Sieg der Rüstungsindustrie

Die Biowaffenkonvention droht in Genf ihre letzten Wochen zu erleben. Schuld daran sind wirtschaftliche Interessen und die Uneinigkeit der Europäischen Union

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Es waren nicht wenige Beobachter und beteiligte Experten, die das beharrliche Schweigen der Bush-Administration in Sachen Biowaffenkonvention in den vergangenen Monaten negativ ausgelegt haben. Seit dem gestrigen Mittwoch können sie sich im Recht fühlen. Die Vereinigten Staaten haben sich aus der "Verhandlungsrunde zur Stärkung der Biowaffenkonvention" zurückgezogen. Damit droht nach dem ABM-Vertrag und der Klimakonferenz in Bonn nun die dritte internationale Vereinbarung US-Interessen geopfert zu werden (USA lehnen Zusatzprotokoll zur Biowaffenkonvention ab).

Der Milzbranderreger Bacillus anthracis war nicht nur das erste Bakterium, von dem Robert Koch zeigen konnte, dass es Krankheiten verursacht, es ist auch noch immer der Lieblingsorganismus für Biowaffenhersteller. Die Bild sind Aufnahmen einer Anthraxkultur von Robert Koch, 1872

Schon in den vergangenen Monaten wurde die Blockadehaltung der USA immer deutlicher. Bereits bei seiner Rede zur Präsidentschaftskandidatur vor Parteifreunden hatte George Bush Bedenken gegen die Biowaffenkonvention geäußert. Die Verteidigung der Vereinigten Staaten müsse gewährleistet bleiben, sagte Bush. Trotz des seither steigenden Druckes hielt sich Washington bis zum gestrigen Mittwoch bedeckt. Die nun vorgebrachte Argumentation der US-Delegation in Genf ist einfach und erschreckend: Alle durch die Konvention möglichen Informationen über potentiell gegnerisches Material könnten ebenso von US-Sicherheitsinstitutionen in Erfahrung gebracht werden. Sich weiterhin der Konvention anzuschließen, hieße für die USA also nur, eigene Forschungsergebnisse preiszugeben.

In Genf macht sich nach der Ankündigung Resignation breit. Auch wenn sich eine solche Strategie abzeichnete, hofften einige der Beteiligten, dass es sich die USA nach Kyoto nicht erlauben würden, ein weiteres Abkommen platzen zu lassen. Zynisch klingt in Anbetracht der Entwicklung nicht nur der Titel der vierwöchigen "Sitzung zur Stärkung der Konvention", geht es doch eher um deren Rettung . Zynisch klang auch die Stellungnahme des Vorsitzenden der US-Delegation, Don Mahley, der erklärte, die Vereinigten Staaten sähen sich "außer Stande, den vorliegenden Text - auch mit Änderungen - zu unterstützen". Es waren gerade die USA, die in den vergangenen Monaten die erklärten Ziele zur Stärkung des Protokolls zunehmend verwässert hatten.

Bacillus anthracis Gram, Foto: Kenneth Todar, University of Wisconsin Department of Bacteriology

Mit dem befürchteten Rückzug der USA sind nicht nur sechs Jahre diplomatischer Vorarbeit entwertet, der gesamte globale Schutz vor biologischen Waffen ist bedroht. Eine Stärkung der Biowaffenkonvention wurde deswegen für nötig befunden, als das 1972 verabschiedete Dokument zwar die Herstellung, Verbreitung und Lagerung biologischer Kampfstoffe verbietet, zugleich aber keinerlei Maßnahmen vorsieht, dieses Verbot zu verifizieren. 1995 kam daher die Kommission mit dem Auftrag zusammen, eine entsprechende Änderung zu erarbeiten. Durch die Intervention der USA wurde erst im März dieses Jahres ein entsprechender Kompromisstext vorgelegt, in dem besonders die Verifikationsmechanismen stark relativiert wurden.

Washington gibt sich derweil - wie schon beim Rückzug von den Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls - keine Mühe mehr, den Eigennutz ihrer Politik zu verbergen. Erst Anfang dieses Monats hatte ein Experte des US-Außenministeriums vor dem Kongress erklärt, "dass die nationalen Geheimdienste durchaus in der Lage seien, verborgene Biowaffenpotentiale aufzudecken". Die Verhandlungen zur Stärkung der Konvention sollten stets von dieser Warte aus geführt werden. Die nun verfolgte Taktik erinnert an ein bekanntes Schema: Schon bei den Verhandlungen um die Chemiewaffenkonvention blockierten die USA, seinerzeit unter Bush senior, eine Stärkung des Abkommens, um in letzter Minute einen eigenen Vorschlag auf den Tisch zu legen. Dem schloss sich die Mehrheit der Involvierten in Anbetracht der ökonomischen Bedeutsamkeit der Vereinigten Staaten an.

