"Soziale Ungleichheit wird als Gesellschaftselixier gepriesen"
Seite 2: "Reiche und Superreiche müssen endlich angemessen an der Finanzierung dieses Sozialstaates beteiligt werden"
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Können Sie weitere Beispiele anführen?
Ulrich Schneider: Die Beispiele sind so zahlreich wie das Leben facettenreich. Es fällt doch wirklich auf, wenn z.B. immer die gleichen Kinder angeblich krank werden, wenn Kindergarten oder Schulklasse einen Ausflug machen. In Wirklichkeit fehlt dann allzu oft einfach das Geld und die Eltern schämen sich, es zuzugeben. Es fällt beispielsweise auf, wenn immer die gleichen Kinder nicht mitkommen, wenn die Freunde mal ins Kino oder in den Zoo gehen. Es sind die gleichen Kinder, bei denen für den Schulerfolg auch der Computer zu Hause fehlt und die auch nicht das Geld haben, um sich teure Fußballschuhe oder das teure Trikot für den Sportverein leisten zu können.
Auch wer arbeitslos wird, verliert meist nicht nur seinen Job, obwohl das allein schon schlimm genug ist. Schluss ist dann auch allzu oft mit dem Kegelverein, dem gelegentlichen Besuch einer Theateraufführung oder mal mit Freunden Essen zu gehen. Rückzug und Isolation ist ganz oft das Schicksal der Armen. Nur werden Neoliberale vehement bestreiten, dass dies bereits Armut ist: Sie haben doch Nahrung, einen Fernseher und ein Dach über dem Kopf. Was wollen sie mehr?
Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden, um Armut tatsächlich effektiv zu bekämpfen?
Ulrich Schneider: Es geht um ein ganzes Maßnahmenbündel, das von öffentlich geförderter Beschäftigung über deutlich mehr Bildungsanstrengungen für Kinder aus benachteiligten Familien bis hin zur Schaffung eines sanktionsfreien und wirklich bedarfsdeckenden Grundsicherungssystems für arbeitslose, erwerbsgeminderte und alte Menschen reicht.
Wir müssen die soziale Infrastruktur stärken, gerade in strukturschwachen Regionen mit viel Armut. Die Palette reicht von öffentlichen Bibliotheken über Schwimmbäder bis hin zu Musikschulen, Jugendzentren, Erholungsmaßnahmen für Familien oder Nachbarschaftsheimen. Sicherzustellen ist, dass wirklich alle, unabhängig von ihrem Einkommen, Zugang zu diesen Angeboten haben.
Warum fällt es Politik so schwer, den Armen grundlegend zu helfen?
Ulrich Schneider: Weil es Geld kostet, Geld, das in den öffentlichen Haushalten in den Größenordnungen, in denen wir es benötigen, schlicht nicht da ist. Grundlage für eine jegliche Politik, die ernst machen will mit der Bekämpfung der Armut, ist daher ein rigoroser Kurswechsel in der Steuerpolitik. Und dazu müsste man einigen der sogenannten gesellschaftlichen Eliten, ob man will oder nicht, auch auf die Füße treten.
Reiche und Superreiche müssen dann nämlich endlich angemessen an der Finanzierung dieses Sozialstaates beteiligt werden. Es geht um die Vermögenssteuer, die Erbschaftssteuer, die Besteuerung von Kapitalerträgen und auch sehr hoher Einkommen. Genau das ist es, wovor große Teile der Politik zurückschrecken. Die große Koalition hat Steuererhöhungen geradezu zum Tabu erklärt. Wir werden jedoch die Armut in Deutschland niemals überwinden, wenn wir dieses Tabu nicht brechen.
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