Siggraph 97
The Sound of VRML (sprich: Wörml)
Ein Bericht von der weltweit größten Konferenz und Ausstellung über computergrafische Anwendungen
Zum 24. Mal fand Anfang August 97 die Konferenz und Ausstellung Siggraph statt, veranstaltet von ACM (American Computer Manufacturers). Die traditionsreiche Veranstaltung, die in den siebziger Jahren aus einer kleinen Community von Entwicklern und Herstellern im Bereich Computergrafik und -animation entstanden war, lockte dieses Jahr 47.000 Teilnehmer aus (fast) allen Erdteilen an. Die Verkündung der VRML97 Spezifikation als baldiger ISO-Standard war der (geheime) Höhepunkt der Veranstaltung.
Referenz-Site www.siggraph.org
Im Zentrum standen wiederum die neuesten technologischen Entwicklungen in der Computeranimation. Das Hauptinteresse der Telepolis-Berichterstattung bezieht sich (allerdings nicht ausschließlich) auf jenen kleinen aber signifikanten Anteil an der Siggraph, der von der Weiterentwicklung des Internet handelt. Und wir waren nicht nur berichterstattend dabei, sondern, was für dieses kleine Online-Journal eine Ehre ist, auch als aktive Teilnehmer am Panel "Community/Content/Interface - kreativer Online-Journalismus". Obwohl diese Podiumsdiskussion von der Panel Organisatorin Barbara Mones als "the most far out panel" bezeichnet wurde, also das am weitesten vom Kernthema entfernte, zeigt allein die Tatsache, daß es stattfinden konnte, die Beritschaft der Siggraph auch inhaltliche Wagnisse einzugehen (weitere Berichte hierzu in der nächsten Ausgabe).
Doch damit Schluß mit dem Flechten von Lorbeerkränzen. Im Vorjahr hatte die Siggraph, aus welchen Gründen auch immer, in New Orleans stattgefunden. Diese zweifelhafte Ortswahl in einer Stadt, in der die Slums eng an die Tourismusmeile grenzen, hatte vor allem die enorme Spannung zwischen dem High-Tech- und Entertainment-Sektor und den grimmigen Seiten der amerikanischen Realität offenkundig werden lassen (siehe Bericht vom Vorjahr). Dieses Mal im Convention Center in Downtown L.A. angesiedelt, ist die Siggraph sozusagen zu sich selbst zurückgekehrt, zwar nicht ins Zentrum der Computerindustrie, aber direkt vor die Haustür eines ihrer wichtigsten Auftraggeber, der Filmindustrie in Hollywood/Beverly Hills.
Atmosphärisches und Überblick
Hier, wo satte Hip Hop Bässe aus gutgekühlten Limousinen dröhnen und die schwarzen Sonnenbrillen der "Men in Black" auf jeder zweiten Plakatwand prangen, wo die Macher wie die Gemachten gleichermaßen zu Hause sind, wo Health Food, Fitness, Ökobewußtsein, ewiger Sonnenschein und protestantische Arbeitsmoral ihre maximale Ausprägung finden, läßt es sich gepflegt in den weiträumigen Hallen des nicht nur architektonisch kühlen Convention Centres über die Zukunft der Computergrafik diskutieren und es kann bei einer der zahlreichen abendlichen "Receptions" (Empfänge), die von den verschiedenen Firmen oft gemeinsam organisiert werden, bei einem Cocktail so mancher Kontakt geschlossen werden.
Die Siggraph als unüberschaubar zu bezeichnen, ist beinahe schon untertrieben. Der inhaltliche Hauptteil, die Konferenz, ist unterteilt in Kurse, Panels (Podiumsgespräche) und Papers (Vorträge einzelner wissenschaftlicher Aufsätze). Daneben gibt es aber auch noch Technical Sketches (eine Art Kurzversion der Papers) und Treffen von speziellen Interessensgruppen. Das alles findet gleichzeitig in verschiedenen Räumen statt, beginnt morgens um 8.15 Uhr und endet nach Mitternacht, sofern man eine der begehrten Einladungen zu einer der Receptions ergattert.