Im Auswärtigen Amt ist in diesen Tagen über die Haltung der Bundesregierung nur wenig zu erfahren. Ähnlich verhält es sich bei den Experten der Fraktionen in Regierungsverantwortung. Während der sicherheitspolitische Sprecher der SPD, Gernot Erler, es in drei Tagen nicht schafft, von seinem Wahlkreisbüro die Frage nach dem Änderungsbedarf der Konvention aus Sicht der Bundesregierung, oder zumindest seiner Fraktion, zu beantworten, kam auch von der Abrüstungsbeauftragen der Sozialdemokraten, Petra Ernsberger, keine Antwort. Sie befinde sich derzeit auf einer "Sonnenscheintour durch kleine Dörfer", hieß es in ihrem Bundestagsbüro.

Ebola-Virus, Foto: F. A. Murphy, School of Veterinary Medicine, University of California, Davis

Ähnliche Erfahrungen musste auch Jan van Aken, Mitarbeiter im Sunshine-Project, einer internationalen Organisation zur Untersuchung der Risiken von Biowaffen, machen. Im Bundestag sei kaum eine Stellungnahme zu erhalten, einzig Heide Lippmann von der PDS-Fraktion zeige sich kooperationsbereit. "Eine besonders unrühmliche Rolle", beklagt van Aken, "nimmt Deutschland in der derzeitigen Konstellation ein." Während sich die EU-Staaten mehrheitlich dafür aussprächen, die Konvention auch ohne die USA weiterzuentwickeln, bestehe das Auswärtige Amt eben auf der Beteiligung Washingtons.

Hinter vorgehaltener Hand ist in Berliner Regierungskreisen jedoch zu erfahren, dass dem Papier schon vor der offiziellen Absage der USA keine große Chance mehr eingeräumt worden sei. Das im März nach US-Intervention vorgelegte Dokument habe "offensichtliche Mängel" aufgewiesen. Daher habe man die Wahl, die geänderte Konvention ohne die Etablierung der erklärten Ziele aber mit den USA zu akzeptieren oder die Verhandlungen abzubrechen. In letzterem Fall würde das Dokument seinen dreißigsten Geburtstag nicht mehr erleben. Die Europäische Union ist in der Wahl zwischen beiden Optionen offensichtlich gespalten.

Folgten auch die anderen Delegierten in Genf der vom Berliner Außenministerium favorisierten Linie, bliebe ihnen nichts anderes übrig, als bis zur fünften Überprüfungskonferenz Ende dieses Jahres die Biowaffenkonvention in der seit 29 Jahren gültigen Fassung fallen zu lassen und sich den Vorschlägen der USA anzuschließen. Diese zielen auf eine Reihe von Maßnahmen ab, die es den USA und einigen Verbündeten erlaubten, weltweite Kontrolle auszuüben. US-Verhandlungsführer Mahley forderte dafür eine Stärkung der "Australia Group", einem kleinen Kreis finanzstarker Industrienationen. Die Kooperation dieser Länder soll das globalere System der Vereinten Nationen ersetzen. Eben das böte aber die Möglichkeit, die Karre aus dem Dreck zu ziehen, wenn sich zumindest die EU-Staaten dazu aufraffen könnten, die Verhandlungen in der UN-Generalversammlung weiterzuführen. Für diese Art von Konventionen wäre das schließlich nicht außergewöhnlich.

An die Stelle einer solchen demokratischen Kontrolle droht nun aber eine auf die Sicherheitspotentiale der USA zugeschnittene und von ihnen ausgehende internationalen Kontrolle zu rücken. Sie würde auf dem Recht fußen, vermutete Gefahrenquellen mit Hilfe des weltumspannenden Militärnetzes zu zerstören. Die Aktionen würden sich einzig auf geheimdienstliche Erkenntnisse stützen. Fehlinformationen, die zu den Angriffen auf eine Pharmafabrik in Khartoum oder die Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad führten, sind zunächst nicht eingerechnet. Klar ist indes nur, dass ein sensibles System internationaler Kontrolle zerstört würde.

