Siggraph 96

Die digitale Revolution geht weiter! Frißt sie ihre Kinder?

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Die Siggraph fand dieses Jahr in New Orleans statt. Von großen technischen Durchbrüchen kann nicht berichtet werden, wohl aber von vielen kleinen Verbesserungen. Doch daß dies nicht notwendigerweise eine bessere inhaltliche Qualität von Computergrafik und -animation in Film und Fernsehen nach sich zieht, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Branche, aber auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in der sie existiert.

Die Siggraph, die dieses Jahr in New Orleansstattfand, ist immer noch eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Konferenz zum Themenkomplex Computergrafik und -animation. Dem Veranstaltungsort inmitten der Sumpflandschaft Louisianas - kreolisch "Bayou" - Rechnung tragend, wurde ein Ausstellungsteil flippig "Digital Bayou" genannt. Diese Namensgebung könnte man allerdings auch allzu wörtlich interpretieren. So wurden zwar in Ausstellung, Kursen, Vorträgen und Panel-Diskussionen die allerneuesten technischen Entwicklungen diskutiert und präsentiert, doch die inhaltliche Seite erwies sich als sumpfiges Terrain und dem europäischen Ausstellungsbesucher rannte so mancher Schauer über den Rücken, jedoch nicht von Voodoogeistern verursacht. Denn die Bilder und diversen Anwendungen, die von der mega- und gigagepowerten Hard- und Software erzeugt werden, zeigten mehr denn je, zu welchen Abgründen an Infantilität und Monströsität der menschliche Gestaltungswille fähig ist, wenn vor allem eines, das Gewinnstreben, im Vordergrund steht. Das Gezeigte läßt sich grob in zwei Richtungen zusammenfassen:

  1. Realismus - die Methoden zur Darstellung natürlicher Phänomene auf naturwissenschaftlich-mathematischer Basis werden immer besser und verfeinerter. Wasser, Wolken, Partikelströme in Gasen, Pflanzenwachstum, Bewegungen von Menschen, Oberflächenspannungen von Haut und anderen elastischen Festkörpern werden heute nicht mehr von geschickten Zeichnern der Natur nachempfunden, sondern auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse mathematisch modelliert.
  2. Plastikrealität - alle Arten von unausdenklichen monströsen Figuren, Comicgeistern, Neon-Frankensteins, Cyberelfen, Kaugummiköpfen, körperlose Köpfe und kopflose Körper.

Naturalismus in 3D

Der Begriff "Virtuelle Realität" erhält auf mathematischer Grundlage eine neue Bedeutung. VR ist nicht mehr bloß eine dreidimensionale visuelle Repräsentation der Wirklichkeit, sondern eine Repräsentation in viel umfassenderem, physikalischerem Sinn. Die Wirkkräfte der physischen Realität, Schwerkraft, Luftwiderstand, Lichtbrechung, Körpermechanik von Muskeln, Knochen, Haut, werden in den 3D Darstellungen berücksichtigt. Das hat unter anderem den Vorteil, daß die Animateure z.B. menschliche Bewegungen nicht jedesmal von Grund auf neu mit dem Zeichenstift erfinden müssen. Wenn sich ein Körperteil bewegt, bewegen sich in Abhängigkeit davon alle anderen Körperteile mit, die aus Gründen der Körpermechanik und der Schwerkraft betroffen sind. Dies stößt auch neue Türen auf für interaktives Geschichtenerzählen mit 3D Charakteren. Neben der äußeren Gestalt werden für einen Charakter Sets von Verhaltensformen festgelegt, die dann durch das Verhalten eines anderen synthetischen Charakters ausgelöst werden. So können mehrere autonome synthetische Charaktere miteinander und mit von Menschen gesteuerten Charakteren interagieren. Das basiert auf dem Konzept der "Believable Agents" von Joe Bates, aber auch auf Arbeiten von Jessica Hodgins zum Thema "Flocking", Craig Reynolds, u.a..

