Sozialismus ade
Googles kommerzielles Wissensportal Knol setzt im Gegensatz zu Wikipedia auf Autorenbeiträge und eröffnet vielfältige Manipulationsmöglichkeiten
Die Google-Familie hat wieder Nachwuchs bekommen. Neben der Suchmaschine, dem Kartendienst Google Maps, der Satellitensimulation Google Earth und vielen weiteren Features hat der kalifornische Internetdienstleister ein neues Produkt ins Rennen um die liebe Aufmerksamkeit geschickt: Google Knol. „Knol“ leitet sich von „knowledge“ ab und will sich als Portal für Fachinformationen positionieren. Eine Art Wissenslexikon. Damit erklärt der milliardenschwere Google-Konzern seinem Widersacher, der freien Enzyklopädie Wikipedia, den Krieg.
In der Ankündigung von Google heißt es: „Knols are authoritative articles about specific topics, written by people who know about those subjects“. Und weiter: „The key principle behind Knol is authorship. Every knol will have an author (or group of authors) who put their name behind their content. It's their knol, their voice, their opinion. We expect that there will be multiple knols on the same subject, and we think that is good.”
Auf der Startseite von Knol finden sich die Porträtbilder einiger Autoren, die Artikel über die Sonneneklipse, über Buttermich-Pfannkuchen oder die Geschichte der spanischen Sprache geschrieben haben. Ihrem Konterfei sind einige wenige biografische Angaben beigefügt, beispielsweise wo sie beschäftigt sind. Eine besondere Identitätsprüfung, von Google per Telefon oder Kreditkartenabgleich veranlasst, soll die Zuverlässigkeit der nun „verifizierten“ Autoren unterstreichen. Knol-Autoren können festlegen, ob ihre Artikel von anderen verändert werden dürfen oder nicht. In den meisten Fällen sind geschlossene, bestenfalls moderierte Kollaborationen vorhanden. Creative Commons-Lizenzen regeln die Weiterverwendung der Texte. Darüber hinaus müssen die Autoren entscheiden, ob in ihrem Beitrag Werbung per Google AdWords erlaubt ist.
Der Autor hat das Sagen
In vielerlei Hinsicht positioniert sich Knol konträr zur freien Enzyklopädie Wikipedia. Die Attraktivität von Wikipedia besteht seit je im diskursiven Wechselspiel zwischen den Autoren, die am gleichen Artikel schreiben, ihn umformulieren und manchmal zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Im günstigen Fall mendelt sich nach einer Weile Qualität heraus. Im ungünstigen Fall verstricken sich die Teilnehmer in intellektuelle – manchmal ideologische - Schaukämpfe. Bei Google Knol hat nur einer das Sagen: der Autor. Wenn er will, kommt allein seine Perspektive auf ein Thema zum tragen. Andere User können zwar seinen Eintrag kommentieren, jedoch nicht abändern. Sind sie vollkommen anderer Meinung, müssten sie einen eigenen Artikel verfassen.
Gerade diese Vielstimmigkeit hält Google für wünschenswert: mehrere Beiträge verschiedener Autoren zu einem Thema – das ist das Ideal von Knol. Welche Zumutungen freilich sich damit für den Leser verbinden, der sich durch mehrere ellenlange Knols wühlen muss und gleichzeitig zu entscheiden hat, welchem Beitrag er mehr Vertrauen und Plausibilität zubilligt, steht auf einem anderen Blatt. Ob sich die Beiträge überhaupt unterscheiden oder ob nicht zwei Autoren ihrem Ego freien Lauf lassen und im Wesentlichen zu gleichen Ergebnissen kommen, erschließt sich dem Leser erst am Schluss der Lektüre.
Genauso schwierig erscheint es, über das Bias des Autors zu entscheiden, seine möglicherweise interessegeleitete Perspektive. Die dürftigen Angaben zur Person, zur wissenschaftlichen Herkunft oder über die Beschäftigungsverhältnisse geben nicht unbedingt Auskunft darüber, ob hinter dem Artikel nicht verschwiegene Interessen stehen. Es könnte sich beispielsweise um Auftragsarbeiten für Industrieunternehmen handeln, mit anderen Worten: PR. Davor ist Knol nicht gefeit. Während es in der diskursiven Auseinandersetzung bei Wikipedia, wo viele Autoren um die Tendenz eines Beitrags feilschen, immer auch eine soziale Kontrolle gibt, wird diese bei Knol dem Leser mit dem flapsigen Hinweis auf Vielstimmigkeit überlassen.
Geld durch Werbung
Schon jetzt gibt es bei Knol auffallend viele medizinische Beiträge über Krankheitsbilder wie Hepatitis, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, Osteoarthritis oder Epilepsie. Für Wissenschaftler, deren Reputation von der Zitierfrequenz abhängt, mag es vorteilhaft sein, ihre Arbeiten, für die sie von Universitäten bezahlt werden, bei Knol öffentlich zu machen. Kontextwerbung, die bislang nicht vorzufinden ist, würde sicherlich ihrer wissenschaftlichen Reputation schaden. Schleichwerbung, das auffällig häufige Erwähnen von Medikamenten, allerdings auch.
Indessen fragt es sich, wann dezidierte Produktwerbung am Rand von Knol-Artikeln etwa über Migräne auftauchen wird? 12 bis 14 Prozent aller Frauen und 6 bis 8 Prozent aller Männer leiden weltweit unter dieser Krankheit, suchen Hilfe und wollen sich informieren. Das sind möglicherweise Abermillionen Views. Wenn nur ein Bruchteil davon künftige Werbung für Medikamente anklickt, würde dies nicht zum Schaden des Autors geschehen. Die Provision von Googles AdWords ermittelt sich aus der Zahl der Klicks und dem vom Inserenten dafür bereitgestellten Betrag. Im Falle von Pharmawerbung kommt sicherlich schnell Einiges zusammen.
Darüber hinaus wird Google alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um die Knol-Plattform nach vorne zu bringen. Dass kürzlich der zentrale Artikel über Migräne von einem Richard Kraig beim Google-Ranking auf Platz 2 stand, mag ein Zufall gewesen sein und hat sich zwei Tage später schon wieder erledigt. Google wird nicht so dumm sein, seinen heiligen Gral – den Ranking-Algorithmus – aufs Spiel zu setzen. Was jedoch nicht heißt, das sich Knol-Artikel nicht anderweitig hervorheben ließen.
Es bedarf insgesamt wenig Einbildungskraft zu verstehen, dass Googles Geschäftsmodell jene Artikel begünstigt, die dem Massenkompatiblen folgen. Googles eigene Zugriffs-Top 100 wäre da sicherlich ein Anhaltspunkt. Wer schnell und zuverlässig schreiben kann, für den könnte Knol ein lohnendes Nebengeschäft werden. Sozialismus ade – es lebe die freie Marktwirtschaft.