Eine solche Entwicklung im Auge hatten über einhundert internationale Organisationen. Bereits vor Beginn der Verhandlungsrunde in Genf veröffentlichten sie einen Appell an die internationale Staatengemeinschaft, die 1972er Konvention zu retten. Besonders in Anbetracht der rapiden Entwicklung der Biogenetik in den vergangenen zehn Jahre sei eine Stärkung der Konvention dringend notwendig. Auch der Einsatz von biologischen Kampfstoffen für den "friedlichen Einsatz", etwa zur Drogenbekämpfung, wird mit Besorgnis gesehen, da die Ziele der Konvention dadurch unterhöhlt würden. Hervorgehoben werden in der Petition zudem die fehlenden Kontrollmechanismen. Sie sollten im Zentrum der laufenden Verhandlungen stehen.

Civil society organizations call on all governments to reinforce the global ban on biological weapons

Biological warfare agents are a unique class of weapons, as they include living organisms with the ability to reproduce and perpetuate their destructive mission beyond the intended target area and time. The threat of biological weapon agents to humankind and the environment has led to a global ban of these weapons. The Biological and Toxin Weapons Convention (BTWC) of 1975, ratified by 143 States Parties, outlaws the development and possession of all biological weapons.

The last decade has been witness to dramatic and rapid changes in bioscience that are likely to facilitate the development of biological weapons. Civil society organizations around the world are concerned that the BTWC has no mechanism to monitor compliance with the Convention. To solve this problem, States Parties to the Convention established an Ad Hoc Group in 1994 to develop a Protocol to strengthen the Bioweapons Convention. The goal has been to complete the negotiations before the 5th Review Conference of the BTWC convenes in Geneva end of this year. We call on all governments to undertake every effort to reach consensus on a strong Protocol, including broad criteria for facility declarations, random visits to all declared facilities, clarification procedures, challenge investigations and an export monitoring system. The global consensus against the hostile use of living organisms is increasingly endangered. Some programs blur the boundary between peaceful and hostile uses of biological agents, such as pathogenic fungi that are currently being developed for use in drug crop eradication programs. These efforts undermine the global taboo against the development and use of biological weapons. We call on the 5th Review Conference of the BTWC, to be held in November

2001 in Geneva, to address these issues and to reiterate the broad prohibition of all non-peaceful applications of living organisms and toxins, regardless of whether they target humans, animals, plants or materials, to reaffirm in their Final Declaration that there is no exemption in the BTWC for law enforcement, and to state that any use of biological agents against a nation, a regional group or individuals against their will is not a peaceful purpose and thus banned by the BTWC. Finally, we call on all governments to undertake every step necessary to reinforce the global ban on biological weapons. For a world at peace, and a world at peace with the environment.

Ecoropa (International) GeneWatch (UK) IATP - Institute for Agriculture and Trade Policy (USA) Sunshine Project (International) WILPF - Women's International League for Peace and Freedom (International)

Der - nicht nur in den USA - ablehnenden Haltung liegen vor allem Wirtschaftsinteressen zugrunde. Als Nebenprodukt der defensiven Biowaffenforschung konnten von der deutschen Rüstungsindustrie zum Beispiel entsprechende Sensoren entwickelt werden, die im Spürpanzer "Fuchs" Einsatz finden. Würde eine Überprüfung von Labors in der Konvention festgeschrieben, stünden solche Forschungsergebnisse im Grunde jedermann offen.

In Genf wird ungeachtet der US-Blockade noch bis Mitte August weiter verhandelt. "Die Verhandlungsführer", heißt es in einer ersten Stellungnahme des Sunshine-Project, "sollten ihre Bemühungen nun verdoppeln." Auch wenn eine Ratifizierung durch die USA natürlich wünschenswert wäre, eröffne deren Rückzug gegebenenfalls sogar dadurch Chancen, dass bislang schwierige Punkte in der reformierte Konvention im Sinne der ursprünglichen Zielsetzung gelöst werden könnten. Das beträfe vor allem die Frage der Inspektionen in Labors (Washington will nur "Besuche" nach Ankündigung zulassen). Wenn die übrigen Vertragsstaaten nun Geschlossenheit zeigten, würde Washington unter Umständen zur Besinnung kommen und sich dem Abkommen zu einem späteren Zeitpunkt anschließen. "Amerikaner haben ja eigentlich den Ruf, pünktlich zu sein", beschriebt die Juristin Susana Pimiento die Situation, und fügt hinzu: "Bei ihrer Regierung ist das etwas anders".