Solarpreise brechen ein
- Solarpreise brechen ein
- Frankreich: Konzentration aufs Atomgeschäft
- Auf einer Seite lesen
Die Energie- und Klimawochenschau: Von Preiskämpfen, rückwärtsgewandter Industriepolitik und Patagoniens Windrädern
In der vergangenen Woche hat sich energiepolitisch so viel getan, dass der Platz kaum reicht, alles gebührend zu beleuchten. Die Dienstleistungsgewerkschaft verdi hat zum Beispiel verschiedene Szenarien für einen Kohleausstieg durchrechnen lassen und scheint sich in dieser Frage tatsächlich zu bewegen. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium wurde hingegen ein sogenanntes Impulspapier "Strom 2030" vorgelegt, das sich um das Thema herumdrückt.
Aber vielleicht wird schon bald zusätzlicher Druck für eine raschere Energiewende entstehen, wenn der Solarstrom so billig wird, dass die Interessen der Kohlekraftwerksbetreiber nur noch mit massiven Eingriffen in den Markt und Schikanen gegen Solarstromer verteidigt werden können. Jedenfalls zeichnet sich gerade bei den Solarmodulherstellern ein neuer Preiskampf ab.
Jinkosolar, einer der großen chinesischen Hersteller von Solarmodulen, will sich nicht mehr an die Mindestpreise für Solarmodule aus dem Land der Mitte auf dem europäischen Markt halten und stattdessen Strafzölle in Kauf nehmen, berichtet der Fachinformationsdienst IWR. Andere Unternehmen seien diesen Schritt bereits gegangen oder würden ihn demnächst gehen.
Überkapazitäten
Hintergrund der Entscheidung sind erhebliche Überkapazitäten bei den Herstellern, die durch eine sehr ungleichmäßige Entwicklung im chinesischen Solarausbau entstanden war. Dort hatten viele lokale Akteure ihre Pläne vorgezogen, weil zur Jahresmitte die garantierte Einspeisevergütung für Strom aus jeweils neu errichteten Solaranlagen abgesenkt wurde. Dadurch war die Nachfrage zunächst sprunghaft angestiegen und fiel dann erheblich ab. Im ersten Halbjahr 2016 wurden in China 20 Gigawatt Solarleistung installiert. Das ist etwas mehr als die Hälfte dessen, was in Deutschland in den letzten 15 Jahren ans Netz ging.
Da im zweiten Halbjahr 2016 in China vermutlich nur zehn GW installiert werden, macht sich dieser drastische Rückgang der Nachfrage nicht nur vor Ort, sondern global zu bemerken. Die Hersteller versuchen, ihre Waren um jeden Preis los zu werden. Milan Nitzschke, Präsident der europäischen Hersteller-Organisation EU ProSun und Vize-Präsident der SolarWorld AG, spricht gegenüber Telepolis von "verfehlter Staatsplanung in China". In den dortigen Lagern würden Anlagen mit einer Leistung von 10 GW auf Verkäufer warten. Insgesamt drücke ein Überangebot von bis zu 30 GW auf den Weltmarkt, auf dem es eine Nachfrage von 65 GW gebe.
Entsprechend hätten die Preise in den letzten Wochen bereits um 20 Prozent nachgegeben und lägen inzwischen unter den Herstellungskosten. Auch aus anderen Ländern müssten die Hersteller nachziehen, um nicht Marktanteile an die chinesische Konkurrenz abzugeben. Eine neue Insolvenzwelle sei absehbar. Die Anti-Dumpingmaßnahmen der EU bieten zwar einen gewissen aber keinen vollständigen Schutz und müssten daher fortgesetzt werden. Dennoch sei auch in Europa mit dem Verlust von Arbeitsplätzen zu rechnen.
Schlechtes Image der Solarenergie
Dass der Markt aufgrund der niedrigen Preise hierzulande wieder anzieht und mehr Anlagen verkauft werden, hält Nitzschke für unwahrscheinlich. Zum einen sei das Image der Solarenergie zu schlecht. Die Art der Diskussion über den Strompreis und die Umlage für den Strom aus Erneuerbaren habe dazu geführt, dass viele inzwischen meinen, sie würden die Solaranlage des Nachbarn finanzieren.
