So geriet die Friedensbewegung in die Nato-Sackgasse
Seite 3: Die abwesende Linke
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das linke Denken in einer beispielhaften Weise marginalisiert. Während des herrschaftlichen Pandemiemanagments war die Linke als kritische Stimme nicht zu vernehmen.
In unterschiedlichster Weise hat sich linkes Denken bereits vorher desavouiert: in Form eines realsozialistischen Anachronismus oder eines eurozentrischen Bellizismus, mittelschichtszentrierter Identitätspolitik und anderen Form der Zerstörung der kritischen Vernunft.
Ab den späten 1960er-Jahren konnte es bis weit in die 1980er-Jahre hinein vielstimmige und glaubhafte Antworten auf die Fragen von Krieg und Frieden geben und diese folgten meist wie in den großen Golfkriegen dem Paradigma der internationalen Solidarität und einer globalen Kapitalismuskritik.
Mit der neuen rechten Wende, für die das Aufkommen der fremden- und islamfeindlichen Pegida-Bewegung und rechtsradikaler Netzwerke rund um die Coronaleugner-Szene stehen, existiert die große Gefahr, dass beispielsweise unter Hinweis auf die Rolle des Militärflugplatzes Ramsteins im US-Drohnenkrieg diese neue Rechte den Verlust deutscher Souveränität beklagt, Völkerrechtsbrüche anklagt und einen völkischen, deutschnationalen Antiimperialismus formuliert.
Neurechte Strategen unterfüttern ihre Ablehnung von "Massenmigration" mit gegen die USA gerichteter Antikriegsagitation, einem völkischen Antiimperialismus nach Art eines Ethnopluralisten wie Alain de Benoist.
Sie wünschen somit die Friedenssehnsüchte wie die Migrationsängste breiter Teile der deutschen Bevölkerung zu bedienen. Die rechtskonservative AfD kombinierte beispielsweise Kritik am Afghanistan-Einsatz der Bundesrepublik mit anti-migrantischen Abschottungsfantasien und dem Aufruf zu beschleunigten Abschiebungen.
Auf Antiimperialismus und Antiamerikanismus kann sie als rechtsbürgerliche Partei verzichten, auch eine rassistisch-antimuslimisch motivierte Israel-Solidarität überstrahlt den Antisemitismus, der nicht zuletzt in der geschichtsrevisionistischen Programmatik der Partei angelegt ist. Schließlich entdeckte sie sowohl in der israelischen Regierung wie beim neuen US-Präsidenten Donald Trump eine enge Geistesverwandtschaft.
Die vom 45. Präsident der USA ausgehende protektionistische Politik eines nationalistischen America first, die Elemente der neoliberalen Reaganschen Wirtschafts- und Steuerpolitik beinhaltet, könnte das definitive Ende des Atlantizismus aus der Kalten-Kriegs-Ära bedeuten.
Die deutsche Rechte nahm dies auf und artikulierte ihr "Deutschland zuerst". Dass Trump keine Kriege anzettelte, ist bis heute beliebtes Argument rechter Akteure, wenn sie den ehemaligen Präsidenten gegen Kritik in Schutz nehmen. Dass Trump die Konfrontation sowohl mit dem Iran als auch – und viel entscheidender – China vorantrieb, was von dem aktuellen Präsidenten Biden weitergeführt wird, wird dabei gerne verschwiegen.
Eine fortschrittliche, nicht-nationalistische und antimilitaristische Bewegung ist weitgehend inexistent. Der Friedenswinter ist politisch sibirisch geworden, 2015/2016 eingefroren, er taute in der Coronakrise wieder auf und amalgierte mit anderen irrationalistischen Strömungen.
Weite Teile der affirmativen Partei-Linken setzen auf Regierungsbeteiligung und Nato-Treue und werden darin unterstützt von sich linksradikal oder antifaschistisch fühlenden, tatsächlich aber staatsschutztreuen Denunzianten außerparlamentarischer Aufbrüche, wie besonders gut während der Coronapandemie zu beobachten.
In diese Situation platzte der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Spontan drängten neue Friedensbekundungen in den öffentlichen Raum, ukrainische Fahnen wurden aller Orten gezeigt: auf Demonstrationen, durch staatliche, private und zivilgesellschaftliche Organe. Zuweilen grassierten auf Friedensdemonstrationen Pro-Nato-Bekundungen und die plakative Verzeichnung Putins zum neuen Hitler.
Dies stellte ein Novum im Kontext deutscher Friedensbewegungen dar. Die sich für die Ostermärsche 2022 formierende Friedensbewegung, die organisatorisch in den Händen älterer linker Semester lag, brach auf erfrischende Weise mit diesem hegemonialen Diskurs. Die Anfeindungen von offizieller Seite ließen so auch nicht lange auf sich warten.