Dem nicht genug, finden auch noch zwei Ausstellungen statt. Im "Electric Garden" werden von Forschungszentren und Firmen vor allem Zukunftstechnologien vorgestellt, also Applikationen, die an der Schwelle vom Forschungsprojekt zur verbreiteten Technologie stehen. Und in der Hauptausstellung, die man als eine Art High-Tech-Messe sehen kann, protzt und klingelt die Industrie mit allem, was sie zu bieten hat. Wer noch wenig Siggraph-Erfahrung hat, tut gut daran, schon vor oder während der Anreise das Programm genau zu studieren und sich einen eigenen Stundenplan zusammenzustellen, um zielsicher (und vor allem zeitgenau) die Hauptpunkte des Interesses aufzusuchen. Da die Organisation meist wie am Schnürchen klappt, können Höhepunkte leicht versäumt werden. Da es aber schlichtweg unmöglich ist, alles warzunehmen, seien die umfangreichen Conference-Proceedings, Course-Notes und Visual Proceedings empfohlen, Publikationen, die gedruckt ebenso wie auf CD ROM erscheinen und in denen alle Materialen, Texte, etc. veröffentlicht werden (Bestellinformation via Siggraph Homepage).
Ein weiterer traditioneller Höhepunkt der Siggraph ist das "Electronic Theatre", ein ca. zweistündiges Film-Show-Reel, auf dem die (angeblich) besten Computeranimationen aus Film und Fernsehen des jeweiligen Jahres zu sehen sind. Die Vorführungend des Electronic Theatre fanden dieses Jahr im Shrine-Auditorium statt, jenem Film-Tempel, in dem auch die Oscar Verleihungen durchgeführt werden.
Bei so viel veranstalterischer Dichte ist es natürlich wichtig, daß der persönliche Kontakt nicht auf der Strecke bleibt, und so werden auch die abendlichen Receptions zu "Arbeit". Vor allem bei den kleineren Receptions von Start-up-Firmen ergibt sich die Möglichkeit, mit den Entwicklern etwa von VRML-Standards und Tools zu plaudern. Ein (offener) Geheimtip: Das Hotel Figuera, um dessen Pool sich bevorzugt die San Francisco-VRML-Bande gruppierte; Peter Graf (Blaxxun), Mark Pesce (VRML-Co-Erfinder), Chris Marrin (Cosmo), Lisa Goldman (Construct.net) u.a.. Doch, das wird einem schnell klar, auch die Small-Talk Zeit ist beschränkt, denn diese Menschen, die an der vordersten Front der Technologie arbeiten, sind die eigentlichen Stars der Siggraph und geben sich auch gerne wie Pop-Star Divas (Autogramme bitte?).
Siggraph zwischen Forschung und Kommerz
Bei einer allgemeinen Wertung der Ereignisse kommt der Teil "Ausstellung" vergleichsweise schlecht weg. Der "Electric Garden" war dieses Jahr ziemlich dünn besiedelt und das nicht nur quantitativ. So waren mit Sony, Mitsubishi, Panasonic und ATR (Kyoto) zwar einige starke japanische Player präsent, doch diese zeigten nicht unbedingt ihre besten Forschungsprojekte. Motion Capturing und Gestik-Erkennung, vor allem für Spiele, waren tonangebend. Wichtige amerikanische Institutionen wie das MIT Media Lab waren unterrepräsentiert, dafür durften die "Jungs" von der Air Force ihre Trainingssimulation für Flughafen-Tower-Personal präsentieren.