Doch muß das soeben Gesagte in mehrfacher Hinsicht relativiert werden. VR auf naturwissenschaftlicher Grundlage ist ein Trend, jedoch noch keine Tatsache. Die Forscher mühen sich mit Detailproblemen ab. So arbeitet ein Institut an der Darstellung von Bewegungen von Flüssigkeiten verschiedener Dichte, ein anderes ermittelt die Lichtreflexion von Wolken, wieder ein anderes das Zusammenspiel von Muskeln und Haut im menschlichen Gesicht. Für jedes dieser Modelle sind eine mächtige Rechenanlage und spezifische Mathematik und Software vonnöten. Noch gibt es kein Modell, das alle Erkenntnisse in einer simulierten Welt zusammenführt. Die Komplexität der einzelnen Modelle läßt es zweifelhaft erscheinen, daß eine Zusammenführung in naher Zukunft erfolgen wird. Doch selbst wenn das eines (nicht mehr allzufernen) Tages der Fall sein wird, ist es immer noch sehr anzuzweifeln, ob wirklich Realität vom Computer repräsentiert werden kann. Dann nämlich wird die philosophische Frage vom Verständnis von der Realität, das in diese Repräsentationen einfließt, akkut. Denn trotz der Erkenntnisse der Quantenphysik, welche unser Realitätsverständnis grundsätzlich in Frage stellen, beruht der Realismus dieser 3D Welten auf einem eher volkstümlichen Verstädnis eines dreidimensionalen Raums, in dem die Schwerkraft und die newtonsche Mechanik gelten. Eine Form naturwissenschaftlichen "Realismus", der eigentlich längst passé ist, wird reproduziert. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Faktor ist, inwieweit die Wissenschaft grundlegend von "Außenfaktoren" beeinflußt ist, von Weltbildern, die den Wissenschaftlern selbst zu eigen sind und die als implizite Annahmen in die Forschung einfließen und von den Weltbildern der Auftraggeber und Sponsoren. Denn allein die Entscheidung, auf welchen Gebieten mit größter Priorität geforscht wird, ist bereits eine implizite Wertung und wie die Siggraph zeigt, fällt diese Wertung sehr "einschlägig" aus. Den massiven wirtschaftlichen Interessen der Auftraggeber entsprechend, allen voran die großen Film- und Effektstudios in Hollywood, geht es zu allerletzt um reine Forschung, sondern vielmehr darum, immer schnellere, bessere und billigere Werkzeuge zur Manipulation der Massen zur Verfügung zu haben. Doch nicht nur die Technologielieferanten Hollywoods, auch europäische Forschungsinstitute wie z.B. das Fraunhofer Institut zeigte im Rahmen seiner Präsentation im "Digital Bayou" welch absurde Wendungen "angewandte Forschung" nehmen kann. Hier wurde eine VR-Simulation von Frankfurt/M gezeigt. In Superhochauflösung konnte man durch das Frankfurter Bankenviertel fliegen. Naturalistisch und mit viel Liebe wurde nicht nur die Oper gerendert, sondern auch die ästhetischen Sünden der Stadtgestaltung, wie z.B. historisierende Laternen, Parkbänke, Pflanzen in Betonkübeln. Was allerdings völlig fehlte, war jedes Zeichen von menschlichem Leben. Den Höhepunkt bildete ein Sturzflug entlang der Glasfassaden der Zwillingstürme der Deutschen Bank. Auf meine Frage an einen Fraunhofer Vertreter, welchem Zweck diese Animation denn diene, antwortete er, "das hat die Deutsche Bank bezahlt".

Plastikrealität

Yugi Kyoshitsu, The Play

Allabendlich lud die Siggraph zur Film- und Videovorführung ins "Electronic Theater" In einem zweistündigen Show-Reel zusammengefaßt wurden hier die angeblich besten Computeranimationen aus Film und Fernsehen gezeigt. Vom Publikum heftig akklamiert gaben sich die Größen des Showbusiness mit ihren herausragenden Produktionen die Ehre, Industrial Light and Magic, Pixar, Digital Domain, Sony u.a..

