Sind Seenotretter im Mittelmeer für mehr Flüchtlinge verantwortlich?

Seite 2: Kein Unterschied zwischen Fluchtrouten mit Rettern und ohne Retter

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine weitere Untersuchung kommt auf einem anderen Weg zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Untersuchung Blaming the Rescuers stammt von der Initiative "Forensic Oceanography". Die an der University of London angesiedelten Gruppe dokumentiert mithilfe von Satellitenbildern, Geodaten und Augenzeugenberichten die Situation von Flüchtlingen.

Sie verglichen die Flüchtlingszahlen von verschiedenen Mittelmeerrouten miteinander. Dabei stellten sie fest, dass es bei deren Aufs und Abs keinen Unterschied gibt zwischen Routen, auf denen Retter präsent sind und jenen, wo sie es nicht sind. So habe zwischen 2015 und 2016, als die ersten NGOs ins Mittelmeer kamen, zwar einen starken Anstieg der Flüchtlingszahlen gegeben. Dies treffe aber ebenso auf die zentrale Mittelmeerroute (Libyen-Italien), auf der Seenotretter präsent sind, wie auf die westliche Route (Marokko-Spanien), auf der keine Rettungsschiffe verkehren.

Zunehmend gefährliche Überfahrten sind Ursache und nicht Folge von Seenotrettung

Auch mit der Frage, ob Seenotretter nicht dennoch dazu beitragen, dass Schlepper ihre Klienten häufiger auf gefährlichere Überfahrten schicken, hat sich die Gruppe befasst. Tatsächlich habe es seit 2015 eine "Abwärtsspirale" bei der Qualität der Überfahrten gegeben, schreibt das "Forensic Oceanography"-Team. Schlepper würde zunehmend auf hochseetaugliche Boote verzichten, diese außerdem überladen und häufiger bei schlechtem Wetter losschicken. Bei der Frage von Ursache und Wirkung kommt die Studie allerdings zu einem anderen Schluss.

Erst infolge der immer gefährlicher werdenden Überfahrten und gestiegener Todeszahlen hätten NGOs die Initiative ergriffen und ihre Schiffe ins Mittelmeer geschickt. Ursache für die schlechteren Überfahrtbedingungen sei hingegen die Politik von libyschen Behörden, Milizen und EU, die seit 2015 zum Beispiel zunehmend darauf setzen, hochseetaugliche Boote zu zerstören. Die Studienmacher schreiben:

Die Präsenz der NGOs (...) war eine Antwort auf diese Entwicklungen, (...) aber sie war nicht die Ursache für die sich verschlechternden Bedingungen der Überfahrt.

Blaming the Rescuers

Die tatsächliche Ursache für die Zunahme der Flüchtlingszahlen findet die Gruppe in wenig überraschenden Faktoren: Die Krisen und Kriege in den Herkunftsländern, sowie die Situation in Libyen, wo die meisten Flüchtlinge auf eine Überfahrt warten. In Bezug auf die Arbeit der Seenotretter lässt sich hingegen nur der offensichtlichste Zusammenhang belegen: Ihr Einsatz rettet Menschen das Leben.