Solo bei der Société Générale?
Allein gegen 2000 Kontrolleure: Kerviel und der französische Bankenskandal
Es ist die Geschichte eines Mannes, der glaubte, sich beweisen zu müssen. Der hoch hinaus wollte und sich dabei überschätzte. Der riesige virtuelle Geldmassen bewegte und am Schluss unter ihnen begraben wurde. Die Geschichte handelt vom bitteren Ende einer Karriere eines Mannes, den sein bisheriger oberster Vorgesetzter vergangener Woche vor den Kameras nicht mehr zu qualifizieren wusste: „Dieser Betrüger, dieser Gauner, dieser Terrorist, ich weiß“, tönte der Vorstandsvorsitzende der Bank, die ihn bis dahin beschäftigte, David Bouton von der Société Générale, am Donnerstag voriger Woche über den 31jährigen Jérôme Kerviel.
50 Milliarden Euro hatte der Trader, der bis dahin durch die Société Générale beschäftigt worden war, im Namen dieser drittgrößten französischen Bank zu Anfang dieses Jahres aufs Spiel gesetzt. Bei riskanten Börsenoperationen spielte er mit einem so hohen Einsatz, dass letzterer das Eigenkapital der Société Générale - je nach Angaben 24 respektive 30,7 Milliarden Euro - bei weitem überstieg. Er habe darauf gehofft, dass nach dem Börseneinbruch - der in den ersten Wochen dieses Jahres durch die Ausläufer der aus den USA herüber schwappenden ‚Subprime’-Krise verursacht wurde - damit zu rechnen sei, dass die Märkte schnell wieder anzögen und er daraus Gewinn schlagen könne. Dies erklärte Jérôme Kerviel den Ermittlern, die ihn vom vergangenen Samstag bis Montag dieser Woche vernahmen, bevor sie unter Justizaufsicht wieder auf freien Fuß setzten.
Am 18. Januar waren die von dem Angestellten Kerviel getätigten „irregulären“ Operationen, die normalerweise durch die Kontrollmechanismen der Bank nicht hätten zugelassen werden dürfen, intern entdeckt worden. Aber die Direktion der Société Générale ließ sich daraufhin noch drei Werktage Zeit - vom Montag, 21. bis zum 23. Januar -, um alle riskanten Posten schleunigst diskret abzustoßen, bevor die anderen Operateure auf den Märkten auf die gefährliche Stellung der Geschäftsbank aufmerksam werden konnten. Ansonsten hätte die Position der Bank, die seit 1864 besteht und derzeit - in seiner Rechtsform als Aktiengesellschaft - das sechstgrößte börsennotierte französische Unternehmen bildet, sich noch weitaus bedrohlicher zuspitzen können.
Als Ergebnis der Krise gab die Direktion jedoch bereits am 24. Januar bekannt, dass sie soeben einen Verlust von 7,1 Milliarden Euro eingefahren habe. Davon resultierten 4,8 Milliarden aus den riskanten Operationen ihres Traders Jérôme Kerviel und 2,2 Milliarden aus der Abwertung von Wertpapieren infolge der Subprimes-Krise. Nunmehr ist geplant, das Eigenkapital der Société Générale um 5,5 Milliarden Euro aufzustocken und Wertpapiere in entsprechender Höhe auszugeben, um die Traditionsbank vor feindlichen Übernahmeangeboten und einem unerwünschten Aufkauf zu schützen.
Auch ist nunmehr eine stärkere „Annäherung“ an die andere große Geschäftsbank BNP-Paribas geplant. Unterdessen erklärte der französische Präsidentenberater Henri Guaino, der eher für den gaullistischen und staatsinterventionistischen Flügel innerhalb der Pariser Staatsmacht steht - und von den Wirtschaftsliberalen im Umfeld Nicolas Sarkozys heftigen Anfeindungen ausgesetzt wird -, der französische Staat werde seine schützende Hand über die Bank halten, falls diese Übernahmeversuchen von „einem Räuber“ ausgesetzt sei.
