Späte Gerechtigkeit
Staatsanwaltschaft von Genua erhebt Anklage wegen Misshandlung von Globalisierungskritikern
In Deutschland sind die staatlichen Gewaltexzesse der italienischen Polizei gegen Globalisierungsgegner während des G8-Gipfels in Genua im Juli 2001 weitgehend vergessen (Folter in Genua?). Nicht so in Italien. Denn nach mehr als zwei Jahren hat die Staatsanwaltschaft am 12. September gegen 72 Polizisten, leitende Beamte und Angehörige des medizinischen Personals Anklage erhoben. Ihnen wird die Bedrohung und Verprügelung wehrloser Demonstranten vorgeworfen. Damit sind mehr als zweijährige Ermittlungsarbeiten beendet.
Auch in Deutschland wurden vor einigen Monaten mehrere von den Misshandlungen Betroffene als Zeugen vernommen. 43 Personen sind wegen der Misshandlungen von Demonstranten in der Polizeikaserne Bolzaneto angeklagt, 27 wegen des Überfalls auf Diaz-Schule in Genua, wo Globalisierungskritiker im Schlaf von der Polizei überfallen und schwer verletzt wurden. Drei weitere Anklagen wurden wegen des Überfalls auf die angrenzende Pascoli-Schule erhoben, in der sich das Medienzentrum der Protestbewegung befunden hat.
Unter den Angeklagten befinden sich der ehemalige Chef des Servizio Centrale Operativo Francesco Gratteri, der Vize-Direktor der "Anti-Terroreinheit" Gianni Luperi und der ehemalige Kommandant der Polizeispezialeinheit Digos in Genua Spartaco Mortola. Die Beschuldigten haben jetzt 20 Tage Zeit, um zu der Anklageschrift Stellung zu nehmen. Danach werden die Justizbehörden entscheiden, ob dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben wird.
Die Anklageschrift hat unterschiedliche Reaktionen in Italien ausgelöst. Die Polizeigewerkschaft nimmt die beschuldigten Beamten in Schutz und fordert eine Untersuchungskommission. Auch Innenminister Giuseppe Pisanu von der Berlusconi-Partei Forza Italia stellte sich hinter die Polizei und sprach im Zusammenhang mit den Anklagen von bedauerlichen Einzelfällen.
Die der undogmatischen Linken angehörende globalisierungskritischen Disobbedienti hingegen monieren in einer Presseerklärung, dass lediglich Polizisten, nicht aber auch Politiker angeklagt werden. Der Sprecher der No Globals Francesco Caruso erinnerte daran, dass sich nach Aussagen zahlreicher Augenzeugen der Vizepräsident Gianfranco Fini von der postfaschistischen Regierungspartei Alleanze Nazionale während der Polizeiaktionen in der Einsatzzentrale der Carabinieri aufgehalten hatte.
Der Vater des am 20.Juli in Genua von der Polizei erschossenen Demonstranten Carlo Giuliani (Wer erschoss Carlo Giuliani?) forderte eine Wiederaufnahme des Verfahrens auch in diesem Fall. Dem für den Tod des jungen Globalisierungskritikers verantwortliche Polizist wurde Notwehr bescheinigt. Zu einer Anklage kam es nicht.