Sicherheitszaun oder Apartheid-Mauer?
Zehntausende leiden bereits unter dem israelischen Mammutbau
Sicherheitszaun, die Wand, neue Berliner Mauer, Trennmauer, Apartheidwall - das israelische Großbauwerk im palästinensischen Westjordanland hat je nach dem politischen Standpunkt des Betrachters und der Betroffenheit der Leidtragenden verschiedene Bezeichnungen. "Sicherheit" ist das Schlagwort in Israel und es klingt vertrauenerweckend. Palästinensische Selbstmordattentäter sollen abgehalten werden. So werden auch erst mit einiger Verspätung, nach gut einem Jahr Bauzeit und der Fertigstellung des ersten Mauerabschnitts, die palästinensischen Argumente berücksichtigt.
"Der Zaun ist ein Problem", erklärte US-Präsident George W. Bush am letzten Dienstag. "Eine Nation kann auf ihrem Land eine Mauer bauen, wenn sie glaubt, dass dafür eine Notwendigkeit besteht", fügte sein Außenminister Colin Powell hinzu. "Aber im israelischen Fall befürchten wir, dass sich die Mauer durch das Land von anderen zieht." Powell, dem Satellitenaufklärung und andere Prüfmittel zur Verfügung stehen, "fürchtet", nimmt an. Eine schärfere Formulierung wagt die US-Administration nicht. Dabei sind die Vermutungen Powells bereits für Zehntausende Palästinenser harte Wirklichkeit.
Qalqilya im Norden des Westjordanlandes ist von einer acht Meter hohen, mit Wachtürmen bestückten Betonmauer umschlossen. Der einzige Zugang zu der palästinensischen Stadt und ihren 45.000 Einwohnern wird von israelischen Truppen bewacht. "Wir sind jetzt völlig eingesperrt", stellt Jamal Abu Ain trocken fest, "von Familie, Freunden und Geschäftspartnern außerhalb Qalqilyas abgeschnitten." Mittlerweile kommen auch die wenigen Leute nicht mehr, die eine israelische Genehmigung haben. "Wer nimmt schon freiwillig lange Wartezeiten und Schikanen an den Kontrollen auf sich?", fragt der Besitzer eines Computerladens. Die Mauer Qalqilyas ist der eindrücklichste Teil des Mammutbauwerks mit einer bisherigen Gesamtlänge von 145 Kilometern, einschließlich eines 22 Kilometer langen Teilstücks um Ost-Jerusalem (Jerusalem Envelope).
Ruhe wichtiger als Existenzsicherung
Die Dörfer und Kleinstädte im Umland Qalqilyas sind nun von ihrer Provinzhauptstadt abgeschnitten. Insbesondere Habla und Ras Atiya sind dem willkürlichen Verlauf der Mauer zum Opfer gefallen. Ursprünglich sollten beide Dörfer eine direkte Verbindung zur Stadt behalten, sich die Mauer südlich von ihnen in Richtung der israelischen Kolonie Alfei Menashe schlängeln.
Nach den Beschwerden der Bewohner Matans, einem Ort auf der israelischen Seite der Grünen Linie, dem Grenzverlauf zum palästinensischen Westjordanland, wurden die Pläne jedoch geändert. Da sich die Einwohner gegen das zu erwartende Verkehrsaufkommen durch Siedler auf dem Weg zu ihrer Kolonie Alfei Menashe wehrten, wurden die Mauerpläne einfach geändert. In Habla und Ras Atiya wird es nun ebenfalls ruhiger. Beide Orte sind in einer Tasche des Trennwalls eingeschlossen, Verkehrsberuhigung mit Gewalt. Auch von großen Teilen ihres Ackerlands sind die Bauern nun abgeschlossen. Das nutzen jetzt die Siedler aus Alfei Menashe.
Dieses Schicksal teilen viele Palästinenser im bisher umzäunten Gebiet von Dschenin über Tulkarem bis in den Süden Qalqilyas. Ein bis zu 50 Meter breiter Streifen mit elektronisch überwachten Gräben, Stacheldraht und stromgeladenen Zäunen zieht sich um ihre Dörfer, oft mehrere Kilometer von der Grünen Linie entfernt, und trennt sie von ihrem Land. Meron Rappaport spricht in einem Artikel für die israelische Zeitung Yedioth Achronoth von mehr als 30.000 Palästinensern, die durch den ersten Teil des Walls ihren Lebensunterhalt verlieren, weil ihre Felder nun auf der "'israelischen' Seite des Zaunes" liegen. "Das ist der fruchtbarste Teil des Westjordanlands", so Rappaport, "mit fast vierzig Prozent des Ackerlandes." Zudem sind nun leicht zu erschließende Wasserquellen auf israelischer Seite.
