Sondierungen: Kein Drama, einfach "Weiter so"?
Schnell soll es gehen bei den Gesprächen zwischen CDU, CSU und SPD zur Regierungsbildung, sonst gibt es Neuwahlen. Am großen Rad wird nicht gedreht
Schnell soll es gehen, heißt es vor den Sondierungsgesprächen, die am heutigen Sonntag beginnen. Bis Donnerstagabend soll das Wesentliche geklärt sein. Aber selbst wenn das nach Plan läuft, wird es lange dauern, bis eine arbeitsfähige Regierung steht: bis April, schreibt die FAZ mit ihren guten Verbindungen in die Berliner Polit-Kreise und SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles bestätigt die Einschätzung. Sie "hält eine Regierungsbildung bis Ostern für möglich" (Die Zeit).
Begeisterung gibt es keine
In dieser Zeitspanne könnte Ungutes für die Fortsetzung der Großen Koalition stecken. Denn was für sie spricht, ist Schnelligkeit; dass die bloß geschäftsführende Regierung möglichst bald von einer abgelöst wird, die mit einem anderen Einsatz arbeitet, dass etwas "vorangeht". Für die Große Koalition sprechen nur praktische Erwägungen, die an ein Realitätsprinzip gebunden sind: "Es könnte funktionieren, man hat Erfahrung". Begeisterung für die GroKo gibt es keine.
Wenn die neue Regierung nicht bald arbeiten kann - und für ihre Arbeit kritisiert wird, dann werden sich die Medien die Pläne der GroKo-Parteien und deren Postencasting, soweit bekannt und irgendetwas sickert immer durch, vornehmen, sie zerpflücken und Streitkeime aussäen. Und es könnte dann doch schneller als gedacht zur großen, tatsächlich relevanten "Umfrage" kommen, die man vermeiden will, nämlich Neuwahlen.
Stimmungsschwankungen
Die kleinen Umfragen zeigen ziemliche Stimmungsschwankungen. Hieß es vergangene Woche von INSA für den Focus noch, dass die Große Koalition nur von 30 Prozent gewünscht werde (siehe GroKO: unbeliebt und uneins), so meldet Emnid für die BamS von heute, dass 54 Prozent der Befragten damit rechnen, "dass sich eine große Koalition positiv auf Deutschland auswirken wird". Negative Auswirkungen befürchten demnach 33 Prozent.
Zwar variieren die Fragestellungen, aber zu behaupten, dass die Stimmungen zugunsten oder zuungunsten einer Koalition aus Union und SPD schnell umschlagen kann, wenn keine Butter aufs Brot kommt, ist nicht allzu waghalsig.
"Man kennt sich gut"
CDU, CSU und SPD kennen sich lange und gut, sagt Manuela Schwesig in einem Deutschlandfunk-Interview zu den Sondierungen. Sie glaubt, dass die drei Parteien bis Freitag ausloten können, was möglich ist. Man kenne Gemeinsamkeiten und Unterschiede, man müsse nicht lange um den heißen Brei herum reden, sondern könne "sofort zu den Inhalten kommen und schauen, was geht".
Schwesig wie Nahles signalisieren gegenüber Medien Gesprächsbereitschaft bei Themen, die in der Öffentlichkeit als Streit-oder Knackpunkte ausgewiesen werden, vor allem beim Thema Flüchtlinge und Migranten.
Flüchtlingspolitik: Hitze rausnehmen
Schwesig erklärt, dass der Familiennachzug kein Stolperstein sein, weil man die Sache von einer Perspektive aus angeht, die genug Verhandlungsspielraum lässt:
Die Realität ist, dass der Familiennachzug sowieso nur Schritt für Schritt passiert, weil wir dafür die Botschaften in den anderen Ländern brauchen, weil das alles gar nicht so schnell geht. Der Familiennachzug war von Anfang an ein Thema, das ideologisch aufgeladen wird - aber an dieser Frage darf keine Regierung scheitern!
Manuela Schwesig
Und Nahles erklärt, dass man gegen einen Alterstest von Flüchtlingen, der durch den Mord in Kandil zum großen öffentlichen Thema wurde, prinzipiell keine Einwände habe:
Viele Antragsteller geben ihr Alter nicht korrekt an. Die müssen wir herausfiltern. Klar ist doch: Wir dürfen uns als Staat nicht belügen lassen.