Über die Hauptausstellung seien am besten nicht allzu viele Worte verloren, denn hier scheint es vor allem darum zu gehen, mit der Größe der Projektionsflächen und der Lautstärke der Sound-Systeme die Nachbarn zu übertrumpfen. Eine allgemeine Kritik schlägt in die selbe Kerbe wie im Vorjahr: Es zeigt sich, zu welchen Absurditäten der menschliche Erfindungsgeist fähig ist, wenn maximale kommerzielle Erwartungen mit High-Tech und Vermarktungspower kombiniert werden. Insbesondere ist es erstaunlich, daß alle diese hochqualifizierten Computeranimateure nichts besseres zu tun wissen, als irgendwelche wurmäugigen Monster zu kreiiren, die sich durch dunkle Verliese jagen, ihre Reptilienkörper gegenseitig mit Laserschwertern durchschneiden und sich mit SF-Abfangjägern über verlassenen Planetenlandschaften jagen. Die Ursachen für die Uniformität dieser Monster zu finden, wäre wohl ein eigener Forschungsgegenstand.
Bei diesem Bombardement mit paranoiden Phantasien aus dem Reich der virtuellen Dunkelkammern fällt es schwer, sich noch auf die Suche nach Inhalten zu konzentrieren. Diese sind auch durchaus zu finden, aber nur, wenn man sich mit Geduld in die Tiefe der einzelnen Präsentationsstände arbeitet und kompetente Personen ausfindig macht. So zeigte z.B. Mark Pesce am Stand von Cosmo den letzten Schrei der VRML-Technologie, Live-Streaming VRML. Die Bewegungen einer Bühnenperformerin werden mittels Motion-Capturing in Echtzeit auf einen Avatar (3D-Figur in einer VRML-Welt) übertragen. Auch wenn das konkrete Beispiel ästhetisch nicht gerade zu begeistern vermochte, so markiert diese Anwendung doch einen neuen Schritt hin zur Möglichkeit zur Übertragung von Live-Performances im Internet (über VRML wird später noch mehr zu sagen sein).
Ganz anders der Charakter des Konferenzteils. Die ganztägigen Kurse bieten konzentriertes Know-How. Vom Einsteiger-Programm über Computergrafik oder VRML bis hin zu spezialisierten Animations- und Renderingverfahren ist für jedes technische Wissensniveau etwas geboten. Die Vorträge (Papers) bedienen vor allem eine große Bandbreite von Forschungsgebieten auf dem Feld der Computeranimation: Anwendungen von Virtual Reality, virtuelles Licht, simuliertes Verhalten von animierten Charakteren, Extraktion von 3D Modellen aus 2D Abbildungen, Visualisierung physikalischer Phänomene (Gas, Rauch, Dampf, Wolken) und schwieriger Oberflächen (z.B. Fell, Haar). In den Panels kommen neben den üblichen Animationsthemen auch vergleichsweise exotische Themen zur Sprache, z.B.: Die Bedeutung der Spieltheorie für Computerspiele; virtuelle Realität als Medium für erzählerische Formen; das Problem der Ausbildung digitaler Nachwuchskünstler im Spannungsfeld zwischen universitärer Forschung und den Bedürfnissen der Industrie.
Gerade letzteres Beispiel liefert ein gutes Stichwort. Die gesamte Siggraph weist eine große Spannung zwischen akademischem Interesse und den Bedürfnissen der Entertainment-Industrie auf, was simplifizierend in der Formel Ausstellung=negativ, Konferenz=positiv zusammengefaßt werden kann. Es ist recht niederschlagend zu sehen, mit welchem Enthusiasmus auf der einen Seite geforscht wird und welche Ergebnisse Hollywood mit den neuen Tools dann hervorbringt. Nun kann zwar auch der Forschung nicht pauschal der Heiligenschein verliehen werden. Auch sie ist von den Interessen der Auftraggeber, der zahlenden Kundschaft, beeinflußt und damit keinesfalls so wissenschaftlich-objektiv über den Dingen stehend, wie sie sich selbst gerne sehen möchte. Doch der eigentliche Einbruch oder Niveauverlust findet am Übergang zu den Anwendungen in den Hollywood-Effektstudios statt.
