So geriet die Friedensbewegung in die Nato-Sackgasse

Seite 2: "Frieden mit Russland"?

Als sich schließlich die Krise um die Ukraine 2014 zuspitzte und die westlichen und bundesdeutschen Medien (bis hin zur politisch grünen Tageszeitung taz) in ihrer Mehrzahl Putins Russland als alleinigen Aggressor zeichneten, formierte sich ein neues Friedensmilieu, das sich mit der Selbstbezeichnung "Montagsmahnwachen für den Frieden" teilweise in die Tradition der DDR-Opposition stellen wollte.

Es ist dem grünen Milieu und der Tageszeitung taz sehr stark entfremdet, weil gerade diese – wie auch die grüne Böll-Stiftung – einen besonders aggressiven Anti-Putin-Kurs fährt; der Hintergrund der grünen Ukraine-Unterstützung besteht in klassenpolitischen Fragen.

Die grünen Mittelschichtsvertreter unterstützen die Anliegen und Interessen der europaaffinen ukrainischen Mittelschicht, der Künstler, Erasmus-Studierenden und IT-Angestellten, von russischem Gas- und Öl will man im Sinne einer ökologischen Wende ohnehin abrücken.

Unterfüttert ist dies mit einem traditionellen antikommunistischen Antisowjetismus, im besseren Fall Antiautoritarismus, den die grünen Protagonist:innen auf das "rückständige und rückschrittliche" Russland richten. Besonderer Hass und Enttäuschung über diese Haltung traf die Grünen vonseiten der neuen pro-russischen "Friedensfreunde".

Youtube-Filme und Bilder von Rednerinnen und Rednern der Montagsmahnwachen zeigten das bunte Sammelsurium an Meinungen, die hier grassierten. Selbständige oder Freiberufler mit überdurchschnittlichem Bildungsstand, der jedoch geringer ist als bei anderen sozialen Bewegungen, dominierten die Bewegung, die allerdings auch viele prekarisierte Abgehängte und Opfer des ab 2005 herrschenden Hartz VI-Arbeitslosenregimes anzog.

Auch zeigte sich, dass zehn Jahre Prekarisierung der Verhältnisse zuweilen schlimme mentale und psychische Folgen hervorruft; an den Verhältnissen irre Gewordene traten nochmals prominenter ins Scheinwerferlicht als in anderen, auch quantitativ viel größeren sozialen Bewegungen. Sie wurden allerdings auch von konformistischen Pressevertretern gerne ins besonders grelle Licht gerückt, um Friedenspositionen generell zu diskreditieren.

Anders als in den alten Friedensbewegungen herrschte hier keine Dominanz eines linken Grundverständnisses vor. Auch der klassische linke Antiimperialismus als Verlängerung marxistischer Tradition spielte keine Rolle. Weder mochte sich ein klassenbasierter Antimilitarismus artikulieren noch eine wirklich breit geteilte Endzeitstimmung wie in den 80er-Jahren sich erheben.

Soziologische Studien sprechen davon, dass in den Montagsmahnwachen Menschen mit wenig bis keinen politischen Vorerfahrungen agieren. Der Organisationsgrad sei gering gewesen und viel weigerten sich, die eigene Position im üblichen Links-Rechts-Schema zu verorten.

Dahingegen spielte das Internet, wo jede Meinung, wie begründet oder bizarr auch immer, ihr Forum finden kann, eine wichtige Rolle als Bezugspunkt und Medium der Informationsbeschaffung und Organisierung, es dient vor allem dazu, sich eine kritisch gemeinte, postmoderne politische Patchwork-Identität und Weltanschauung zurechtzulegen.

Auf den Versammlungen sprachen sowohl alternative Medienprofis und unternehmerische Selbstvermarkter wie Ken Jebsen, Rechtspopulisten wie der ehemalige Antideutsche Elsässer, Zinskritiker, aber auch viele politisch haltlose Friedenssehnsüchtige. Statt einer Kapitalismus- und Imperialismusanalyse zu folgen, verlegten sich viele Redner auf das Anklagen der Dominanz der amerikanischen Zentralbank FED.

