Singapur im Schwarzen Meer

Seite 2: Gute Entwicklungschancen für eine unabhängige Krim

Eine unabhängige Krim kann als gleichzeitig brodelnder Entwicklungskern und politischer Ruhepol für die gesamte Schwarzmeerregion wirken. In Kleinstaaten haben die politischen Entscheidungsträger deutlich größere Anreize, Politik im Interesse ihrer Bürger zu machen, als in Flächenstaaten. Fünf Mechanismen würden den Erfolg der Krim als Kleinstaat begünstigen:

1. Anreize zu guter Politik. In Kleinstaaten wirkt sich die Qualität der Politik durch die Mobilität von Menschen und Unternehmen viel stärker und schneller auf das die Möglichkeiten der Regierenden aus als in Flächenstaaten. Selbst eigennützige und undemokratische Regierungen, die nur ihre Regulierungsmacht und Steuereinnahmen maximieren wollen, können nicht einfach an der Steuer- und Regulierungsschraube drehen. Sonst haben sie durch Abwanderung bald weniger zu regulieren und zu besteuern. Dies setzt Anreize für die Regierung in Kleinstaaten, ein funktionierendes Staatswesen zu schaffen und Korruption zu vermeiden.

2. Effizienz statt Umverteilung. In Flächenstaaten neigen die politischen Entscheidungsträger häufig zu Verteilungskämpfen zwischen den Regionen, insbesondere zwischen der Hauptstadt und dem Umland. In Kleinstaaten hingegen ist eine systematische Umverteilung zwischen Hauptstadt und Umland aufgrund der hohen Mobilität weit weniger attraktiv. Dies zwingt die politischen Entscheidungsträger, sich stärker auf Effizienzsteigerungen und Wohlfahrtsgewinne für alle Bürger zu konzentrieren.

3. Bessere Information. Das Staatswesen funktioniert umso besser, je besser die Politiker über die Präferenzen der Bürger und die Bürger über die Politiker informiert sind. In Kleinstaaten erleichtert die geographische Kleinheit die gegenseitige Beobachtung von Politikern und Bürgern. Auch die Meinungs- und Medienfreiheit ist in Kleinstaaten oft besser gewährleistet. Die Bürger haben leichteren Zugang zu ausländischen Medien, und inländische Medienschaffende können im Falle einer Verletzung ihrer Freiheit leicht ins Ausland ausweichen und von dort aus ihre Leser, Hörerinnen und Zuschauer erreichen.

4. Größere Offenheit. Wirtschaftliche Offenheit ist in Kleinstaaten eine Voraussetzung, um die Versorgung der Bürger zu gewährleisten. Deshalb verfolgen Kleinstaaten in der Regel eine liberalere Wirtschaftspolitik und sind weniger protektionistisch als Flächenstaaten, was zu hohen Wohlfahrtsgewinnen führt. Für Kleinstaaten lohnt es sich auch, ihren Bürgern und der Wirtschaft das zu bieten, was die Regierungen der großen Flächenstaaten vernachlässigen, um ihre Standortattraktivität zu erhöhen.

5. Nachhaltige Demokratisierung. Alle genannten Mechanismen führen dazu, dass die Regierung stärker auf die Präferenzen der Bürger Rücksicht nehmen muss. Das heißt, ihre Macht wird eingeschränkt und Macht ist weniger wert. Deshalb sind Regierungen in kleinen Staaten weniger bestrebt, ihre Macht auszudehnen, und sind eher bereit, die institutionellen Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Bürgerpräferenzen, nämlich Dezentralisierung und starke demokratische Rechte der Bürger, zu akzeptieren.

Erfolgreiche Kleinstaaten tragen auch entscheidend zur Entwicklung benachbarter Länder und Regionen bei, da sie den dort lebenden Bürgern hervorragende Migrations- und Vergleichsmöglichkeiten bieten. Die Regierungen der umliegenden Flächenstaaten müssen sich an den Kleinstaaten messen lassen und können von deren Problemlösungen und Innovationen lernen.