Die Siggraph, mit ihrem Anspruch, eine umfassende Veranstaltung für alle Bereiche der Computergrafik zu sein - Animation, VR, Web usw. -, steht an einem Scheideweg. Setzt sie den kommerziellen Expansionskurs fort, wird sie noch weiter in den Rachen von Disney, Warner usw. rutschen und droht inhaltlich auseinanderzubrechen. Die schwache Bestückung des Electric Garden könnte ein Anzeichen dafür sein, ein weiteres, welche Bedeutung dem "Recruitment", also der Rekrutierung von Nachwuchskräften, mit einer ganztägigen Job-Messe verliehen wurde. Die Unterhaltungsindustrie schreit nach jungen Talenten, praktisch alle großen Special-Effect Studios sind permanent am Expandieren. Wer sich wirklich für Inhalte interessiert, ist mit spezialisierten Veranstaltungen besser bedient. Die VRML97 z.B. wird im Herbst die Digerati der Westcoast-Szene vereinen und auf Konferenzen wie der CHI (Computer Human Interface, Atlanta) sind die echten technologischen Zukunftsvisionen zu hören. Die Siggraph könnte zu einer Art Burger-Fabrik für fettleibige 3D-Aliens werden, deren virtuelles Blut in endlosen Hollywood-Schlachten verspritzt wird.
Trends
Wie nicht anders zu erwarten, ist von keinen atemberaubenden technologischen Durchbrüchen zu berichten. Die dreidimensionalen Computeranimationen und ihre Anwendungen für interaktive virtuelle Welten und im Film sind ein in den Grundzügen abgestecktes Feld. Das heißt aber nicht, daß nichts passiert. Viele kleine Fortschritte auf der ganzen Breite des Gebiets ereignen sich in verhältnismäßig kurzer Zeit.
Ein gutes Beispiel dafür ist "Motion Capture". Damit 3D-Figuren, bestehend aus dreidimensionalen Gittermodellen und "aufgeklebten" Texturen, so richtig zum Leben erweckt werden können, werden Bewegungen menschlicher Akteure mit verschiedenen Mitteln technisch registriert - durch Infrarotkameras, mit Ganzkörper-Sensor-Anzügen z.B. - und auf die animierten "Puppen" übertragen. Der Schlüssel zum guten Motion Capturing ist allerdings dann die Umsetzung dieser Daten auf das zu animierende Modell. Vor wenigen Jahren noch Forschungsgebiet, gehört "Motion Capture" heute schon zum Standardwerkzeugkasten der "realistischen" Charakteranimation.
Für Animationsprofis spannender sind da schon realistische Darstellungen auf der Basis physikalischer und anatomischer Gegebenheiten. Die Grundlagen dazu kommen aus der "harten" Wissenschaft und es findet nun ein Wissenstransfer hin zum "weichen" Bereich der Computeranimation statt. Diese Modelle sind nicht einfach nur grafische Gittermodelle, auf die Texturen aufgepappt wurden. Sie enthalten, wie z.B. bei der Darstellung vom Verhalten von Flüssigkeiten oder Gasen, "echtes" Wissen über das Verhalten der Moleküle unter bestimmten Umweltbedingungen. Eine andere Variante des wissensbasierten Renderings ist die Modellierung menschlicher Personen auf der Basis von anatomischem Wissen. Muskelkontraktionen, Eigenschaften des Skeletts, Erdanziehungskraft und weitere Faktoren werden in Mathematik übersetzt und so zum Bestandteil der Modelle. Der Unterschied zu herkömmlichen Modellen ist wie der zwischen Sein und Schein. Eine Figur "sieht so aus", weil sie tatsächlich, in ihrer virtuellen Umgebung bestimmten Kräften ausgesetzt ist, und nicht weil ein geschickter Animateur sie so gezeichnet hat, oder weil die Bewegungen mit Motion Capture eingefangen wurden. Die Vervollkommnung dieser Technik deutet einen Paradigmenwechsel in der Computeranimation an: Sein, statt Schein.
