Sozialkreditsystem in China: Unterstützung, Überwachung oder Steuerung?
Studie: Erste Einschätzungen darüber, wie die Technoregulierung deutsche Unternehmen trifft
China hatte 2014 beschlossen, sein Sozialkreditsystem (SKS) zur Kontrolle des Verhaltens jedes in China tätigen Unternehmens, jeder Privatperson und aller Organisationen einzuführen. Das komplexe Regulierungsinstrument sollte ursprünglich 2020 landesweit eingeführt werden, funktioniert bis heute aber keinesfalls lückenlos und setzt je nach Provinz unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte.
Das SKS ist Teil eines umfassenden Vorstoßes der chinesischen Regierung unter Xi Jinping zur Durchsetzung von Regeln und Vorschriften. Das Nicht-Einhalten staatlicher Regeln fußt in China durchaus auf einer alten Tradition. "Die Berge sind hoch und der Kaiser ist weit", lautet ein altes chinesisches Sprichwort. Gemeint ist damit: "Was jucken uns die Edikte des Kaisers, der weit entfernt residiert?"
Auch wenn der Kaiser inzwischen seinen Nachfolger in der Partei gefunden hat, haben sich zusehends erfolgreichere Unternehmer immer wieder die Freiheiten genommen, sich nicht an die staatlichen Vorschriften zu halten. Noch in den 1990-er Jahren waren die Arbeitsbedingungen in vielen chinesischen Industriebetrieben mit den Arbeitsschutzvorschriften in vielen westlichen Ländern kaum zu vergleichen.
Mit der Öffnung Chinas für den Welthandel und die Globalisierung haben auch ausländische Investoren Vorteile darin gesehen, den strenger werdenden heimischen Vorschriften zu entfliehen und setzten auf wenige einzuhaltende Vorschriften und niedrige Kosten.
Wie sehen denn nun Unternehmer aus Deutschland die Vorschriften, die ihnen durch das Sozialkreditsystem (SKS) erwachsen? Antworten darauf sucht die im Februar vom bidt (Bayerisches Forschungszentrum für Digitale Transformation) herausgegebene Studie: "Technoregulierung in China: bayerische Unternehmen im Sozialkreditsystem". Sie ist Teil des vom bidt geförderten Konsortialprojektes mit der vielsagenden Frage im Titel: "Vom 'Vorreiter' lernen?"
Untersucht werden soll in ambitionierten Weise - mittels einer "multidisziplinären Analyse" - das chinesische Sozialkreditsystem und seine Auswirkungen auf Deutschland".
Für Unternehmen wird das Sozialkreditsystem in erster Linie durch rote ("gut") und schwarze ("schlecht") Listen umgesetzt. Sobald ein Unternehmen auf die schwarze Liste gesetzt wird, drohen negative Sanktionen. Da alle in China registrierten Firmen vom SKS erfasst werden, sind auch die bayerischen Unternehmen, die mit Tochterfirmen in China tätig sind, automatisch Teil dieses Systems und an die dadurch notwendigen Compliance-Maßnahmen gebunden.
China ist seit 2020 Bayerns größter Handelspartner ist, so hat das SKS für die bayerische Wirtschaft und Politik eine besondere Relevanz.
Wie ist das SKS aufgebaut?
Der wichtigste Kategorisierungsmechanismus des Systems besteht aus Einträgen in Register und Listen, mit denen das Verhalten von Unternehmen und Einzelpersonen belohnt (Redlisting) oder bestraft wird (Blacklisting und sogenannte Verwaltungsstrafen).
Das SKS zielt darauf ab, bestimmte Geschäftsaktivitäten entweder als erwünscht einzustufen und sie durch Aufnahme in die rote Listen zu belohnen oder als unerwünscht und diese durch Verwaltungsstrafen und schwarze Listen zu bestrafen. Die positiven Einträge beziehen sich hauptsächlich auf Steuerangelegenheiten, während die Missachtung von Vorschriften in den Bereichen Arbeitssicherheit, Gesundheit und Umwelt den Großteil der Negativeinträge ausmacht.
Man muss in der Praxis jedoch beachten, dass es bislang erhebliche Unterschiede bei der Umsetzung des SKS durch die einzelnen lokalen Behörden gibt. Die Aufsichtsbehörden sind in einigen Provinzen aktiver als in anderen.
So legen die Behörden in den Provinzen Shanghai und Jiangsu, in denen zahlreiche bayerische Unternehmen ansässig sind, besonderes Gewicht auf Kontrollen in den Bereichen Umweltschutz, Arbeit und Arbeitsschutz sowie Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. In Peking und Guangdong, zwei Provinzen, in denen ebenfalls viele bayerische Unternehmen angesiedelt sind, ist dies nicht zu beobachten. Neben den Provinzbehörden können jedoch auch kommunale Behörden ihren Teil zu den Listeneinträgen beitragen.
Größere Unternehmen tendenziell besser vorbereitet
Die Informationen des SKS sind frei zugänglich, allerdings muss man den chinesischen Firmennamen des Unternehmens kennen, über das man Informationen sucht.