Ich erzeugte Cash, also waren die Signale nicht so alarmierend
Die offizielle Version der Bank lautet so: Niemand wusste von den riskanten Ankauf- und Verkaufgeschäften, die ihr Angestellter Jérôme Kerviel auf eigene Faust vorgenommen hatte und mit denen er seinen Arbeitgeber gefährdete. Aufgrund seines Geschicks gelang es Kerviel, den internen Kontrolleuren - 2.000 an der Zahl - durch die Lappen zu gehen. Erst als es zu spät war, wurde man sich der gefährlichen Geschäfte, die der Trader im Namen seiner Bank getätigt hatte, gewahr. Dieser hatten seine Operationen geschickt verborgen, indem er jede Aktion durch eine anderen Aktion in gegenläufiger Richtung tarnte.
Dies bedeutet so viel wie: Wenn Kerviel einen Ankauf über eine Milliarde Euro betätigte, so gab er zugleich eine Verkaufsoperation in derselben Höhe oder in einer geringfügig abweichenden Höhe in den Computer ein. Da die Kontrollen nur den Gesamtsaldo der Operationen überprüfen und nicht jeden einzelnen Vorgang, der Umfang beider Geschäfte zusammengenommen aber nahezu bei Null lag, konnten die riskanten Operationen nicht aufgedeckt werden. Nur, dass eine der beiden Aktionen real getätigt wurde - die andere aber fiktiv war, da ihr nämlich keine Deckung gegenüber stand, und letztere folglich später annulliert wurde.
Das Publikum glaubt aber überwiegend nicht an diese Version, der zufolge ein einsamer 31jähriger mutterseelenallein die Bank hinters Licht geführt habe. Die berühmte satirische Puppensendung des französischen Fernsehsenders Canal +, Les Guignols de l’Info, versuchte die Argumentation ab absurdum zu führen, indem sie eine Nachrichtensprecher-Puppe in theatralischem Tonfall ankündigen ließ:
Die Société Générale hat fünf Milliarden Euro wegen eines Mannes verloren, eines einzelnen Mannes, der ihr (dieses Geld) gestohlen hat. Der Mann ist auch dafür bekannt, dass er das Außenhandelsdefizit Frankreichs auf 40 Milliarden Euro hat wachsen lassen. Er wurde auch im Jahr 2000 am Pariser Flughafen Roissy gesichtet - vor dem Absturz der Concorde. Bei ihm wurde auch die Tatwaffe gefunden, mit der John F. Kennedy ermordet worden ist...
Erst als der französische sozialdemokratische Parteivorsitzende François Hollande bzw. seine Puppe sich einschaltet, um einzuwerfen: „Und er hat uns auch unsere Wahlchancen bei der Präsidentschaftswahl 2007 weggenommen“, bremst der Moderator der – fiktiven – Nachrichten ab, weil es ihm nun doch zu bunt wird.
Wesentlich wahrscheinlicher als die offizielle Version ist, dass Jérôme Kerviel selbst Recht hatte, als er - wie sich aus dem am Donnerstag in ‚Le Monde’ abgedruckten Vernehmungsprotokoll ergibt - gegenüber den Ermittlern ausführte:
So lange ich (mit meinen Operationen) im positiven Bereich bin, verschließen meine Vorgesetzten die Augen über die Art und Weise sowie den Umfang der getätigten Operationen. Mit einer normalen Aktivitäten hätte ein Trader niemals so viel Cash erzeugen können. (...) Ich erzeugte Cash, also waren die Signale (aus Sicht der Bank) nicht so alarmierend. So lange wir gewinnen und so lange es nicht gar zu auffällig ist, wird nichts gesagt.
Es ging dabei nicht einmal, oder nicht unmittelbar, um persönliches Gewinnstreben des Traders. Denn die Gewinne aus seinen Operationen strich Jérôme Kerviel nicht in seinem eigenen Namen ein - sie gingen vielmehr an die Bank, für die er arbeitete, so lange alles gut ging. Dem 31jährigen ging es mutmaßlich tatsächlich in erster Linie darum, sich zu beweisen: Von seinen Traderkollegen eher gering geschätzt, da er nicht dieselben Studien- und Karriereweg einschlug wie sie selbst, versuchte er krampfhaft zu beweisen, dass ein Finanzgenie in ihm schlummere.