Eine weitere Mikrorevolution bereitet sich in der Ausstattung virtueller Charaktere mit Artificial-Life-Qualitäten vor. Wie etwa Athomas Goldberg von der Universität New York zeigen konnte, werden auf diesem Gebiet rasante Fortschritte gemacht. Grundsätzlich ist es nichts neues, daß eine virtuelle Person mit einer Datenbank von Verhaltensweisen ausgestattet sein konnte, die durch die jeweiligen Aktionen eines Users oder einer anderen Person abgerufen werden. Seine Gruppe jedoch ist dabei, ein Tool-Kit zu schaffen, das es auch Leuten, die nicht AI-Wissenschaftler sind, also z.B. Computergrafikern oder Drehbuchautoren, ermöglicht, solche virtuellen Persönlichkeiten zu schaffen. Der Begriff "Interaktivität" erhält mit solchen Techniken eine neue Tiefe. Es ist nicht sehr interaktiv, mit der Maus auf der Benutzeroberfläche einer CD ROM herumzuklicken. Es könnte wesentlich interessanter sein, mit einem virtuellen Charakter, der eine Vielzahl von möglichen Verhaltensweisen hat, über gesprochene Sprache oder Gestik in "Interaktion" zu treten. Damit ist zwar keinesfalls die Schwelle zu echtem Künstlichem Leben oder Künstlicher Intelligenz überschritten und ein solcher Charakter wäre in Essenz nicht "intelligenter" als Joseph Weizenbaums vor 30 Jahren programmierter Sprachrobot Eliza, doch mit der Verfügbarkeit einer solchen Technik für Nichtprogrammierer und in 3D könnte der ganze kreativ-interaktive Sektor, ob Spiele oder virtuelles Drama oder Kunst, einen inhaltlichen Quantensprung machen.
Andere erwähnenswerte Mikrorevolutionen sind: Die Möglichkeit, einer historischen Videoaufnahme einer Person einen anderen Text zu unterlegen und die Lippenbewegungen entsprechend dazu automatisch und situationsgerecht in das Video einzustanzen. Dieses System analysiert erst die Lippenbewegungen der aufgenommenen Person und zerlegt sie in akustische und visuelle Phoneme. Aus den Phonemen wird dann der neue Text/die neuen Lippenbewegungen zusammengesetzt. Wenns funktioniert, könnte man damit Ronald Reagan eine Lobesrede auf den Sozialismus unterschieben und Mao Tse Tung eine Preisung der hervorragenden Qualitäten von Coca Cola.
Schon weithin bekannt aber dennoch bemerkenswert ist die Arbeit des diesjährigen Siggraph-Preisträgers Pryzemislav Prusinkiewicz. Er hat, aufbauend auf der mathematischen Theorie von Aristid Lindenmayer über die Entwicklung vielzelliger Organismen, eine Weiterentwicklung von dessen L-systemen geschaffen, die z.B. kontinuierliches Pflanzenwachstum entlang vorgegebener räumlicher Formen ermöglichen. Offene L-Systeme ermöglichen es, Pflanzenwachstum unter bestimmten Umweltbedingungen zu studieren.
Ähnlich gelagert sind Projekte, die Entstehung von Formen zu modellieren, deren einzelne Bestandteile bestimmte Eigenschaften aufweisen. So können Oberflächen entstehen, die von Hand kaum gezeichnet werden können, bzw. als nicht-mathematische, also rein grafische Simulation viel zu viele Polygone verschlingen würden.
Trotz weiterhin wachsender Rechenleistung spielt die Datenreduktion immer noch eine wichtige Rolle. Diese versucht man z.B. durch Oberflächenvereinfachung zu bewerkstelligen.
