Sinnlos krabbeln die Nazi-Käfer

Seite 2: NSU-Egoshooter und Voyeurismus

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Erklärung des NSU-Rechtsextremismus aus Hass, Sex, Sadomaso entspricht zwar bestimmten, durchaus überzeugenden Theorien des Faschismus.

Aber im Unterschied zu jenen italienischen Filmemachern, die diese auf der Leinwand ins Bild setzten, im Unterschied zu Luchino Visconti, Liliana Cavani, Lina Wertmüller und Pier Paolo Pasolini, lässt dieser Film das Publikum außen vor.

Er verführt es nicht, im Gegenteil: Schon eher versucht der Film, es anzuekeln. Möglicherweise schwebte Jan Bonny irgendwann mal vor, Pasolinis Methode, sich der Perspektive der Täter auszusetzen, ihren Blick einzuverleiben, ohne sich ihm zu unterwerfen, auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Bei Bonny wird daraus aber ein NSU-Egoshooter und Voyeurismus.

Wintermärchen. Bild: © W-film / Heimatfilm

Aber ein deutsches "Salo" ist der Film nicht mal im Ansatz. Es bleibt bei Sensationalismus und kaltem, Ernst-Jünger-haften Voyeurismus - ein überzeugendes Spiel mit faschistischer Ästhetik ist nicht zu entdecken.

Das belegt ganz an der Oberfläche schon die Musikauswahl: Wo Pasolini Chopin, Bach, Orff und Puccini spielt, dudeln bei Bonny "Die Ärzte": "Schrei nach Liebe". Und zwar bedeutungsschwanger geflüstert.

Was macht das für einen Unterschied? Wenn in Pasolinis "Salo" gebildete, bürgerliche Menschen zu sehen sind, in einem Setting aus teuren Antiquitäten und Avantgarde-Möbeln, dann kann sich das gebildete Publikum nicht der Illusion hingeben, mit ihnen hätte das alles nichts zu tun. Bonny zeigt Unterschicht-Terror. Und den kann man sich schnell auf Distanz halten.

Diese Menschen sind dumm, retardiert, unfähig

Zugleich macht man es sich auch zu leicht, wenn man sich, wie etwa die Kritikerin Denise Bücher, darüber not amused zeigt: "Unerträglich an 'Wintermärchen' sind nicht der fehlende Plot oder die unmotiviert langen und ständig wiederkehrenden ekligen Sexszenen, (...) Unerträglich an diesem Streifen ist, dass er so wirkt, als ob ein Student aus der Mittel- oder Oberschicht seine klischierte Vorstellung vom zum Ausländerhasser mutierten arbeits- und orientierungslosen Primitivling verfilmt hätte. Die Figuren sind unglaubwürdig, weil sie wirken wie übereifrige Schauspielschüler beim Improvisationsseminar: Spiel mal Borderline! Spiel den Rassisten! Sei ein Arschloch! Und jetzt besoffen!"

So verständlich diese Reaktion sein mag, das harte Urteil ist schon deswegen falsch, weil der NSU-Terror nunmal eine Hassattacke von ganz unten war, weil Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kaputte Versager waren, nicht Intellektuelle wie Meinhof, höhere Töchter wie Ensslin, Revoluzzer-Dandys wie Baader und Künstler wie Meins.

Bonny gelingt eine sehr kluge, sehr präzise Mentalitätsstudie über Mörder, die keine Intelligenz brauchen, um zum Morden fähig zu sein, sondern Dummheit, Rohheit, Dumpfheit, Abstumpfung - wie die SS-Männer an der Ostfront oder im Appenin.

Es ist hervorragend, dass es endlich mal genauso gesagt wird: Diese Menschen sind dumm, retardiert, unfähig, miteinander zu reden, unfähig sich selbst und ihre Gefühle und Affekte zu kontrollieren, total leichtfertig und blöd (was die Blödheit des Verfassungs"schutzes" nur noch deutlicher herausstellt).

Du bist wirklich saudumm/ Darum geht's dir gut/
Hass ist deine Attitüde/ Ständig kocht dein Blut/
Alles muss man dir erklären/ Weil du wirklich gar nichts weißt
Höchstwahrscheinlich nicht einmal/ Was Attitüde heißt.

Die Ärzte: "Schrei nach Liebe"

Die Erotik des Bösen

Dass dadurch nun auch "jedwede ideologische Motivation für die Morde ihre Stichhaltigkeit verliert", ist natürlich nur eine fromme Lüge und schöne Illusion der Bürgerlichen im "Spiegel". Dazu passt dann auch der Kurzschluss, dass Feiern und Saufen in der Kneipe, Bierseligkeit und Schlagerpolonaise schon zwangsläufig in rechte Parolen münden würden. Dass diese mit Faschismus gleichzusetzen wären. Und jener nur als Mordterror zu denken ist. Das verharmlost vor allem den Faschismus.

In der Online-Version des Hamburger Magazins vergreift man sich dann im Ton: "Wann hat sich ein deutscher Film zuletzt so vehement und unzweideutig mit Figuren der Zeitgeschichte auseinandergesetzt? Nach 'Wintermärchen' muss sich das deutsche Kino an neue Maßstäbe der politischen wie auch der persönlichen Dringlichkeit gewöhnen." Ach echt? Macht mal halblang, Kollegen.

Die eigentliche Zumutung dieses Films, das hat der Print-Kollege Wolfgang Höbel besser erkannt, ist, dass die Frau hier treibende Kraft eines Mördertrios ist. Mit der "Banalität des Bösen" (Hannah Arendt) hat all das weniger zu tun als mit seiner Erotik.

Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit

Dies ist ein sehr guter, sehr unsympathischer Film, in dem viel (zu viel?) Faszination und (perverse) Erotik erkennbar ist; dessen Regisseur seinen Objekten, ohne es zu wollen (?), vielleicht sogar ohne es zu merken (?), zu viel Liebe und falsche Aufmerksamkeit entgegenbringt.

Am Ende hält "Wintermärchen" sich raus. Dies ist ein glänzend gemachter, aber auch ein kalter Film; eine prekäre Gratwanderung, die in eine unentschiedene und daher auch unpolitische Position mündet. Jan Bonny unternimmt eine Vivisektion des Rechtsextremismus: Wie ein Käfersammler spießt er seine Figuren auf und sieht ihnen beim sinnlosen Krabbeln zu.

Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe/
Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit/
Du hast nie gelernt dich zu artikulieren/
Und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit/
Oh oh oh, Arschloch...

Was an diesem Film wirklich sympathisch ist, ist etwas ganz anderes: Der Film wurde im Wahnsinnstempo von einem knappen Jahr produziert. Keine Fernsehredaktion war beteiligt und kaum ein Fördergremium. Die Ignoranz überrascht nicht, aber traurig macht sie auch nach all den Jahren.

Ohne Frage stimmt der Befund Peter Körtes in der FAS, "Wintermärchen" gehöre zu den Filmen, "die einem zusetzen, einen ekeln, anwidern, von denen man sich dennoch nicht abwendet, weil da jemand etwas riskiert".