach Afghanistan gelangt sei.

Pakistanische Offizielle haben stets die Sicherheit ihres Atomwaffenprogramms betont. Auch die USA gehen davon aus, dass die nuklearen Einrichtungen derzeit militärisch ausreichend gesichert sind. Das Vertrauen der USA in die pakistanischen Militärs war noch 1989 groß genug, um die Lieferung von F-16 Kampfbombern an Pakistan zu genehmigen und politisch durchzusetzen. Die ursprünglich ohne die für Atombombenabwürfe notwendige Flugsoftware gelieferten F-16 soll Pakistan - CIA-Berichten zufolge - sehr bald nachgerüstet haben2.

Diese vertrauensvolle Haltung dürfte sich spätestens dann ändern, wenn die gegenwärtigen Proteste in Pakistan gegen die Haltung der Regierung zum Afghanistankrieg zum Sturz der pakistanischen Regierung führen. Der ursprünglich um Osama bin Laden geführte Konflikt im mittleren Osten könnte damit die Destabilisierung der ersten islamischen Atommacht zur Folge haben.

Im Falle eines Machtwechsels in Pakistan hin zu Taliban-freundlichen Kräften dürfte es nicht bei einigen US-Marines in Pakistan bleiben. Der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Logik folgend, müssten die USA auch solange gegen Pakistan zu Felde ziehen, bis eine atomare Bedrohung auszuschließen ist. Um eine solche Ausweitung des Krieges und zugleich eine atomare Eskalation zu verhindern, muss die gegenwärtige pakistanische Regierung oder dem Westen freundlicher gesonnenere Nachfolger unter allen Umständen gestützt werden.

Der Krieg zur Ergreifung Osama bin Ladens hat sich längst zu einem Krieg gewandelt, der den Umsturz der Talibanregierung in Afghanistan zum Ziel hat. Der US-Präsident George W. Bush hat zu Beginn dieses Wochenendes nochmals betont, dass jeder den Zorn Amerikas zu spüren bekäme, der sich nicht eindeutig gegen den Terror stelle. Die Taliban bekämen dies gegenwärtig besonders deutlich zu spüren.

Mit dem Krieg in dieser Region haben die USA in eine instabile Krisenregion eingegriffen und diese bislang sicherheitspolitisch weiter destabilisiert. Der nächste Brandherd könnte die Nuklearmacht Pakistan sein. Nichts ist daher so zwingend erforderlich, wie eine für die Zeit nach den Taliban notwendige Stabilisierung der gesamten Region.

Die Folgen sind eine dauerhafte politische, womöglich auch militärische Präsenz in der Region und eine weitsichtige und in regionalen Bündnissen tragfähige Politik jener Nationen, die sich heute in einer Allianz gegen den Terrorismus verbündet haben. Gegenwärtig ist nicht erkennbar, wer zu dieser Politik in der Lage ist.

Der Konflikt in Afghanistan, um dessen Unterstützung derzeit in Deutschland politisch heftig gerungen wird, hat eine weit größere geopolitische Bedeutung als das bloße Entsenden von Bundeswehrsoldaten. Dass diese Bedeutung den politischen Entscheidungsträgern hierzulande bewusst ist, läßt sich aus den Diskussionsbeiträgen bisher gewiss nicht folgern.

Jede Entscheidung von dieser Tragweite müsste auf einer umfassenden sicherheitspolitischen Analyse beruhen und politische Konzepte für die Zeit nach einer militärischen Intervention entwickeln. Staatspolitische Verantwortung entsteht nicht dadurch, dass man Soldaten in den Krieg schickt, sondern durch das Verfolgen langfristiger politischer Stabilitätsziele. Die amerikanische Politik hat für die sicherheitspolitischen Situationen, die auf des Messers Schneide stehen, den Begriff "brinkmanship" geprägt. Gemeint ist damit verantwortungsvolles politisches Handeln in Krisenzeiten. Für diesen Begriff gibt es keine deutsche Entsprechung. Das gegenwärtige politische Denken und Handeln lässt für eine derartige verantwortliche Politik auch keinerlei Ansätze erkennen.