Kerviel hatten einen Studiengang an der Universität Lyon absolviert, der normalerweise eher Finanzkontrolleure denn die im spekulativen Geschäft tätigen Trader selbst ausbildet. Nach seinem Eintritt in den Dienst der Société Générale im August 2000 hatte er zunächst mindestens zwei Jahre im so genannten Middle Office gearbeitet, das für die Kontrolle der durch die Trader getätigten Operationen zuständig, aber nicht selbst im Aktivgeschäft tätig ist. Aus diesem Grunde hatte Kerviel, der ab Anfang 2005 selbst zum aktiven Trader wurde, auch jede Menge Freunde und Bekannte unter den Kontrolleuren behalten, die ihn in der Folgezeit regelmäßig über den Wechsel von Kontrollmechanismen oder Passwörtern informiert halten würden.
Talent und Risikofreude
Gleichzeitig wollte Kerviel seine nunmehrigen Kollegen mit seinem „Talent“ und seiner Risikofreude beeindrucken. Zunächst mit Erfolg, aber aufgrund eines starken Zufalls: Im Frühsommer 2005 spekulierte er auf ein Absinken der Aktie des deutschen Versicherungskonzerns Allianz an der Londoner Börse. Infolge der Bombenattentate in der Londoner U-Bahn vom Juli 2005 sank der gesamte dortige Aktienindex - was Kerviel keinesfalls vorher wissten konnte, aber dafür sorgte, das seine Operation mit 500.000 Euro Gewinn von Erfolg gekrönt war. Ab diesem Zeitpunkt war seine Risikofreude nicht mehr zu bremsen.
Seine Bekanntschaft mit Finanzkontrolleuren - früheren Arbeitskollegen von ihm - hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass Kerviel bestimmte Kontrollen tatsächlich umgehen oder sie geschickt umschiffen konnte. Gleichzeitig gibt der aus der Bretagne stammende junge Mann in dem Vernehmungsprotokoll aber an, E-Mail-Anfragen von Geschäftspartnern etwa aus Deutschland hätten die Bank schon früher, spätestens im Laufe des Jahres 2007, auf Unregelmäßigkeiten aufmachen müssen. Seitens der Direktion habe man diese aber nicht sehen mögen. Auch hätte es der Bank - so Kerviel - unangenehm auffallen müssen, dass er sich standhaft weigerte, Urlaub zu nehmen - „Das ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass ein Trader sein Book nicht einem anderen überlassen will“ - und hätte also Misstrauen erregen müssen.
Zunächst wurden strafrechtliche Ermittlungen gegen mindestens einen hochrangigen Bankfunktionär der Société Générale in Erwägung gezogen. Ein Kleinaktionär hatte Strafanzeige gegen das Verwaltungsratsmitglied der französischen Geschäftsbank, Robert Day, einen aus den USA stammenden Millionär, wegen ungerechtfertigter Vorteilnahme und Insiderhandels gestellt. Was wird ihm vorgeworfen? Der Präsident der US-Investmentfirma Trust Company of the West (TCW) hatte bereits am 9. Januar dieses Jahres ein Aktienpaket der Société Générale für 85,74 Millionen verkauft. Am folgenden Tag, dem 10. Januar, fuhr er mit seinem Aktienverkäufen in großem Stil fort. Insgesamt verscherbelte er in jenem Zeitraum 500.000 Aktien der Bank im Gegenwert von 130 Millionen Euro. Und dies alles, bevor die Kurseinbrüche für die Werte der Société Générale begannen, die ab dem 14. Januar einsetzten.
Noch andere „merkwürdige“ Aktienverkäufe fanden vor dem offensichtlichen Kurssturz der Société Général-Aktie statt. Ein Verband von Kleinaktionären arbeitet deswegen an einer Klage gegen das Management der Bank und zeigt sich überzeugt davon, dass hinter den Kulissen so mancher Beteiligte gewusst habe, was sich abspielte und anbahnte.