The Sound of VRML (sprich: Wörml)
Spätestens seit der Etablierung des VRML 1.0 Standards im Jahr 1995 galt die "Virtual Reality Modelling Language" - insiderisch ausgesprochen als "wörml" - als die Hoffnung vom nächsten Jahr. Wenn nur endlich die Browser stabil laufen würden, was könnte den Siegeszug dieser Sprache, die doch gegenüber HTML eindeutig den Vorteil der dritten Dimension aufweist, noch aufhalten können? Zyniker allerdings nennen VRML heute "Virtual Realism Marketing Language" und verweisen damit auf zwei Umstände. Zum einen ist VRML vor allem eine Marketing-Hoffnung (schnellere Chips, mehr Bandbreite, Marketing über den "Community-Faktor") und zum anderen weist ein Großteil der in VRML gestalteten Welten einen unverkennbaren Hang zu billigem Realismus auf. Da VRML als Netzsprache den Beschränkungen der Internet-Bandbreiten und der Rechenleistung der Heimcomputer unterliegt, ist die Zahl der verwendbaren Polygone und die Pixelintensität der Oberflächen naturgemäß eingeschränkt und in dieser simplifizierten Form macht sich Realismus einfach nicht gut.
Als bei der Siggraph 96 die VRML 2.0 Spezifikation verkündet wurde, schöpften die Marketingleute neue Hoffnung. VRML 2.0 bietet eine Menge von Möglichkeiten. Deren wichtigste sind, kurz genannt, Animationen, Einbindung von Video und Audio, Objekte mit "Verhalten" und Multi-User-Fähigkeit. In der Kombination von VRML mit JavaScript und Java sind der Kreativität der Gestalter dann überhaupt kaum mehr Grenzen gesetzt.
Trotzdem wollte auch VRML 2.0 bezüglich seiner Verbreitung bei Usern noch immer nicht so richtig abheben. Ein Grund mag gewesen sein, daß die Browser noch immer nicht stabil liefen, einfach überfordert von der Vielzahl der Möglichkeiten der 2.0 Spezifikation, ein anderer, noch banalerer Grund (wir sind es doch gewöhnt, daß Netscape abstürzt), daß man sich VRML 2.0 als Plug-In extra beschaffen und installieren mußte, und das vielleicht noch im lästigen Dreimonatsrhythmus, wenn die jeweilige Testversion ausgelaufen war.
Doch dem sollte jetzt ein Ende gesetzt sein. Bei der Siggraph 97 wurde von Netscape und Microsoft zugleich verkündet, daß die jeweils neuesten Versionen ihrer Browser, Netscape 4.0 und Internet Explorer 4.0, voll VRML 2.0 tauglich sein würden, und zwar nicht mittels Plug-In, sondern als voll integrierter Bestandteil des Standardbrowsers.
Dem ist einiges an Industriegeschiebe vorangegangen. Microsoft hat bei Intervista eingekauft und sich deren Worldview Plug-In besorgt, um es in den IE einzubauen. Und Netscape bandelt schon seit längerem mit Cosmo-SGI herum. SGI hat es scheinbar aufgegeben, VRML als "ihr Ding" zu betrachten und den Standard durch eigene Spezifikationen zu subvertieren (wie z.B. VRML-Script statt des gängigen JavaScript). Im September soll VRML97 unter dem Beifall aller Beteiligten als ISO-Standard (International Standards Organisation) verabschiedet werden, als höchstoffizieller Standard also, plattform- und firmenübergreifend. Aber trotz einiger mitgebrachter CDŽs mit Pre-Releases konnte die volle Freude des neuen Standards zu Hause noch nicht genossen werden, da die mitgebrachte Software nur mit der US-amerikanischen Fassung von Win95 läuft, und die ist eben auf meinem Rechner nicht installiert. Genaue Angaben gibt es auch noch nicht, wann Netscape 4.0 und IE 4.0 VRML2.0 enthalten werden, aber irgendwann im September soll es soweit sein.
