Umfrage in der Ukraine: 86 Prozent für Weiterkämpfen
Ukrainische Bevölkerung weit entfernt von Panik und Verzweiflung? Laut einer Umfrage in Russland bleibt das Vertrauen in Putin hoch. Allerdings hat sich die Stimmung eingetrübt.
Es sei alles viel furchtbarer, "als wir uns das in Deutschland vorstellen", schilderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Eindrücke aus Kiew gegenüber den ARD-tagesthemen. Es sei erschütternd, die Geschichten mitanzuhören, "die uns berichtet worden sind". Beeindruckt hätten ihn der Mut und die Unbeugsamkeit der Ukrainer.
Was die Chancen auf einen Waffenstillstand betrifft, so äußerte Steinmeier, dass er momentan "keine Anhaltspunkte" sehe, die auf baldige Verhandlungen hindeuteten.
Die Ukraine solle auch nicht dazu gedrängt werden, sagte Egon Ramms, von 2007 bis 2010 Oberbefehlshaber des europäischen Nato-Kommandos in Brunssum gegenüber dem ZDF. Er wirft Russland vor, dass man mit der Evakuierung in Cherson, die Bevölkerung terrorisiere, damit "ihr praktisch die Moral gebrochen wird".
Nach Angaben der Weltbank hat sich die Armut in der Ukraine in diesem Jahr verzehnfacht. Der Österreichische Rundfunk zitiert Regionaldirektor Arup Banerji mit der Aussage, dass die Angriffe Russlands auf die Infrastruktur des Landes die Lage weiter verschlimmern könnten.
Nach seiner Prognose dürften 25 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer bis Ende dieses Jahres unter die Armutsgrenze fallen. Vor dem Krieg seien es nach seiner Darstellung nur "etwas über zwei Prozent" gewesen. Für das kommende Jahr befürchtet er, dass am Ende "mehr als die Hälfte der Ukrainer in Armut leben könnten". Die Red.
Umfrage unter Kriegsbedingungen: "Das ukrainische Volk bewahrt seine starke Einheit und Stabilität"
Umfragen unter Kriegsbedingungen können, wenn sie den Krieg betreffen, höchstens eine Tendenz zum Ausdruck bringen, sofern nicht von vorneherein manipuliert werden.
Eine Umfrage aus der Ukraine des Kyiv International Institute of Sociology (KIIS) kommt zum erstaunlichen Ergebnis, dass 86 Prozent der telefonisch Befragten sich dafür aussprechen, weiter zu kämpfen, auch wenn der Beschuss der Infrastruktur anhält. Nur 10 Prozent sind für Verhandlungen, im Osten sind es allerdings 29 Prozent.
Die Meinungsumfrage "Omnibus" wurde vom 21. bis 23. Oktober 2022 durchgeführt. Sie basiert auf einer Zufallsstichprobe von Mobiltelefonnummern, befragt wurden 1.000 Bürger der Ukraine, die über 18 Jahre alt sind.
Kommentiert wird das Ergebnis so, dass es deutlich wird, dass es ein erwünschtes ist:
Wenn das Ziel des terroristischen Beschusses ukrainischer Städte für Russland darin bestand, Panik und Verzweiflung zu säen und die Ukrainer zur Kapitulation zu zwingen, dann sehen wir einmal mehr, wie Russland seine Ziele "brillant" verwirklicht. … Das ukrainische Volk bewahrt seine starke Einheit und Stabilität und ist bereit, den Kampf um den Sieg fortzusetzen.
Kyiv International Institute of Sociology (KIIS)
Letzteres war allerdings nicht gefragt, auch nicht, wo die Schmerzgrenze liegt.
Die Umfrage ist allerdings nicht für die gesamte Ukraine, die von Kiew beansprucht wird, repräsentativ. Ausgespart blieben – notwendigerweise – die Menschen, die in den "Volksrepubliken", auf der Krim und in den nach Februar besetzten Gebieten leben. Wer die Ukraine nach Beginn des Kriegs verlassen hat, wurde ebenfalls nicht befragt, es handelt sich um einige Millionen.
