Siegt der "tiefe Staat" über Trump?
Seite 2: Nicht an der russischen Einmischung, sondern am US-Wahlsystem ist Clinton gescheitert
- Siegt der "tiefe Staat" über Trump?
- Nicht an der russischen Einmischung, sondern am US-Wahlsystem ist Clinton gescheitert
- "Fight the Game, not the Players"
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Es gibt einige Grundsätze der bürgerlichen Demokratie, die sie von einer für das Kapital in der Regel dysfunktionalen Willkürherrschaft unterscheidet. Die Ausnahme von der Regel sind die unterschiedlichen Formen faschistischer Herrschaft.
Zu den Grundsätzen gehört das Credo, dass Geheimdiensterkenntnisse nicht mit Fakten verwechselt werden dürfen, dass eine Anklage keine Verurteilung ist und bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Beschuldigten als unschuldig zu gelten haben. Gegen alle diese Grundsätze wird in der Causa "russische Wahlbeeinflussung" permanent verstoßen. Natürlich wird auch nicht nachgefragt, wie denn die USA und andere Länder die Wahlen in Staaten beeinflussen, deren Führungen ihnen missliebig ist. Nein, Wahlbeeinflussung gibt es nur beim Gegner.
Die ganze Kampagne um die russische Wahlbeeinflussung soll über die für die Systemkräfte deprimierende Tatsache hinwegtrösten, dass die so gut vernetzte Kandidatin des Establishments die Wahl verlor. Dabei waren sich alle ihres Sieges so sicher. Die Kräfte des alten Systems wollen sich nicht eingestehen, dass Clinton nicht an Russland, sondern am US-Wahlsystem gescheitert ist.
Sie hatte mehr Stimmen als Trump, aber ihr fehlten die entscheidenden Wahlmänner und -frauen. Zudem wurde die Antipathie unterschätzt, die Clinton in vielen Teilen der USA entgegenschlug. Die Taz-Kolumnistin Bettina Gaus war in der Zeit der Vorwahlen in den USA. Gaus prophezeite danach einen Sieg von Trump, als alle auf Clinton setzten. Ihre Prognosen hatten nicht russische Einflussversuche, sondern politische Einstellungen und Haltungen eines guten Teils der US-Bevölkerung im Blick.
Auch in Deutschland wird die Mär von der russischen Wahlbeeinflussung verbreitet
In den USA ringen verschiedene Kapitalfraktionen miteinander. Die Mär von der russischen Wahlbeeinflussung ist dabei eine wichtige Waffe. Doch auch in Deutschland findet sie viel Verbreitung von verschiedenen Seiten. Da sind zum Beispiel die Dauerinterviewpartner des Deutschlandfunks wie die Anhänger der Clinton-Demokraten, so zum Beispiel Andrew Denison, die immer erklärten, Trump werde nie Präsident. Als er es dann wurde, berichteten sie über seinen baldigen Sturz. In einem Interview im Deutschlandfunk zum Putin-Besuch von Trump gab Denison einige Kostproben seiner Weltsicht.
Donald Trump ist in eine Falle geraten, weil wenn er zugibt, dass die Russen ihm den Wahlsieg gegeben haben, dann ist seine Macht illegitim. Er hat ja sowieso zwei Millionen weniger Stimmen als Hillary Clinton. Dann ist seine Macht illegitim. Wenn er es nicht zugibt, dann scheint er zunehmend realitätsfremd zu sein, und das heißt, zu diesem Zeitpunkt haben wir einen Präsidenten, der unheimlich geschwächt ist, und dadurch kann er selbst bei einem Gipfel mit Putin außer Schlagzeilen erzeugen die Fundamente der Beziehungen nicht stark ändern.
Andrew Denison, Deutschlandfunk
Es ist schon erstaunlich, dass ein Mann, der ernsthaft behauptet, die Russen und nicht das US-Wahlsystem habe Trump ins Präsidentenamt gebracht, als Politikberater herumgereicht wird. Auf die Frage des Interviewers, wie er zu seiner Einschätzung komme, antwortete Denison auf abgedrehte Weise:
Ich stütze mich auf den ehemaligen Direktor der National Intelligence, Herrn Clapper, sowie einen anderen, der sehr deutlich geschrieben hat, wie die Russen in Wisconsin und Michigan den Wahlsieg gewonnen haben - dort, wo Bernie Sanders auch gegen Hillary gewonnen hat.
Andrew Denison, Deutschlandfunk
Die Russen haben die Wahlen in Wisconsin und Michigan gewonnen? Und ist Bernie Sanders auch ein Geschöpf Russlands? Dass Sanders in dem wirren Statement erwähnt wird, kann auch als Drohung an ihn verstanden werden. Wenn er gegen die Interessen des tiefen Staates handelt, schießt der sich auch auf ihn ein.
Dass sogar der gefallene russische Oligarch Michail Chodorkowskij im Kampf gegen Putin aus der Versenkung geholt wird, zeigt aber auch die Verzweiflung der EU in der Russland-Frage.
Chodorkowskij stand in Fragen der kriminellen Energie und des kapitalistischen Bereicherungswillen anderen Oligarchen in Nichts nach, unterlag aber im internen Machtkampf. Nach seiner Verurteilung wird er als Bürgerrechtler herumgereicht, in Russland ist er heute unbeliebter als Gorbatschow.
Wenn die FAZ mit ihm aufwarten muss, muss es um die Trümpfe der EU schlecht aussehen. Dass anlässlich von Trumps Europa-Reise die EU als "Gegner" benannt wurde, ist nur die Beschreibung eines Fakts.
Führende Politiker Deutschlands haben nicht erst seit der Wahl von Trump die USA als Gegner und Kontrahent bezeichnet. Und alles andere wäre auch eine Lüge. Die EU ist einer von verschiedenen kapitalistischen Akteuren im weltweiten Konkurrenzkampf und hat den Nachteil, dass sie noch oder gerade jetzt mit internen Problemen zu kämpfen hat.
Zudem ist sie neben den USA, Russland und China einer der kleineren Player und hat daher auch besondere Orientierungsprobleme. Wie schlau ist es, sich neben den USA auch noch mit Russland anzulegen? Wie passt eine Anti-Russland-Rhetorik mit dem Interesse an billigen Gaslieferungen aus Russland zusammen?
Dabei geht es nicht um die vielstrapazierten europäischen Werte, sondern um wirtschaftliche Interessen. Darüber wird in den EU-Ländern heftig gestritten.