Söder in Not: "Wir spüren ein Bayern-Bashing"
Furcht vor Machtverlust, Mimimi im "Sommerstoiber": Der bayerische Ministerpräsident geht in die Interview-Offensive und wettert gegen norddeutsche Umerziehung.
Man hat den Eindruck, der ein oder andere Ampel-Koalitionär summt das Lied "Zieht den Bayern die Lederhosen aus".
Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident
Sommerpause ist Interviewzeit. Weil den Fernsehsendern nichts einfiel, um die parlamentarische Sommerpause zu überbrücken, haben sie vor einigen Jahrzehnten das Genre des "Sommerinterviews" erfunden, das längst zu einer Art Institution gereift ist, als ob es sich um etwas Besonderes handeln würde – warum eigentlich, das versteht auch bei genauerem Nachdenken kein Mensch.
Schon das Wort Sommerinterview atmet ein Versprechen: als würden Politiker hier grundsätzlich von sommerlicher Heiterkeit erfüllt, entspannt und relaxt im Sonnenschein die Seele baumeln lassen, ins Schwärmen kommen oder gar ins Philosophieren, und aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen; Geheimnisse enthüllen heimliche Sehnsüchte, als seien sie da entweder ein ganz anderer oder überhaupt erst einmal Mensch.
Und die Zeitungen, zumindest die Sonntagszeitungen machen es ihnen längst nach: Fotostrecke und dann paar einfache Fragen und Antworten, weitgehend losgelöst von den Forderungen des Tages.
Man sieht dann die männlichen Politiker, auch wenn sie nicht Robert Habeck heißen, mit aufgeknöpftem Hemd, die Politikerinnen ohne Kostüm. Und einer wie Markus Söder trägt selbstverständlich ein Trachten-Sakko, und zwar ein leichteres, dünneres, aus mildem Grün oder wie der Trachtenfachmann sagt "schilfleinern"; das also, was Gerhard Polt einst unnachahmlich den "Sommerstoiber" nannte.
Mit Layla, Annika und Alina
In eben jenem Sommerstoiber hat Söder in den letzten Tagen einige seiner gar nicht so ferienartigen Termine absolviert. In Bayern, wo im Herbst nächsten Jahres ein neuer Landtag gewählt werden muss, ist längst Wahlkampfzeit: Also sah man Söder dieser Tage in Dießen am Ammersee beim Doppeljubiläum des örtlichen Heimat- und Trachtenvereins D’Ammertaler und des Spielmannzugs Dießen, wo er sich wie einst der Prinzregent Luitpold von Kutscher Karl Holl und dessen beiden süddeutschen Kaltblütern Annika und Alina auf der reichlich geschmückten Ehrenkutsche durch Dießen ziehen ließ.
Oder beim Besuch der Kulmbacher Bierwoche, wo die "Fetzentaler" das viel geschmähte Lied "Layla" gleich mehrmals aufspielten, und sich der Franke zu der Feststellung hinreißen ließ, "das Kulmbacher Bierfest ist das größte bedeutendste Bierfest in ganz Bayern", als ob der Ministerpräsident vom Münchner Oktoberfest noch nie etwas gehört hätte oder für ihn eben das seit Jahrzehnten rot-grün-regierte München nicht wirklich in Bayern liegt.
"Markus Söder lässt gerade kein Bierfass unangezapft, kein Grußwort ungehalten", schrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich über ihn.
"Anti-Bayern-Stimmung"
Nach sommerlicher Heiterkeit allerdings stand dem bayerischen Landesfürsten auch nach dem Besuch des Bierfests keineswegs der Sinn.
Ganz unbayrisch grantelte der Ministerpräsident ohne jede Gelassenheit in den Sommerinterviews vor sich hin und fühlte sich mal wieder ungerecht behandelt: Eine "Anti-Bayern-Stimmung" gebe es in Berlin, "manchmal sogar ein Bayern-Bashing".
In der Bild-Zeitung warf er der Ampel, diesem "norddeutschen Konstrukt" gar "Umerziehung" der Bevölkerung vor:
Es ist falsch, Gendern zwanghaft zu verordnen. Es ist falsch, staatliche Vorgaben zur Ernährung zu machen. (...). Wir sind schließlich keine Brokkoli-Republik. Die Deutschen sollen auch Fleisch essen dürfen (...). Die gesellschaftliche Zeitenwende der Ampel richtet sich gegen die Mehrheit der Normalbürger. (...). Stattdessen kommt aus Berlin ein Überbietungswettbewerb an Vorschlägen, wo sich die Menschen einschränken sollen. Besonders absurd ist die Idee, Ältere und Bedürftige im Winter in Wärmehallen unterzubringen. Dabei sind warme Wohnungen die zentrale Aufgabe der Bundesregierung.
Markus Söder
Nicht viel übrig war da von der heimatverbundenen Gelassenheit, dem modernen Konservatismus und dem selbstsicheren Machtbewusstsein, das Markus Söder doch so gern ausstrahlen will.