Für die bidt-Studie konnten 170 bayerische Unternehmen mit ihrem chinesischen Namen identifiziert werden und man fand heraus, dass diese Investoren größtenteils auf roten Listen erfasst sind. Fast neun Prozent der Unternehmen haben jedoch einen negativen Systemeintrag in Form einer Verwaltungsstrafe, der unter Umständen zu einem Eintrag auf einer schwarzen Liste führen kann.
In der Untersuchung wurde analysiert, wie große, mittlere, kleine und kleinste in China aktive bayerische Unternehmen im SKS klassifiziert und bewertet werden. Diese Analyse wurde ergänzt durch zehn teilstrukturierte Tiefeninterviews mit führenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Unternehmen unterschiedlicher Größe, die in verschiedenen Sektoren und Regionen in China tätig sind. Dazu kam noch ein in Peking ansässiges Beratungsunternehmen.
Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass größere Unternehmen tendenziell besser auf das SKS vorbereitet sind und über tiefer gehende Kenntnisse des Systems verfügen als kleinere Unternehmen. Allerdings erhielten Firmen aus beiden Unternehmensklassen negative SKS-Einträge.
Als positive Auswirkungen des SKS werden festgestellt, dass die Korruption zurückgegangen ist und potenziell einheitlichere Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen vorherrschen, weil das System auch für chinesische Unternehmen gilt. Als negativ wird wahrgenommen, dass eine weitere bürokratische Ebene eingezogen wurde und sowohl ein Mangel an Informationen über das System besteht, als auch seine beständige Weiterentwicklung, die von den betroffenen Unternehmen ein ständiges Monitoring erfordert, was größere Unternehmen eher leisten können, als Kleinstunternehmen. Die Unternehmen werden von den chinesischen Behörden über die Weiterentwicklung des Systems nicht informiert und müssen sämtliche Informationen dazu selbst beschaffen. Zu den bekannten Schwierigkeiten gehört auch das Problem, dass es nicht so einfach ist, mit seinem Eintrag in der schwarzen Liste gelöscht zu werden, obwohl der von einer Verwaltungsstrafe betroffene Vorfall entsprechend den Vorschriften gelöst wurde.
Politische Momente
Im Gegensatz zu den in westlichen Medien geäußerten Befürchtungen ergab die Analyse ein weniger hochtechnisiertes und zentralisiertes SKS, als oftmals vermutet wird. Es zeigen sich noch größere Lücken, das System arbeitet noch nicht so effizient, wie es die Angst vor der Technoregulierung suggeriert.
Während sich die Anwendung des SKS laut bayerischen Investoren größtenteils auf die Umsetzung von Regeln und Vorschriften konzentriert, zeigte sich ein Fall, in dem ein großes bayerisches Unternehmen mit einer Verwaltungsstrafe belegt wurde, weil es mit Begriffen wie "exzellent" oder "national" geworben hatte, was eine politische Konnotation zu haben und somit der Staatspartei vorbehalten zu sein scheint.
Die Studie sieht das SKS als eine sich zwar noch entwickelnde, doch ernst zu nehmende Form der Technoregulierung. Ausländische Unternehmen mit chinesischem Standort müssen daher darauf vorbereitet sein. Fortschritte zeichnen sich ab.
KI und Regulierungsstaat
In Anlehnung an die Tradition der chinesischen experimentellen Regierungsführung, die einen schnellen Wandel ermöglicht, experimentieren Pilotprojekte in Provinzen wie Sichuan schon mit Technologien wie Big Data und algorithmischen maschinellen Lernen, um Datenmanipulation zu verhindern, Datensicherheit zu gewährleisten und Markttransaktionen zu unterstützen und zu vereinfachen.
Eine KI-gesteuerte Technoregulierung könnte somit schon bald Realität werden. Mit dem SKS schafft China eine neue Art von Regulierungsstaat, der sich weniger auf das europäische Modell autonomer, regierungsunabhängiger Aufsichtsbehörden stützt als vielmehr auf eine umfassende Datenerfassung durch den Staat und neue technikaffine Akteure.
Ein positiver Effekt für global tätige Unternehmen entsteht dabei zumindest in Teilbereichen wie Umwelt und Arbeitssicherheit. Hier kann das SKS Interaktionen zwischen dem chinesischen Regulierungsmodell und denen der EU bzw. USA erleichtern, da Vorschriften konvergieren, was wiederum einen reibungsloseren Handel ermöglicht. Ein Problem könnte entstehen, wenn die chinesischen Datenschutzbestimmungen mit der europäischen DSGVO kollidieren sollten.
Die Studie " Technoregulierung in China: bayerische Unternehmen im Sozialkreditsystem" wurde am 3. Februar 2022 im Rahmen einer Veranstaltung der vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. vorgestellt, die in diesem Zusammenhang auch ihre Forderungen nach einem balancierten China-Kurs vorstellte.