Waren die westdeutschen Friedensbewegungen von den westdeutschen Nach-68er-Diskursen geprägt, so sind die Montagsmahnwachen von ostdeutschen Diskursen geprägt, was sich in der Häufung der Verwendung des Begriffs "Faschismus" für normale demokratisch-kapitalistische Strukturen zeigte, aber auch in einer unverhohlen nationalen und "souveränistischen" Diktion, die sich in der DDR stärker konservierte als in Westdeutschland.

Während Petra Kelly im Oktober 1983 bei einem Treffen mit Erich Honecker einen Pullover tragend, auf dem "Schwerter zu Pflugscharen" gedruckt stand, diesem die unbequeme Frage stellte, warum er in der DDR verbiete, was er im Westen unterstütze und die Freilassung aller "Verhafteten der DDR-Friedensbewegung" forderte, artikulierte sich bei den Montagsmahnwachen das autoritäre Bedürfnis, sich an Russland unter dem starken Mann Putin anzulehnen, der – so die damalige nicht unzutreffende Wahrnehmung – für eine außenpolitisch konservative, berechenbare Großmachtpolitik steht, die Stabilität um den Preis einer autoritären Ordnung verspricht.

Dabei stellte das Gebot "Frieden mit Russland", das bei den Montagsmahnwachen-Vertretern hoch im Kurs stand, eine der wichtigsten Lehren der deutschen Geschichte mit ihrem völkermörderischen zweimaligen Griff gen Osten dar. Dass offiziell, Regierung wie Medien betreffend, "Solidarität mit Israel" als Staatsräson ausgegeben und mit der deutschen Verantwortung vor der Geschichte begründet wird, gleiches aber nicht für Russland gelten soll, stellt einen ideologischen Widerspruch offizieller Staatspolitik der BRD dar, der sich geostrategisch aber mit den Zuordnungen im Kalten Krieg erklären lässt.

Die auf den Montagsmahnwachen artikulierte Hoffnung, Deutschland möge sich vom Westen abwenden und sich stattdessen dem östlichen Russland kulturell, politisch und mental zuwenden, stellt allerdings eine wenig fortschrittliche Option dar, nicht zuletzt, weil dort ein repressives, im Verbund mit der orthodoxen Kirche agierendes und im Wortsinn reaktionäres Regime an der Macht ist.

Auch in ihrer Pro-Russland-Haltung waren die Mahnwachen ein verzerrtes und bloß verkehrtes Spiegelbild der herrschenden Verhältnisse. Wo die Mainstreammedien einen propagandistischen Kurs fuhren wie zu Beginn der Ukraine-Krise, glaubten die Demonstranten lieben jeder ungeprüften Internetnachricht, soweit sie nicht von der sogenannten "Lügenpresse" stammte; wo Überwachungs- und Kontrollskandale (beispielsweise der NSA) publik wurden, schälte sich eine generelle Überwachungsparanoia heraus; wo die Bundesregierung sich bündnistreu gegenüber den USA zeigte (Überflugrechte, Ramstein, Nichtreaktion auf Abhörskandale), wurde behauptet, man lebe gar nicht in einem "souveränen Land".

Eine Kritik an der deutsch-französischen Aufrüstungspolitik im Rahmen der EU blieb marginal; das rüstungspolitische Ausstatten von islamistisch-reaktionären Ländern wie Saudi-Arabien durch die Bundesregierung wurde zwar kritisiert, doch USA-Kritik überwog.

Aufgrund ihrer mehr als vagen Programmatik wurden die Montagsmahnwachen nicht nur zu einem attraktiven Ort für allerhand Obskurantisten, sondern auch für Rechtsradikale. Trotzdem sympathisierten auch einige ältere kritische Zeitgenossen, die weder bei den Grünen noch bei den realpolitischen Linken eine politische Heimat gefunden haben, mit dieser neuen Friedensbewegung. Sie sind oftmals akademisch gebildet, verabscheuen affirmatives und unkritisches Verhalten, entstammen generationell den 68ern und haben sich trotz Karrieren im Bildungs- oder therapeutischen Bereich nicht an das Bestehende angepasst.

