Sieger in schwieriger Lage
Seite 2: Blauer Absturz
Inhaltlich käme als Koalitionspartner somit nur die FPÖ in Frage, die gerne mithilft beim Zusammenstreichen des Sozialstaates. Die hat aber im Moment andere Sorgen als die Anbahnung einer neuen Koalition. Die Partei verlor zehn Prozent ihrer Stimmen und landete vielleicht sogar auf dem vierten Platz. Wählerstromanalysen belegen, dass etwa die Hälfte davon gar nicht wählen ging und die andere zu Kurz gewechselt ist. Der Versuch der SPÖ, enttäuschte FPÖ-Wähler mit einem Angebot zu mehr "Menschlichkeit" zurückzugewinnen, darf somit als gescheitert gelten. Frustrierte wollen ihrem Frust Ausdruck verleihen.
Das FPÖ-Ergebnis ist die eigentliche Überraschung der Wahl, denn der Sockel der Wähler, die die Partei wählen, komme was da mag, wurde als größer angenommen. Es sind aber immer noch beachtliche 700.000 Menschen im Land, die sich die Frage gefallen lassen müssten, was sie nach all dem, was in den letzten Wochen über die Partei zu Tage trat, bewogen hat, diese immer noch zu wählen.
Aber sicherlich, dies sind alles bloße Anschuldigungen und wer an Verschwörungen gegen die Partei glauben mag, der tut dies auch. Unterstützt wird dies von Mutmaßungen des ehemaligen Innenministers Kickl, der sich über den Zeitpunkt wundert, an dem die politische "Atombombe" der Spesenaffäre um Heinz-Christian Strache gezündet wurde.
Die FPÖ ist aktuell sichtlich wütend und schließt in den ersten Reaktionen eine Neuaufnahme der Koalition sogar dezidiert aus. Die Mandatare spüren - wohl nicht zu Unrecht -, dass die Wahl ein sehr ungünstiges Momentergebnis ist und die Stimmen von der ÖVP leicht zurückgewonnen werden könnten, schließlich ist man das Original, wenn es um Angst vor den Fremden geht. Eine "Wählerrückholaktion" durch baldige Neuwahlen wäre also ganz im Sinne der Partei.
Nur, ob Wahlkampf oder Koalitionspoker, überall muss sich die Partei ihrem veritablen Problem in Gestalt ihres früheren Vorsitzenden Heinz-Christian Strache stellen. Der ist immer noch enorm mächtig und ambitioniert. Selbst wenn die Spesenaffäre schlecht für ihn ausgehen sollte, dann würden ihm wohl - zumindest virtuell - seine hunderttausenden Follower auch mit ins Gefängnis folgen.
Die ganze, als modern und hoch effizient geltende Kampagnenstruktur der Partei hat sich um die im Internet und sozialen Medien verbreiteten Strache-Sager herum aufgebaut und das Publikum braucht Straches Wind, um ordentlich Blasen bilden zu können. Viele im Lager der ÖVP ahnen, dass eine neuerliche Koalition mit den Blauen schwer argumentierbar wäre und dem Zigarrenrauchen im Pulverturm gleichen würde.
Die ÖVP hat sich durch das erfolgreiche Einsammeln von FPÖ-Stimmen in eine doppelte strategische Schwierigkeit gebracht. Einerseits zog sie den Unmut des immer noch möglichen Koalitionspartner FPÖ auf sich, weil dieser sich imitiert und seiner Themen beraubt fühlt. Andererseits wird es immer schwieriger, aus der Erzählung des "Heimatschutzes" herauszufinden.
Sind einmal die Ausländer und alles Fremde als Gefahr und Bedrohung dargestellt, dann erwarten sich die Wähler das entsprechende Vorgehen. Der Kampf um die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität, die sich um ein Gestern bemüht, dass es so nie gegeben hat, muss mittels autoritärer Maßnahmen geführt werden ("Weil Migration konsequentes Handeln braucht", so die Wahlplakate) und beinhaltet eine Symbolpolitik, die die Menschen im Land spaltet. Von dieser Droge ist schwer zu lassen, sie fordert sogar ständige Erhöhung der Dosis. Grüne, NEOS und zaghaft auch die SPÖ haben bereits deutlich gemacht, dass sie da nicht mitgehen. Die ÖVP hat sich somit an die FPÖ gekettet.
Rote Trauer
Das ausgesprochen ruhige Festzelt der SPÖ in der Wiener Innenstadt wirkte am Wahlabend ein wenig wie ein Pensionistentreff. Es fällt den Anwesenden schwer, aus dem Wahlergebnis Hoffnungsschimmer abzulesen. Einzig bei der bald anstehenden Wien-Wahl wäre eine unbeliebte türkis-blaue Bundesregierung (von deren Neuauflagen viele in der SPÖ ausgehen) eine unbezahlbare Wahlkampfhilfe.
Überhaupt muss sich die SPÖ auf die Städte konzentrieren, am Land wurde man ausradiert. Die großen Städte wie Wien und Linz konnte man aber gewinnen und so bleiben zumindest einige wenige "roten Flecken" auf dem türkisen Teppich, den die Nationalratswahl hinterließ.
Leise wagt man sich an die Analyse heran, dass die Übernahme des Parteivorsitzes und der Kanzlerschaft durch den Spitzenmanager Christian Kern keine gute Idee gewesen ist. Der hatte, sehr bedacht auf die eigenen Karrieremöglichkeiten, die Partei eher als Ballast wahrgenommen und trat beleidigt im Oktober 2018 ab. Die neue Parteivorsitzende stand vor einem Scherbenhaufen und einer Partei, die sich klammheimlich auf viele Jahre Opposition eingestellt hat. Weil niemand den Bundesparteivorsitzenden-Job machen wollte, nahm man eben eine Frau.
Der gewisse Vorbehalt gegenüber Frauen in Führungspositionen ist in der strukturell konservativen österreichischen Sozialdemokratie noch tief verankert und macht es der Parteichefin Pamela Rendi-Wagner nicht gerade leicht. Deswegen ist es wohl nicht nur Rhetorik einer Verzweifelten, wenn sie am Wahlabend angesichts des schlechtesten Ergebnisses in der Geschichte der Partei davon spricht, dass der Weg erst begonnen habe.
Tatsächlich muss sich die Partei jetzt erneuern und öffnen. Gegenüber den Frauen, den Jungen und den Menschen mit Migrationshintergrund. An der Parteibasis wird dies längst betrieben und hier gäbe es wirklich Chancen die Partei in eine Richtung zu bewegen, die dem seltsam verqueren Wahlkampfslogan "Menschlichkeit siegt" inhaltliche Substanz bieten würde.
Nur gibt es einen Flügelkampf, ein Teil der Partei liebäugelt mit rechtsautoritärer Politik, weil die einfach in Österreich zieht. Rendi-Wagner wirkte somit oft hin- und hergerissen und sie kann kaum Kampfkraft entwickeln, wenn sie eine Partei hinter sich hat, die erst nach ihrer Linie sucht. Dass die Parteivorsitzende nicht einmal die Rücknahme der sehr unbeliebten Einführung des 12-Stundentages durch Türkis-blau als Koalitionsbedingung nennen wollte, spricht hier Bände.
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