Der nun stattfindende Krieg mit offenem Ende ist Teil einer globalen Neuausrichtung der Welt. China und Russland werden enger kooperieren. Deutschland profitierte bislang wirtschaftlich von einer multipolaren Welt, bezog man doch gerne Waren und seltene Erden aus China, Erdgas seit den 70er-Jahren, den Jahren der sozialliberalen Koalition, aus Russland und konnte sich trotzdem als mit den USA verbundener Teil des demokratischen Westens präsentieren.
Nun rückt Deutschland wieder ideologisch, sicherheitspolitisch und wirtschaftlich stärker an die USA heran – angetrieben von antirussischen, östlichen EU-Partnern und einer fordernden Ukraine, deren Stimmen von rechtsatlantizistischen Zeitungen wie der FAZ oder der Welt prominent Gehör verschafft wird. Sicherheitspolitisch ist eine Distanz zur Nato vorerst in weite Ferne gerückt. Dem Zwei-Prozent-Ziel will die Ampel verschärft nachkommen. Eine bereits vor der Ukrainekrise vorliegende und geplante Aufrüstung soll mit "Zeitenwende"-Rhetorik erwirkt werden.
Grundgesetzänderungen stehen an, schließlich sollen Sonderfonds für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden darin verankert werden. Davon hat nur die kleine Schicht von Hochlohnarbeitern und Aktionären in und von Rüstungsfirmen etwas. Eine militär-keynisianische Wende dürfte dies nicht bedeuten, eher eine sinnlose Ausgabenpolitik, die zu Kürzungen an anderen Stellen des Etats führen muss.
Die unteren Klassen waren in der Friedensbewegung noch nie erster Adressat, doch diese werden die jetzige Kriegspolitik mit ihrer Wirtschaftskriegsseite und die kommende Haushaltspolitik am härtesten treffen. Wenn es keine adäquate linke, humanistische, internationale und soziale Antwort von linker Seite gibt, die klassenpolitisch unterfüttert ist, könnte die Rechte wiederum das Monopol auf Oppositionsgeist für sich reklamieren.
Sie haben populistisch einleuchtende Parolen: "Für Isolationismus im doppelten Wortsinn: also gegen Migration und Kriegseinsätze! Lasst Russland in Ruhe! Akzeptiert starke Männer! Lasst dem kleinen Mann sein billiges Benzin und Gas! Keine Ökoexperimente!"
Eine linke Bewegung muss in dieser Hinsicht glaubwürdige Alternativen bieten können. Sie steckt in der Klemme, dass eine Affirmation einer multipolaren Welt autoritären Regimen Akzeptanz entgegenbringt. Dass eine Kritik des nicht nur klimaunverträglichen, sondern menschenfeindlichen Konsumkapitalismus als Verlängerung herrschaftlicher Kürzungspolitik bei den unteren Klassen erscheint.
Dass sie sich kaum mehr auf hoffnungsvolle gesellschaftliche Modelle, die eine Attraktivität im Sinne von Freiheitswahrung und sozialer Gleichheit beinhaltet, beziehen kann. Äußern Linke in dieser schwierigen Gemengelage einfache Parolen, ist das Populismusverdikt von herrschender Seite nicht weit.
Die Partei Die Linke zeigt ein jämmerliches Bild zwischen privaten Fehden, wenigen alt-stalinistischen Ideologen und vielen OpportunistInnen auf der Jagd nach Posten und Einfluss.
Die Strömung, die nach wie vor auf Regierungskoalitionen mit Rot und Grün schielt, muss so auch von Pazifismus, Antimilitarismus und Nato-Kritik abrücken.
Eine antiautoritäre und undogmatische außerparlamentarische Linke ist angesichts des Kriegsgeschehens sprachlos, formuliert wie die Zapatistas in Mexiko die Ablehnung aller Kriegsparteien und hält noch an der Utopie einer anderen, ausbeutungs- und herrschaftsfreien Welt fest, ihre Proklamationen wirken allerdings zu abstrakt und allgemein. Linke jenseits des Opportunismus konkurrieren tatsächlich mit der Rechten in ihren Antworten auf den globalen Kapitalismus und dessen Kriegsdynamik.
Sie haben in ungewohnter Weise das liberale Establishment gegen sich. Dies deutete sich beispielsweise schon darin an, dass das Innenministerium und der Verfassungsschutz die Friedensdemos zu Ostern 2022 dadurch zu desavouieren trachtete, indem gewarnt wurde, es tummelten sich darin "Linksextremisten".
Es ist davon auszugehen, dass die mit Waffenlieferungen im Kriegsgeschehen engagierte Bundesrepublik unter der Ampel zu einer härteren gesellschaftlichen Form übergeht, die weitere "Involution" als Rückbau demokratischer Standards bezüglich Informationsfreiheit und Meinungsäußerung vorsieht.