Sie artikulieren sich in neuen Internet-Publikationen wie Ken FM oder Rubikon. Hier haben sich Medienunternehmen vollkommen von dem alten Konzept der linken Gegenöffentlichkeit entfernt, das spätestens mit der Entwicklung der taz, der Auflösung linksradikaler Stadtzeitungen und der Krise der freien Radios prekär geworden ist.

Doch sie nehmen auch eine gewisse Verve dieser älteren Konzepte wieder auf, wie die Selbstwahrnehmung, einen wahren demokratischen Diskurs jenseits einer "Gesinnungsdiktatur" und der Lügenhaftigkeit der offiziellen Medien zu pflegen. Da diese neuen Medien für alles offen sind, finden sich dann auch kritische Analysen genauso wie obskurantistische Bekenntnisse und Irrationalismen in den dort publizierten Artikeln.

Mit der klassischen Friedensbewegung verbindet diese schreibenden Protagonisten eine staatsbürgerliche Appellkultur und die Selbstpräsentation als bessere mediale, diskursive, akademische Intelligenz.

Wo die Sprecher der alten Friedenbewegung aber mittels machtvoller Netzwerke Menschen bewegen konnte, sprachen hier immer einsame Feldherren auf dem Überblickshügel. Bis zu Corona.

Mit der Gesundheitskrise und der Pandemie erreichten diese "alternativen" Medien viel mehr Menschen, fütterten die "Meinungsblasen" mit "subversivem Gegenwissen" und trieben nicht nur Skepsis, sondern generelle Feindschaft gegen die großen Medien voran. Von staatlicher wie privater Seite wurde Prominenten wie Ken Jepsen mit Zensur begegnet.

Jüngere radikale Linke blieben eher in feindlicher Distanz zu diesen ProtagonistInnen, einige bezogen sogar den Observationsposten als alternativer Staatsschutz. Den offiziellen Medien, aber auch den liberalen und linken, war es ein Leichtes, die Montagsmahnwachen als bloße Zusammenkünfte von paranoiden "Aluhutträgern", "Verschwörungstheoretikern", "Querfrontlern", "Antiamerikanern" und "Antisemiten" zu bezeichnen und die durchaus vorhandenen berechtigten Anliegen und den dort aufflackernden kritischen Geist wie die hohe Sensibilität gegenüber gesellschaftlicher Herrschaft zu verschweigen.

Nach einigem Ringen um Inhalte und Dominanz über die Montagsmahnwachen distanzierte sich der Nato- und regierungsbeteiligungswillige Teil der Partei Die Linke und führende Sprecher der Friedensbewegung weitgehend von den Montagsmahnwachen, obwohl nach einer Umfrage immerhin 38 Prozent sich politisch eher links verorteten und 42,6 Prozent angaben, sie hätten bei der Bundestagswahl 2013 die Partei Die Linke gewählt.

Übergänge der Montagsmahnwachen zur fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung wurden regional beobachtet und gerne behauptet, tatsächlich gibt es thematische Überschneidungen, die in einer harschen Medienkritik und der Anklage der US-Dominanz bestehen.

Allerdings herrschte auf prominenten Friedensmahnwachen ein postmoderner Hippiespirit vor, wurde in apolitischer Art "Love and Peace" propagiert und prominente Redner sprachen sich vehement für die Aufnahme von und Gastfreundschaft gegenüber Flüchtenden aus.

Eine ähnliche Situation zeigte sich keine zehn Jahre später angesichts der Coronarebellen, Querdenker und Lockdownkritiker:innen, wobei sich hier der Irrationalismus bis hin zu tatsächlichen Verschwörungsmythen noch zuspitzten.