Der erste Spot weckte zunächst Hoffnung, die aber schnell in Enttäuschung umschlug. In filmisch feinster Auflösung wurde ein verdrecktes Badezimmer gezeigt. Hinter einem bakterienstarrenden Handtuch kam ein großer brauner Kakerlak zum Vorschein. Dieser war, das wurde schnell ersichtlich, eine perfekt ins Filmbild integrierte Computeranimation, täuschend lebensecht. Nun begann die Küchenschabe zu tanzen. Was bei den ersten Bewegungen noch lustig erschien, verflachte zusehends. Immer neue Schaben erschienen und gruppierten sich zum Showtanz a la Fred Astaire, was seinen Höhepunkt in einem Wasserballett in der Klomuschel fand. Nach diesem grandiosen Auftakt rauschten zwei Stunden Computerbilder vorüber. Einzelne Beiträge künstlerisch zu würdigen erschiene unangebracht. Der Großteil des Gezeigten , vielleicht siebzig oder achtzig Prozent, bestand aus monströsen Comicfiguren, absolut blöden Gestalten in schreienden Farben, die der alten Kunst der Animation, ob a la Disney oder anarchischer im Tex Avery Stil nichts hinzuzufügen haben als billiges plastilinhaftes 3D. Die Dominanz des Monsterhaften kann kein Zufall sein. Die Siggraph ist schließlich kein Provinzjahrmarkt in Hinterpremstätten. Die beste Hard- und Software, die besten Regisseure, Graphiker und Animateure, die sich im übrigen alle Künstler nennen, stehen hinter diesen Schöpfungen. Und die Mehrheit des Publikums fand das alles zum Schreien komisch. In fast sämtlichen Spots, nicht nur den monströsen, wurde ein herabwürdigendes Menschenbild zum Ausdruck gebracht oder im Publikum implizit vorausgesetzt. Da wurde gekämpft und getötet, da spritzte synthetisches Blut in Massen, jagten sich die Spacecyborgs durchs Weltall, tobten die Monster in mittelalterlichen Verliesen, verschlang ein Alptraum den anderen. Wenn nicht gerade die pure Gewalt regierte, dann tobte der Geschwindigkeitswahn in Form von Verfolgungsjagden durch Eiswelten, Straßenschluchten und andere, dunkle, klaustrophobe Welten. Star Wars nimmt sich dagegen wie ein Werk der Weltliteratur aus. Dies ist also der "Fortschritt" nach 20 Jahren computergenerierter Special Effects im Kino.

Frankenstein läßt grüßen

All das ist nicht neu, auch die Besorgnis darüber nicht. Neben dem durchsichtigen Motiv, daß Gewalt, Raserei und Monster das einfachste Mittel sind, um ein jugendliches Massenpublikum in die Kinos und Spielhallen zu locken, läßt sich eine weitere Hypothese aufstellen. Es scheint, daß in der Kombination von Computertechnologie und amerikanischem Entertainment ein inhärenter Zug liegt, ein zwanghafter Trend, Frankensteingeschöpfe zu erschaffen. Den Leuten, die Tag und Nacht in den Film- und Fernsehstudios vor den 3D Computern sitzen, fällt scheinbar nichts besseres ein, als Pulp-SF wiederzukäuen. Dieser Pulp-Brei der fünften Generation, war von anderen bereits ausgespien worden und wird nun einem erneuten Wiederkäu-Effekt unterzogen. Der klaustrophobe Charakter der Welten, in denen die meisten Szenen spielen, spiegelt, so scheint es, die Klaustrophobie der Computerarbeitsplätze wieder, welche die Elite der "Virtual Class" so stolz ist, einnehmen zu dürfen. Hier nun finden Pulp und naturwissenschaftlich fundierte VR zusammen. Die Räume, welche die Computerbildschirme uns eröffnen, sind niemals offen, sondern immer schachtelförmige, perspektivisch verengte und von Wänden aller Art begrenzte Boxen. Die Geschöpfe, welche sie bewohnen, sind entweder schon rein äußerlich Monster, oder wissenschaftlich fundierte Frankensteingeschöpfe, Repräsentationen eines Menschenbildes, wie es mit mathematischen Methoden generierbar ist. Nichts anderes war ja Mary ShelleyŽs Frankenstein, ein aus einem wissenschaftlichen Baukasten zusammengebastelter synthetischer Mensch. Während jedoch zu ShelleyŽs Zeiten der "gothische" Charakter dieser Fiktion ganz offensichtlich war, wird heute zunehmend so getan, als könnte man diese virtuellen Geschöpfe mit Menschen in Fleisch und Blut gleichsetzen, oder als wären sie exakte Repräsentationen von Menschen. Die "Gothic Fiction" atmet heute wissenschaftliche Laborluft.