Die Behörden versprachen den Bauern anfangs noch die Einrichtung "landwirtschaftlicher Durchgänge", um zu ihren Feldern zu gelangen. Gebaut wurden diese Tore aber nicht. 13 Ortschaften sind darüber hinaus zwischen Wall und Grüner Linie eingepfercht, 11.700 Palästinenser ohne Zugang nach Palästina. Insgesamt zählt die israelische Menschenrechtsorganisation Btselem 210.000 Menschen, die vom Mauerbau betroffen sind - sei es durch Verlust von Land oder den Zugang zu Schulen, Krankenhäusern und Arbeit.
Dabei ist bereits die Bezeichung "Sicherheitszaun" irreführend. "Scharons Ziel ist nicht Sicherheit", so die israelische Friedensgruppe Gush Shalom. "Wäre das der Fall, wäre die Mauer nicht tief in palästinensischem Gebiet gebaut worden. Eine Mauer direkt auf der Grünen Linie hätte nur die halbe Länge und wäre deshalb viel besser zu sichern und kostengünstiger."
Alter Wein in neuen Schläuchen
Der endgültige Verlauf der Trennmauer ist zwar noch nicht offiziell. Nach Angaben der Foundation for Middle East Peace, die sich auf Informationsquellen aus dem israelischen Militär stützt, hat Israel vor, den Palästinensern nur (umzäunte) zwei Fünftel des Westjordanlandes zu überlassen. Zusammen mit Teilen des Gazastreifens bestünde das Gebiet für den künftigen palästinensischen Staat dann aus drei mehr oder weniger zusammenhängenden Einzelstücken sowie mehreren Enklaven. Gush Shalom kommt zu ähnlichen Ergebnissen.
Diese Aufteilung des Westjordanlandes ist nichts neues. "Ich habe den Ministerpräsidenten schon eine Weile nicht mehr gesprochen", sagte Ron Nahman, Bürgermeister der 40.000-Einwohner-Kolonie Ariel bei Nablus, gegenüber Meron Rappaport, "aber die Karte des Zaunes ist die gleiche, die mir Arik (Ariel Scharon) seit 1978 bei jedem seiner Besuche hier zeigte. Er erzählte mir, dass er seit 1973 darüber nachdachte."
Schon kurz nach dem Krieg von 1967 und der Besetzung der verbleibenden 22 Prozent des ehemaligen Mandatspalästinas legte der damalige Arbeitsminister Yigal Allon einen Plan zur Annexion der eroberten Gebiete vor. Matityahu Drobles, Chef der Siedlungsabteilung der Zionistischen Weltorganisation, und Ariel Scharon brachen dann die restlichen Tabus hinsichtlich der Lage künftiger Kolonialsiedlungen. Scharon organisierte nach dem Wahlsieg des Likud 1977 die jüdische Besiedlung der später zu annektierenden Landstriche im Westjordanland. Für die Palästinenser waren drei getrennte Kantone vorgesehen.
Internationale Naivität
Heute, 26 Jahre später, ist Scharon fast am Ziel. Ende nächsten Jahres soll der "Sicherheitszaun" fertiggestellt sein. Das trifft genau mit dem geplanten Ende der Road Map und damit der palästinensischen Staatsgründung zusammen. Die Menschen hinter dem Zaun dürfen sich dann, völlig von Israel umschlossen, selber verwalten. Ohne Zugang zu anderen Ländern. Ein Verwandtenbesuch von Bewohnern Ramallahs in Bethlehem setzt dann die Durchquerung israelischen Staatsgebiets und somit den Erwerb einer israelischen Genehmigung voraus, ähnlich dem System im Apartheid-Südafrika.
Die USA denken darüber nach, einen Teil der bereits zugesagten 9 Milliarden Finanzanleihen in Höhe der Kosten für den Mauerbau zu sperren - etwa 1,5 Milliarden Dollar für die am Ende 600 Kilometer lange Anlage. Den Verlust kann die rechte israelische Regierung sicherlich verschmerzen. Bereits die bisherige Militär- und Siedlungspolitik geht auf Kosten der Steuerzahler und der auf staatliche Unterstützung Angewiesenen. Diese protestieren zwar vereinzelt, stellen allerdings den Bezug zwischen den Kolonialbestrebungen ihres Landes und dem eigenen Elend nicht her.
Die Mauer ist ein "Problem" für die Gründung eines Palästinenserstaates, meint Präsident Bush und scheint auf ein Umdenken Scharons zu hoffen. Dessen Äußerungen für bare Münze zu nehmen ist für Gideon Samet aber blanke Naivität. "Scharon versprach, erst einmal nicht in problematischen Gebieten zu bauen", so der Haaretz-Journalist in seinem Kommentar zum US-Besuch des israelischen Premiers Ende Juli. "Herr Präsident (Bush), Sie haben Scharon zum Lachen gebracht. So täuscht er die Menschen schon seit Jahrzehnten."