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Skandalpreis statt Friedenspreis: Warum sich der Börsenverein des Buchhandels moralisch verrannt hat

Themen des Tages: Steht für Frieden, wer andere Völker hasst oder Kriege führt? Kriegsmüdigkeit? Nicht in der Ukraine. Klimaschutz? Nicht in der EU.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Die übergroße Mehrheit der Menschen in der Ukraine wollen den Krieg fortführen. Zumindest derjenigen, die noch im, Land sind und ans Telefon gehen.

2. Die Europäische Union wird den Klimaschutz bei einer wichtigen Tagung in Ägypten wohl nicht voranbringen.

3. Warum der Friedenspreis am Ende der Frankfurter Buchmesse zwar dem westlichen Zeitgeist entspricht, aber trotzdem falsch ist.

Doch der Reihe nach.

Umfrage: Ukrainer stehen hinter dem Krieg

"Erstaunlich" sei es, dass sich laut einer Umfrage aus der Ukraine 86 Prozent der telefonisch Befragten in der Ukraine dafür aussprechen, weiterzukämpfen, auch wenn der russische Beschuss der Infrastruktur anhält. Nur zehn Prozent sind für Verhandlungen, im Osten sind es allerdings 29 Prozent, heißt es in dem Bericht von unserem Partnermagazin Overton [1].

Die Meinungsumfrage "Omnibus" wurde vom 21. bis 23. Oktober 2022 durchgeführt. Sie basiert auf einer Zufallsstichprobe von Mobiltelefonnummern, befragt wurden 1.000 Bürger der Ukraine, die über 18 Jahre alt sind.

Twitter: Übernahme durch Elon Musk noch diese Woche?

Bis zum Freitag möchte Tesla-Chef Elon Musk den Kauf von Twitter abschließen, berichtet heute Telepolis-Autor Bernd Müller. Das habe Musk in einer Videokonferenz mit Bankern erklärt, sagte eine mit der Sache vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Banken sollen knapp 13 Milliarden US-Dollar zur Übernahme beisteuern [2].

Die Agentur Bloomberg berichtete, die Finanzinstitute hätten die endgültige Kreditvereinbarung abgeschlossen und seien dabei, die erforderlichen Dokumente zu unterzeichnen. Im April hatte Musk angekündigt, er wolle das soziale Netzwerk für 44 Milliarden US-Dollar übernehmen.

EU bremst globale Klimaziele

Im zweiten Teil seiner Klima-Kolumne schreibt Telepolis-Autor Wolfgang Pomrehn, die EU-Mitgliedsstaaten seien noch immer viel zu langsam, wenn es um die Umsetzung von Klimaschutz und den Ausbau der erneuerbaren Energieträger gehe [3].

Allein um die für 2030 selbstgesteckten und unzureichenden Klimaschutzziele zu erreichen, müssten die Anstrengungen verdoppelt werden. Das ist das Ergebnis einer Studie der Europäischen Umweltagentur in Kopenhagen. Demnach wird trotz mittelfristig sinkender Treibhausgasemissionen das Ziel für 2030, den Ausstoß um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken, krachend verfehlt werden. Ganz zu schweigen vom Ziel, bis 2050 klimaneutral wirtschaften zu wollen.

Serhij Zhadan steht nicht für Frieden. Nicht literarisch, nicht persönlich.

Für einige Aufregung sorgte dieser Tage ein Kommentar des langjährigen Fernsehjournalisten Franz Alt zum Friedenspreis des deutschen Buchhandels [4]. Die Wahl des verantwortlichen Börsenvereins des deutschen Buchhandels war auf den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan gefallen. Franz Alt hielt das wegen aggressiver antirussischer Kommentare für skandalös.

Der Ansicht Alts, dessen Kolumnen Telepolis seit Jahren bisweilen von dessen Homepage sonnenseite.com übernimmt, stand im krassen Widerspruch zu einem Bericht des medialen Mainstreams. Tagesschau.de etwa stellte Zhadan als "Schriftsteller, Musiker und freiwilligen Helfer im Krieg" vor. Für sein Werk und seinen humanitären Einsatz sei er mit dem Friedenspreis geehrt worden. Zu den antirussischen Kommentaren: nichts weiter.

Daher noch mal einige Worte zum journalistischen Umgang: Zunächst hat Telepolis die Kolumne übernommen und als Kommentar kenntlich gemacht. Die Zitate Zhadans, die maßgeblich aus einem Artikel der Wochenzeitung Die Zeit wiedergegeben waren, wurden verifiziert. Eine umfassendere Darstellung, wie sie im Telepolis-Forum mitunter eingefordert wurde, ist immer anstrebenswert, war aber in diesem Fall nicht notwendig.

Was zu einigen notwendigen Worten zur inhaltlichen Einordnung führt: Zhadans entmenschlichende Rhetorik über "die Russen" ist abzulehnen. Punkt. Das gilt in diesem Fall ebenso wie entsprechende und stärker werdende Tendenzen in Russland gegenüber "den Ukrainern".

Wenn Zhadan "die Russen" als "Horde", "Verbrecher", "Tiere", "Unrat" bezeichnet, dann kann er das als Vertreter eines attackierten Landes tun. Auch das muss von der sicheren deutschen Redaktions- und Forenperspektive aus eingestanden werden. Aber es disqualifiziert ihn eben für einen Friedenspreis. Dafür muss man nicht sein Tagebuch "Himmel über Charkiw" lesen. Diese und weitere Äußerungen stehen für sich und zeigen, dass dem Börsenverein der moralische Kompass verlorengegangen ist.

Das gilt auch angesichts des Umstandes, dass der Börsenverein einem unguten Zeitgeist folgt. Der hat schließlich auch begünstigt, dass der telegene Drohnenmörder Barack Obama den Friedensnobelpreis verliehen bekommen hat. Ebenso wie der Tigray-Völkermörder Abiy Ahmed.

Diese Widersprüche zu thematisieren, ist und bleibt journalistische Pflicht.

Artikel zum Thema:

Franz Alt: Friedenspreis für Russen-Hass [5]
Sabine Schiffer: Friedensnobelpreis oder Nobelpreis für Menschenrechte? [6]
Thomas Pany: Afghanistan nach dem Abzug: "Kampf aus der Ferne" [7]


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7322495

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Umfrage-in-der-Ukraine-86-Prozent-fuer-Weiterkaempfen-7322321.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Twitter-Nutzer-fliehen-in-Scharen-Elon-Musk-zahlt-dennoch-Rekordsumme-7321232.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/EU-Wenig-Interesse-an-Klimaschutz-7321618.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Friedenspreis-fuer-Russen-Hass-7317325.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Friedenspreis-fuer-Russen-Hass-7317325.html?seite=all
[6] https://www.heise.de/tp/features/Friedensnobelpreis-oder-Nobelpreis-fuer-Menschenrechte-7289096.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-nach-dem-Abzug-Kampf-aus-der-Ferne-6017447.html