Immerhin schob er seinen Meckerbreitseiten noch einige Salven Populismus in Form ganz konkreter materieller Volksbeglückung hinterher:
"Mein Vorschlag wäre ein 365-Euro-Jahresticket für den gesamten öffentlichen Personennahverkehr in ganz Deutschland. Der Tankrabatt muss über den kompletten Winter verlängert werden. Wenn dann noch ein Winter-Wohngeld für alle Haushalte, also auch für die Rentnerinnen und Rentner, hinzukäme, würde das den meisten Menschen spürbar helfen."
Das gefiel sogar der Linkspartei: "Gut, dass auch in Bayern die Erkenntnis gewachsen ist, dass es ein drittes wirksames Entlastungspaket geben muss", lobte Fraktionschef Dietmar Bartsch.
Söder ohne Wahlsiege
Alles in allem hört sich Söders-Interview-Offensive aber wie lautes Anschreien gegen die Furcht vor dem Machtverlust an. Immerhin hatte Söder nicht nur bei der vergangenen Bundestagswahl mit desaströsen 31,7 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren, sondern war auch bereits bei der letzten Landtagswahl 2018 mit 37,2 Prozent und über 10 Prozent weniger als bei der Wahl zuvor eine krachende Wahlniederlage erlebt.
Das war die einzige Wahl bisher mit Söder als Spitzenkandidat – das Debakel konnte er sich nur damit herausreden, dass eigentlich ja Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik schuld seien. Solche Ausreden ziehen kein zweites Mal, schon gar nicht jetzt, wo die CSU im Bund in der Opposition ist.
Seine krawalligen Interviews vor diesem Hintergrund dienen vor allem der Mobilisierung der eigenen Basis. Und der Ablenkung: Denn Söder, der sich als Anführer des "Team Vorsicht" während der Corona-Krise zwischenzeitlich für die Merkel-Nachfolge in Berlin beworben und sich ungefragt als Kanzlerkandidat von CDU/CSU ins Spiel gebracht hatte, zog danach den Zorn vieler Unions-Sympathisanten auf sich, als er als schlechter Verlierer des parteiinternen Rennens Armin Laschet systematisch öffentlich demontierte und so – zumindest scheinbar – einen wesentlichen Anteil an der schweren Wahlniederlage von 2021 hatte.
Neben solchen taktischen hat Söder auch strategische Fehler gemacht. Sein panischer Knallhartkurs in der Coronapolitik, der in der Sache vor allem dazu diente, von hausgemachten Versäumnissen, der Überforderung des bayerischen Gesundheitswesens und ab Anfang 2021 dann auch von den CSU-Korruptionsfällen und Maskenaffären abzulenken, kam vor allem bei ängstlichen Lehrern, gewissenhaften Großstadthipstern und übervorsichtigen braven Bürgern an, also bei jenem besorgten Teil der deutschen Mittelschicht, der zwar gelegentlich Merkel gewählt hat, im Prinzip aber vor allem zu den Grünen und ein bisschen zur SPD tendiert.
Bei den Unionsanhängern kamen Ausgangssperren, Schließungen von Kneipen und Hotel und Söders Vorsichts-Mantra weit schlechter an. Erst recht sieht der Corona-Moralismus der ständigen Ermahnungen aus München heute merkwürdig aus, beklagt Söder doch zurzeit fast täglich den angeblichen Hang der Ampel zur "Umerziehung" der Bürger und mosert, es gehe "immer um Zwang statt um Freiheit". Das passt nicht zusammen.
Bayern ist anders. Wirklich?
Aber um Zusammenhang und Logik geht es auch gar nicht. Politik ist, wie kürzlich Die Zeit treffend schrieb, für Söder "keine filigrane Konsenssuche, sondern vielmehr ein großes Feuerwerk, bei dem es darum geht, wer den lautesten Böller zündet. Selbst dann, wenn sich das Land in einer schweren Krise befindet. Oder vielleicht gerade dann. Wie sagte neulich ein gut vernetzter CSU-Politiker, als ich ihn fragte, wie die jüngsten Söder-Äußerungen zu interpretieren seien? 'Die Spiele sind eröffnet'".
Und spielen will Söder vor allem. Hinter seinem absichtsvoll lancierten "hochkonzentrierten Quatsch" (Die Zeit) und der Provokationslust steckt vor allem der Gestus, bitte alles nicht so ernst zu nehmen. Gerade in der allgemeinen Miesepetrigkeit des krisenverliebten Deutschlands sollte man den diskreten Charme einer solchen Haltung nicht unterschätzen.
Dass Söders Konzept zumindest für den Bayern-Wahlkampf aufgeht, hängt allerdings eher davon ab, dass Söder seine Rolle und die des "Bayern ist anders" durchhalten kann. Hier ist der Ministerpräsident sich selbst die größte Gefahr.
Denn die Jammerei des Ministerpräsidenten ist denkbar unbayrisch. Beim Mimimi im Sommerstoiber geht das urbayrische Alleinstellungsmerkmal verloren: das krachlederne, breitbeinige, durch nichts zu erschütternde Selbstbewusstsein.