Andrea Nahles
Zudem fordert Nahles einen Justizpakt, "mehr Unterstützung für die Polizei, mehr Personal für die Justiz, schnellere Verfahren und 'intelligente Strafen'", um dem Anstieg der Kriminalität durch Flüchtlinge, insbesondere junger Männer, zu begegnen.
Die Absicht ist klar. Beim Thema Flüchlinge und Migration will sich die SPD nicht in eine Ecke stellen lassen, die ihr bei Neuwahlen schaden könnte (laut Emnid käme sie derzeit gerade mal auf 20 Prozent). Lieber scheitern die Gespräche aus Sicht der SPD an Streitfragen über Spitzensteuer, Unternehmensteuersätze, Erbschaftssteuer und ähnlichem, das zur eigenen Agenda passt und das man dann als soziale Haltungsstärke in den Wahlkampf bringen kann.
Größeres Risiko bei SPD und CSU als bei der Merkel-Partei
Das Risiko bei den Sondierungsgesprächen ist für die SPD - wie auch für die CSU - größer als für die CDU. Die Kanzlerin Merkel hat wenig zu verlieren. Selbst wenn die Sondierungsgespräche zu keiner Koalitionsbildung führen und die CDU weiterhin eine Minderheitsregierung ablehnt und für Neuwahlen ist, wird es - nach Lage der Dinge - schwierig, in der Union einen erfolgreichen Alternativ-Kandidaten aufzustellen, der sie statt Merkel in einen erfolgversprechenden Wahlkampf führen kann. Die deutschen Wähler haben sich zuletzt nicht besonders "experimentierfreudig" gezeigt. Das dürfte man auch in CDU/CSU wissen.
Einiges zu verlieren hat die CSU, weil sie bei der Bundestagswahl schlecht abgeschnitten hat und bei der Landtagswahl in diesem Jahr befürchten muss, die Mehrheit zu verlieren (Seehofer machte in den letzten Tagen sogar Anspielungen auf eine mögliche Koalition mit der SPD in Bayern).
Ihr Profil versucht die CSU gerade in einem Themen-Revier zu schärfen, wo die AfD ihre Wähler sammelt, bei der "konservativen Revolution" und bei der Migranten-Politik. Von der SPD wird es da, wie gesehen, vermutlich keinen Konfrontationsstoff geben, weil man die neuralgischen oder heißen Stellen umgeht. Die Obergrenze ist eine Formulierungssache und der Familiennachzug eine Härtefall- und Zeitfrage.
Für Schulz geht es um das politische Überleben
Am meisten riskiert die SPD und Schulz. Dessen Ansage, dass es ein "Weiter so", eine bloße Fortsetzung der bisherigen Großen Koalition, nicht geben wird, wird schwer oder gar nicht einzulösen sein. Wo soll die SPD Profil gewinnen? Beim Rückkehrrecht von der Teilzeit in die Vollzeit? Bei der Bildungspolitik? Bei der Krankenversicherung?
Man kann annehmen, dass die Union, die Neuwahlen auch nicht mehr zu fürchten hat als die SPD, den Sozialdemokraten bei den noch nicht ausgegorenen Themen wie Bürgerversicherung oder auch der Neuaufteilung von Kompetenzen zwischen Bund und Ländern bei der Bildungspolitik genaue Grenzen setzen wird, nämlich dort, wo CDU und CSU selbst ihr Profil verlieren würden, so dass - wie auch bei der Steuerpolitik - nicht "an einem großen Rad" gedreht werden wird.
Aber vielleicht geht etwas bei den Investitionen für die Infrastruktur voran. Vielleicht erzielt die SPD ein Entgegenkommen bei der Verlängerung des Arbeitslosengeld I und bei paritätischen Aufteilung des Krankenkassenbeitrags zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, was sie dieses Mal dann auch besser in ihr SPD-Schaufenster stellen kann - und möglicherweise überzeugt das dann auch die Landesverband in NRW und die Jusos, die bislang gegen die GroKo sind, davon, dass die SPD etwas in dieser Konstellation bewegen könnte. Man darf gespannt sein auf die Gaben des Entgegenkommens seitens der Union.
Die neue große Koalition wird nicht viel anders werden als die vorherige. Wahrscheinlich wird sie von Anfang mit der Frage zu tun haben, wie lange sie halten kann. Am Freitag entscheidet die SPD-Spitze, ob sie nach den Sondierungsgesprächen Verhandlungen zu Koalitionsgesprächen aufnehmen will, am 21. Januar entscheidet dann der Parteitag in Bonn.