Pulp und Ökonomie

Das Nahverhältnis von Pulp-Entertainment, Wissenschaft und Computertechnologie wäre vielleicht gar nicht so schlimm, wenn man das ganz postmodern wertfrei betrachten könnte. Doch "wertfrei" ist es spätestens dann nicht mehr, wenn die ökonomische und soziale Ebene mit in Betracht gezogen wird.

Die Siggraph in New Orleans stattfinden zu lassen, war aus der Sicht der Veranstalter ein guter Schachzug, bietet diese Stadt doch reichlich Möglichkeiten für ein touristisches Rahmenprogramm. Doch wer neben Jazz in der Bourbon Street und Riverboat-Ausflug nur ein wenig auf die Seite blickte, wurde von einem tiefen Grad an Verwahrlosung betroffen, welche die Stadt New Orleans, ihre Menschen und viele ihrer Gebäude erfaßt hat. Nach Auskunft einer Mitarbeiterin einer Street-Level Videoco-operative liegt die Armutsquote bei 25 Prozent. Knapp ein Drittel der Haushalte in New Orleans hat ein Jahreseinkommen, das unter 15.000 Dollar liegt (Quelle: Gambit Weekly, August 96). Während Mord und Vergewaltigung zahlenmäßig etwas zurückgegangen sind, ist der bewaffnete Raubüberfall im letzten Jahr um 11,6 % gestiegen, der einfache Raub um 23,4 % (Gambit Weekly). Die Siggraph tagte unterdessen im vollklimatisierten Eisschrank namens Convention Center und ließ derartiges nicht an sich herankommen. Kein einziges Panel, welche thematisch offener sind, als die "wissenschaftlichen" Paper Sessions, widmete sich einem sozialen Thema. Dafür gab es ein Panel über Religion im Cyberspace, auf dem u.a. Mark Pesce, Miterfinder der VRML Sprache, von einer religiösen Erfahrung berichten durfte, die er anläßlich eines Sonnenuntergangs über der Bucht von San Francisco empfand und die für ihn in die Erkenntnis mündete, daß die Welt ein "beautiful place" sei. Ein "beautiful place" aber vor allem für "beautiful people", die z.B. Kreativjobs in der Computerindustrie haben.

Bei der Siggraph geizt die Industrie nicht mit ihren Reizen. SGI-Onyx Rechner sind in der Ausstellung so zahlreich wie anderswo Taschenrechner. Allerneueste Projektionstechnik feuert im Stakkato auf spezialbeschichtete Leinwände und Sound dröhnt allerorts in Discolautstärke aus den Boxen. Geld ist wohl genügend vorhanden, wenn es um das Präsentieren der eigenen Vorzüge geht. Darunter fallen auch die allabendlichen Receptions, bei denen Firmen eine ausgesuchte Klientel zu ausgesuchten Orten (Riverboats, Penthouses, Kolonialpaläste ) einladen, um sie mit Cocktails und Hors dŽOuvre zu bewirten. Ziel dieser Fürsorge ist weniger die Kundenpflege als vielmehr die Anwerbung neuer Mitarbeiter. Denn Siliconwood boomt und 3D-Animateure mit Berufserfahrung werden rar. So sind die meisten Effektstudios mit größeren Rekrutierungsabsichten nach New Orleans gekommen. Allein Sony Image Productions (SIP) braucht auf die Schnelle 50 neue Leute (Quelle: Hollywood Reporter). Spitzenleute können sich also in dieser Goldgräberindustrie schon mehr als nur eine goldene Nase holen. Voraussetzung dafür ist aber wohl, den Zirkus genießen zu können und das soziale Gewissen ruhigzustellen. Damit letzteres gelingt, wird eine an Härte kaum mehr zu überbietende Werberhetorik aufgeboten. Ein 3D-Softwarepaket wirbt mit folgenden Sprüchen:

"It doesnŽt feel pity. Or remorse. Or fear. And it absolutely will not stop_EVER_until everything is rendered." Andere Software Pakete versprechen "Fuel for the Mind" zu sein, oder dem User die "Power to rule the world" in die Hände zu geben. Das Publikum, auf das diese Sprüche zielen, sind die Besucher der Siggraph und diese sind, das läßt sich auch ohne statistische Untersuchung nur auf Basis des Lokalaugenscheins sagen, zu mehr als 90% männlich und unter 35. Der Großteil sind weiße Amerikaner, es sind aber auch viele Asiaten vertreten. Menschen dunklerer Hautfarbe wurden kaum gesehen.

So entstand der Eindruck, daß die Art von Industrie, wie sie auf der Siggraph vertreten ist, soziale Ungleichheit der Gesellschaft nicht nur wiederspiegelt, sondern noch verstärkt. SGI ließ Taxis durch die Stadt fahren, auf denen zu lesen stand "3D for a New World". In dieser neuen Welt scheint es opportun, Milliarden in eine Industrie zu pulvern, die klaustrophobische Welten und öde Plastikmonster generiert, während sich in den realen Städten die sozialen Probleme häufen. Der Überfluß und Reichtum, der auf der Siggraph gezeigt wurde, ist obszön und zynisch. Die Entertainment-Produkte und die wissenschaftliche Forschung im 3D Bereich erscheinen gleichermaßen dekadent, wenn man die wahren Probleme der Welt in Betracht zieht. Die digitale Revolution, auf die das Hypemedium Wired so stolz ist, führt sozial und kulturell in vielen Bereichen zu Rückschritten. Der Mensch in all seinen Aspekten, welche die Naturwissenschaften bei weitem noch nicht in der Lage sind, zu durchschauen, wird vorsorglich schon einmal auf ein 3D Gittermodell reduziert. Manipulierbare Abstraktionen des Menschenbildes tendieren dazu, das Original, wenn schon nicht zu ersetzen, so doch zu beherrschen. Was wäre eigentlich, wenn man die gleichen Milliardenbeträge, die nach Siliconwood und in die VR-Forschung gehen, aufwenden würde, um herauszufinden, ob Computer vielleicht auch nützlich für die Bewältigung sozialer Probleme sein können? Daran haben die Investoren wohl kein Interesse.

Es könnte nun so aussehen, als wäre das alles ein amerikanisches Problem. Doch in einer globalen Wirtschaft ist das keineswegs der Fall. Einer der größten Finanziers des digitalen Booms in Siliconwood ist Deutschland. So haben jüngst Kirch und Thoma jeweils Milliardenverträge mit Hollywoodfirmen abgeschlossen. Anders als früher geht es dabei nicht mehr um das Abkaufen fertiger Produktionen, sondern um die Beteiligung an Neuproduktionen auf zehn Jahre hinaus, mit anschließendem exklusiven Verwertungsrecht. Die Geldspritzen von Kirch (mehr als 2 Milliarden Dollar) und Thoma (eine Milliarde Dollar) sind selbst für Hollywooddimensionen viel Geld und die Amerikaner sind ihren Deutschen Partnern sehr dankbar (Quelle: Hollywood Reporter). Dieses Beispiel zeigt, wie in einem europäischen Land Privatsender über Werbeeinnahmen den Rahm vom heimischen Konsumenten abschöpfen und ihn direkt nach Hollywood pumpen, sodaß dort Kreativarbeitsplätze auf Jahre hinaus gesichert sind und Hollywood neuen geistverödenden Schund produzieren kann, den es dann weltweit in Umlauf bringt. So ganz falsch ist der Werbespruch von der "Power to rule the World" also doch nicht, so lächerlich er im ersten Moment auch klingen mag. Denn Deutschland ist nicht das einzige Land, das seinen Massenunterhaltungsbedarf primär mit Produkten aus Hollywood abdeckt. Von überall aus der Welt fließt Geld nach Beverly Hills und zurück fließen computergenerierte Glasperlenspiele.