Viele erfolgreiche Kleinstaaten sind nicht nur Steueroasen für Superreiche, sondern bieten ihren Bürgern oft bessere Leistungen als die umliegenden Länder und Territorien. Sie sind also keine Rosinenpicker, wie manchmal fälschlicherweise behauptet wird. Die wahren Rosinenpicker sind vielmehr manche Hauptstädte von Flächenstaaten, die auf Kosten des Umlandes leben.

Erfolgsvoraussetzungen

In Staaten von der Größe der Krim ist der Erfolg nicht praktisch garantiert wie in typischen Klein- und Stadtstaaten wie Liechtenstein, San Marino, Luxemburg, Singapur oder einigen Arabischen Emiraten. Die Erfolgsaussichten sind aber deutlich besser als in großen Flächenstaaten ohne nachhaltig gefestigte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Eine attraktive Lage des Kleinstaates begünstigt seine Entwicklung. Idealerweise sollten keine bedeutenden natürlichen Ressourcen vorhanden sein. Eine gute Lage und die Armut an natürlichen Ressourcen veranlassen die Regierung dazu, auf eine hohe Standortattraktivität zu setzen, anstatt nur die Ressourcen auf Kosten der eigenen Bevölkerung auszubeuten. Die Grenzen sollten klar, natürlich und gut schützbar sein, aber kein großes Handelshemmnis darstellen.

Die Krim erfüllt diese Bedingungen perfekt, da sie eine Halbinsel mit Brücken zu zwei großen Handelspartnern ist und über gute Häfen mit kurzen und offenen Seewegen zu anderen Handelspartnern und zum Mittelmeer verfügt.

Schließlich ist eine gewisse Multikulturalität gut für die Entwicklung von Kleinstaaten, aber gleichzeitig erleichtert eine gewisse Homogenität das Zusammenleben. Auch diese Voraussetzungen sind auf der Krim gegeben. Die heutigen Konfliktlinien verlaufen zwischen Völkern, die noch vor wenigen Jahrzehnten auch unabhängig von einem "sowjetisch-russisches Narrativ" als Brudervölker galten.

Wichtiger ist, dass sie wenigstens auf einer unabhängigen Krim nach einem vernünftigen Friedensschluss aufgrund sprachlicher und familiärer Bindungen in wenigen Jahren wieder zu echten Brudervölkern werden könnten. Die Befriedung dürfte - bei kluger Politik – leichtfallen, da die Krim kein geteilter, sondern ein multiethnischer Staat mit einem bedeutenden Anteil von Tataren wäre.

Die Unabhängigkeit der Krim wird nicht vom Himmel fallen. Das Putin-Regime hat von allen Beteiligten wohl das geringste Interesse an einer unabhängigen Krim.

Gleichzeitig hat es aber auch kein Interesse daran, dass die Krim wieder ukrainisch wird. Es scheint vor allem an einem langen Krieg interessiert zu sein, um seine Macht gegenüber der eigenen russischen Bevölkerung zu stabilisieren.

In langen Kriegen gewinnen aber auf allen Seiten Kriegsgewinnler und Kriegsspezialisten an Einfluss, die vom Krieg gut leben können und Angst vor einem dauerhaften Frieden haben.

Das Modell einer unabhängigen Krim muss daher überzeugend vertreten und in wichtigen Aspekten weiterentwickelt werden, insbesondere hinsichtlich seiner demokratischen Institutionen, der internen Dezentralisierung, einer möglichen Neutralität und internationaler Schutzgarantien.

Dabei gilt es, Gestaltungsspielräume für die Bürger der Krim zu schaffen und zu erhalten, idealerweise durch direktdemokratische Instrumente. Schließlich stellt sich die Frage, inwieweit das Modell den Konfliktparteien vermittelt werden kann. Denn bei einigen wird es auf Vorbehalte stoßen, gerade weil es die Freiheit und den Wohlstand der Bürger in der gesamten Region fördert.

Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Freiburg (Schweiz) und Forschungsdirektor von CREMA Schweiz (Center for Research in Economics, Management and the Arts, Schweiz). David Stadelmann ist Professor für Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Entwicklung an der Universität Bayreuth, Research Fellow von CREMA und beim Ostrom Workshop (USA).

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