Trotz dieser begrüßenswerten neuen Einigkeit bleiben einige Zweifel, ob VRML nun NÄCHSTES Jahr wirklich das neue Ding im Internet wird. Denn sollte es gelungen sein, eine VRML-Welt vom Netz zu laden, dann verbraucht der Betrieb von Netscape plus VRML am eigenen Rechner schon einmal mindestens 8 bis 10 MB an Hauptspeicher. Wenn dann auch noch Java aktiviert ist, was bei vielen VRML-Welten, vor allem den Mehrbenutzer-fähigen, Voraussetzung ist, dann wird der RAM-Speicher schon mit kräftigen 16 MB belastet. Und das ist ungefähr genausoviel, wie die meisten Heim-PcŽs aufzuweisen haben. Dann noch eine Bewegung mit der Maus und...Systemcrash.
Doch von solchen pragmatischen Kleinigkeiten werden sich die Enthusiasten von der Westküste nicht aufhalten lassen. Eines der interessantesten Panels der Siggraph war "Narrative Environments: Virtual Reality as a Storytelling Medium", organisiert von Celia Pearce (Momentum Media Group). Jim Ludke, Gestalter der zwar technisch simplen, aber inhaltlich witzigen Residents CD ROMŽs "Freak Show" und "Bad Day on the Midway", San Francisco Hippie C.Scott Young, alias "VRML Knight", Brad de Graf (Protozoa) und der bereits erwähnte Athomas Goldberg (NYU) zeigten, was mit VRML 2.0 unter Laborbedingungen und in den Begriffen der Unterhaltungsindustrie heute bereits möglich ist. Protozoa zeigte eine mit Motion Capture animierte Cartoon-Figur, die auf dem Server von VRML.SGI.COM als mehrteilige Comic-Serie abzurufen ist. Sehr amerikanisch, sehr comichaft, aber schon recht unterhaltsam. Goldberg hingegen hat eine synthetische Figur geschaffen, eine gutaussehende, sich sehr arrogant und spröde gebende Frau, die scheinbar nur darauf wartet, angesprochen zu werden, um einen herben Spruch loszuwerden. Diese Figur kann, wie bereits erwähnt, auf ein Set von Verhaltensweisen zurückgreifen, das je nach Verhalten der Gegenseite aktiviert wird. VRML ermöglicht also eine Art interaktives 3D Theater im Netz.
Ein weiteres hervorhebenswertes Panel "The Future of Sound on the Internet", organisiert von Paul Godwin (New Dog Music) zeigte dann, wie durch die Integration von Klängen die interaktiven Möglichkeiten von VRML 2.0 noch interessanter gestaltet werden können. Mit dem Live-Streaming Konzept von Mark Pesce, auf das er sich bezieht, kann eine ähnliche Audioqualität, wie man sie von RealAudio kennt, in VRML integriert werden. Die interaktive Multi-Userwelt von OnLive (gesponsert von MTV) ermöglicht ebenfalls Live-Klänge im Internet, jedoch, und das ist bei beiden Konzepten entscheidend, nicht nur wie bei RealAudio in einer Richtung sondern in beide Richtungen. Einen anderen Weg schlägt Tim Cole (SSEYO) mit der Einbindung von MIDI vor, wobei nicht Audiodateien, sondern nur Midi-Steuerdateien übertragen werden, was bandbreitenschonend ist und zudem das gemeinsame Musizieren von verschiedenen Leuten über das Netz ermöglicht. Wenn es wirklich zu einer baldigen Einbindung von Midi (mit ladbaren, spezifischen Klängen) und VRML kommt, ist ein interaktiv tönendes, dreidimensionales Netz keine Fiktion mehr.
Was dann noch zu tun bleibt, ist, daß die europäische Künstler-Community ihre Skepsis überwindet und diese neuen gestalterischen Möglichkeiten ergreift. Die technischen Voraussetzung sind nun geschaffen, damit VRML endlich zum Leben erwacht, so der Tenor bei der Siggraph. Nun müssen die Gestalter ran. Go West?
VRML-Ressourcen im WWW:
Die VRML2.0 Spezifikation
Die VRML97 Spezifikation
Das VRML Repositorium