Wo bleibt die Kunst?

Sind diese Werbesprüche, diese Bilder, diese Animationen mit voller Absicht so gewählt oder sind das Produkte von Leuten, die bloß schnell was möglichst Fetziges hinknallen wollten, etwas, das möglichst modern und digital aussieht oder so klingt und beim Zielpublikum möglichst reinhaut? Wenn letzteres wahr wäre, dann bestünde ja noch eine Chance, daß durch Erziehung und Bildung ein besseres Niveau entsteht. Viele Gestalter von 2D und 3D Grafiken, die sich Künstler nennen, haben, so scheint es, keinen kunsthistorischen Background und damit Vergleichsmöglichkeiten, um Ihre Kreationen in einem größeren kulturellen Kontext zu sehen. Das heißt, daß sie höchstwahrscheinlich kein Gefühl dafür haben, was ihre Kreationen im gesellschaftlichen Kontext anrichten. Gegenwartskunst, ist anzunehmen, könnte dabei eine Rolle spielen, den Bewußtseinslevel zu heben. Die Siggraph verschließt sich der Kunst nicht. Neben tausenden von Animationskünstlern durften auch vierzig Künstler, die in Europa eher mit diesem Begriff assoziieren werden würden, Arbeiten zeigen. Die Show nannte sich "The Bridge" und war auf Räume im Convention Center und das Contemporary Arts Center verteilt. Aufgefallen sind u.a. Masaki Fujihata mit seiner Arbeit "Beyond Pages", Victoria Vesna mit ihrem Web-Projekt Bodies INCorporated und Sommerer/Mignonneau mit dem "MIC Exploration Space". Das Problem ist allerdings, daß nur ein minimaler Bruchteil der 25.000 Besucher der Siggraph den Weg ins Contemporary Arts Center gefunden hat. Das Problem der Erziehung durch Kunst oder zur Kunst scheint also zu sein, daß man die Leute dazu zwingen müßte. Das galt auch für das Panel "Webbed Spaces", das Perry Hoberman organisiert hatte, und an dem Ken Feingold, Victoria Vesna und Stelarc teilnahmen. Trotz dieser bekannten Namen und eines interessanten Themas, war der Saal fast leer.

Wie kann man also die Menschen dazu bringen, ihr Medienverhalten besser zu verstehen und ein Bewußtsein für die kulturellen Codes zu entwickeln, auf die sie (un)freiwillig reagieren. So wie es im Moment aussieht, fördern die digitalen Medien jenen Schlaf der Vernunft, der die Monster gebiert. Die Computer und Netze stellen aber auch sehr viele Anwendungen für edukative und medizinische Zwecke zur Verfügung. Kann das einen Ausgleich schaffen? Kann eine Art Anleitung zur Selbstanleitung massenhafte Verbreitung finden, z.B. durch die interaktiven und kommunikativen Qualitäten des Netzes? Die Siggraph 96 gibt eher den Skeptikern neue Munition. Kunst und edukative Programme sind wohl bloß ein Feigenblatt für die große Zockerrunde aus Siliconwood, die sich für einige Tage in der romantischen Hauptstadt Loisianas versammelt hatte.

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