Unklar bleibt, wie es mit den Binnenvertriebenen steht, dazu kommt, dass Telefonverbindungen in manchen Regionen nicht funktionieren oder dass Menschen mit pro-russischen oder nicht regierungskonformen Einstellungen entweder nicht an Umfragen teilnehmen oder nicht ihre Meinung äußern könnten. Macht nichts, sagt KIIS:
Im Allgemeinen glauben wir, dass die erhaltenen Ergebnisse immer noch sehr repräsentativ sind und eine ziemlich zuverlässige Analyse der öffentlichen Einstellungen der Bevölkerung ermöglichen.
Kyiv International Institute of Sociology (KIIS)
In Russland kommt das staatliche Institut VTSIOM bei einer Umfrage, die zwischen 10. und 16. Oktober gemacht wurde, zu dem Ergebnis, dass weiterhin 80,6 Prozent Wladimir Putin ihr Vertrauen aussprechen.
77 Prozent sind mit seiner Arbeit zufrieden. Der Abstand zu anderen Politikern und der Regierung ist wie immer groß. Allerdings kam das unabhängige Levada-Institut im September zu einem ähnlichen Ergebnis, auch wenn die Zustimmungswerte vermutlich durch die Teilmobilisierung und die Verluste in der Ukraine leicht zurückgegangen sind.
Ende September habe sich die Stimmung in der russischen Bevölkerung eingetrübt, wird als am 12. Oktober veröffentlichtes Ergebnis einer Umfrage vom Vormonat konstatiert. Tatsächlich sagen nur noch sieben Prozent, sie seien in guter Stimmung, im August sagten dies noch 15 Prozent. Statt 65 Prozent sind jetzt noch 45 Prozent ausgeglichen.
Anspannung und Gereiztheit nahmen von 17 auf 32 Prozent und Angst von vier auf 15 Prozent zu. Ängstlich sind vor allem Geringverdiener, die einer unsicheren Zukunft entgegensehen. 69 Prozent sehen sich allerdings als freie Menschen, eine Haltung, die ab 2014 um diesen Wert pendelt und früher geringer verbreitet war.
Zurück zur Ukraine. Anfang September fragte das KIIS, ob die Menschen in der Ukraine – mit den oben beschriebenen Einschränkungen der Umfrage – "glücklich" sind. Angeblich sind 68 Prozent glücklich, nur ein leichter Rückgang von den 71 Prozent im Januar 2022.
Ab 2018 nahm der Anteil der Glücklichen bereits stark zu. Erstaunlich ist auch, dass der Anteil derjenigen, die nicht als glücklich bezeichnen, von 15 Prozent im Januar auf 13 Prozent im September zurückgegangen ist.
Nach der Umfrage scheinen die Ukrainer nicht sonderlich unter dem Krieg zu leiden. Wie immer gibt es aber einen Unterschied zwischen der Westukraine, der Mitte und dem Süden und der Ostukraine. In der Westukraine sehen sich 77 Prozent als glücklich und 4 Prozent nicht, im Januar waren es 75 bzw. 12 Prozent.
Es gibt demnach im Krieg weniger Unglückliche als davor. Im Osten sank der Anteil der Glücklichen am stärksten von 69 auf 59 Prozent, während der der Unglücklichen von 14 auf 22 Prozent stieg.
Der Kommentator der kürzlich durchgeführten Umfrage sieht eine größere Gemeinsamkeit durch den Krieg. Man rückt zusammen und ist glücklicher (zumindest dort, wo nicht die Kämpfe wüten):
Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft hat deutlich zugenommen, regionale Unterschiede haben abgenommen, der Wert des Staates für die Bevölkerung der Ukraine ist gestiegen, die gegenseitige Unterstützung hat zugenommen und das soziale und psychologische Klima hat sich verbessert. All dies erhöht das Glücksniveau der Ukrainer.
A. Hrushetskyi, Kyiv International Institute of Sociology (KIIS)
Das ist natürlich ein Argument für die Kriegsführung.
Kriege fördern die Einheit der Nation, für Hegel, der nichts vom ewigen Frieden Kants hielt, sind sie gut und notwendig für die "sittliche Gesundheit" von Völkern. Dann haben wir gute Zeiten für die sittliche Gesundheit. Wenn die Nation zusammenrückt, sind das allerdings schlechte Zeiten für Oppositionelle und einen offenen Diskurs.
Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Overton-Magazin.