Zum anderen würden die Kosten der Solarpanele nur noch einen kleineren Teil der Gesamtkosten ausmachen. Nach einer Aufstellung der Informationsplattform PVS für potenzielle Solaranlagenkäufer müssen für den Wechselrichter derzeit etwa 15 Prozent der Gesamtkosten veranschlagt werden. Weitere 20 Prozent entfielen auf Kabel, Anschlüsse, Klemmen, Dachhaken, Unterkonstruktion und ähnliches und etwa 25 Prozent auf die Handwerkskosten einschließlich Gerüst. Um ein Fünftel niedrigere Modulpreise würden den Gesamtpreis einer Solaranlage also nur um acht Prozent senken.
Aber die hiesigen Hersteller konkurrieren mit den chinesischen ohnehin nicht vornehmlich im Inland. Nach Angaben des Bundesverbandes der Solarwirtschaft exportierten die deutschen Solarmodul-Hersteller 2015 70 Prozent ihrer Produktion. Der eigentliche Kampf mit der Konkurrenz wird sich also dort abspielen, wo Brüssels langer Arm nicht hin reicht.
Zum Beispiel in Indien. Dort ist der durchschnittlich Preis für ein Watt inzwischen auf 39 US-Cent (35 Euro-Cent). Das seien derzeit die weltweit niedrigsten Preise, berichtet das PV Magazine. Zum Vergleich: Im Juli kosteten hierzulande Solarmodule je nach Hersteller, Art und Herstellerland zwischen 49 und nicht ganz 60 Euro-Cent pro Watt.
Wertschöpfung bliebe auch mit chinesischen Modulen weitgehend im Land
In Indien seien die Preise für importierte Module innerhalb von drei Monaten um 15 Prozent gesunken und der Trend würde vermutlich anhalten, schreibt der Solarserver. Entsprechend würden kleinere indische Hersteller inzwischen ums Überleben kämpfen und die Regierung habe es schwer, eine indische Solarindustrie aufzubauen.
Andererseits hat ABB gerade seine indischen Produktionskapazitäten für Wechselrichter verdoppelt. Schon bisher waren diese in 40 Prozent der indischen Solaranlagen eingebaut. Wechselrichter machen aus der von den Anlagen erzeugten Gleichspannung die für Übertragung und Verbrauch nötige Wechselspannung. ABB hätte also mit seiner indischen Fertigung gute Chancen von der Verbilligung der Solarmodule zu profitieren, sollten die einen Solarboom auf dem Subkontinent anstoßen.
Und auch hierzulande fragt sich, ob der Preisverfall wirklich so tragisch ist. Immerhin kann er zum einen den Solarstrom weiter verbilligen. Zum anderen ist es industriepolitisch alles andere als dramatisch, wenn hauptsächlich Anlagen aus China oder Südostasien auf hiesige Dächer geschraubt werden. Wie obige Aufstellung zeigt, würde immer noch der größere Teil der Wertschöpfung im Lande erfolgen. Vieles davon würde bei Handwerksbetrieben erfolgen, würde also Einkommen und Steuererträge breit streuen.
Außerdem wird oft übersehen, dass auch deutsche Werkzeugbauer in der Solarbranche aktiv sind und dort unverändert ganz vorne mitspielen. Viele der chinesischen Produktionsanlagen wurden hierzulande gebaut. Zurzeit entsteht in der chinesischen Provinz Anhui eine moderne Fabrik für Dünnschicht-Solarzellen. Ausgestattet wird sie vom Münchner Unternehmen Avancis, das von Chinas Baustoffkonzern CNBM übernommen worden war. Der Besitzer ist also chinesisch, aber die Arbeitsplätze befinden sich weiter in Bayern, wie die Info-Plattform Solarbranche.de schreibt.