Spanien: Rechte Ultras wollten Sozialdemokraten stürzen

Spanisches Parlament. Foto (2014): Presidencia de la República Mexicana/CC BY 2.0

Die Vox-Partei stellt einen Misstrauensantrag gegen Pedro Sánchez. Dank eines Frankenstein-Politikers überlebt er als Ministerpräsident. Probleme kommen aus der EU.

Während die französische Regierung wegen der stark umstrittenen Rentenreform nur knapp ein Misstrauensvotum in der Nationalversammlung überstanden hat, musste die sozialdemokratische Regierung in Spanien das am Mittwoch nicht befürchten.

Den sechsten Misstrauensantrag hatte die rechtsradikale Vox-Partei gegen den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez gestellt. Der kennt sich mit solchen Vorgängen aus.

Sánchez selbst war vor fünf Jahren über ein konstruktives Misstrauensvotum ins Amt gekommen und dabei war erstmals ein solcher Antrag in der neuen spanischen Geschichte erfolgreich.

Der sechste Antrag musste scheitern. Tatsächlich stimmten nur die 52 Vox-Parlamentarier und ein Abtrünniger der ultranationalistischen "Ciudadanos" (Bürger) für den Antrag. 201 Parlamentarier lehnten ihn ab. Nicht einmal die Volkspartei (PP), die mit Vox um Stimmen am rechten Rand buhlt, wollte ihn unterstützen.

Ultrarechts, Faschismus und Franco

Ihre Abgeordneten enthielten sich, dabei fordert die PP ständig den Rücktritt von Sánchez. Aber die PP versucht vor den Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai auf Distanz zum ultrarechten Konkurrenten gehen und will die Partei nicht weiter dabei unterstützen, dass sie auf der politischen Bühne gut dasteht.

Schließlich wurde die Partei mit deutlich faschistischer Ausrichtung schon bei den spanischen Parlamentswahlen 2019 drittstärkste Kraft mit knapp 16 Prozent im ganzen Land und macht der PP den rechten Rand streitig.

Dabei versteht sich die PP gut mit ihrer Abspaltung, denn auch die Schwesterpartei der CDU hat sich von Putsch der Generäle gegen die Republik 1936, der von Nazi-Deutschland unterstützt wurde, ebenfalls nie distanziert.

Der Unterschied zur radikaleren Vox ist nur, dass sich die Ultras offen als Anhänger der Franco-Diktatur zeigen. Beide regieren sogar gemeinsam in Regionen oder die PP lässt sich dort von dort Vox seit Jahren dulden.

In Madrid hat die PP-Chefin Ayuso auch kein Problem damit, wenn man sie und ihre Parteifreunde "Faschisten" nennt.

Konkurrenz

Der Vox-Antrag richtete sich nur vordergründig gegen Sánchez. Zentral zielte er vor den Parlamentswahlen im Herbst auf die PP und deren Wähler. Der will Vox verstärkt Wähler abnehmen, die auch bei den vorgezogenen Regionalwahlen in Kastilien-Leon drittstärkste Kraft mit 18 Prozent wurde.

Dort fand der erste Tabubruch statt. Die PP hob Vox in einer Koalition auch in Regierungsverantwortung. Wegen der Konkurrenz bei den Wahlen wollte der PP-Chef Alberto Núñez Feijóo das Thema Misstrauensantrag klein halten.

Er blieb deshalb der Debatte schon am Dienstag fern, reiste am Mittwoch demonstrativ zur EU-Kommission nach Brüssel und sprach von einem "Pseudo-Misstrauensantrag". Die PP-Sprecherin Cuca Gamarra ergriff erst am Mittwoch das Wort und begründete die Enthaltung ihrer Partei:

"Wir werden aus Respekt vor den Spaniern nicht für diesen Antrag stimmen und wir werden aus Respekt vor Ihnen, Herr Tamames, nicht dagegen stimmen."

"Frankenstein": Vom Kommunisten nach rechtsaußen

Dass die Franco-Anhänger den 89-jährigen Ramón Tamames als Kandidaten aufgestellt haben, sagt alles über den Werdegang des ehemaligen Kommunisten aus. Der angesehener Wirtschaftswissenschaftler und Historiker war zwischen 1976 und 1981 sogar Generalsekretär der Kommunistischen Partei (PCE) und in den 1980er-Jahren auch Bürgermeister von Madrid. Er saß in der Diktatur als politischer Gefangener in Haft.

Er trat aber bald den Marsch durch alle Lager bis ganz nach Rechtsaußen an. Bis 1989 war er noch Parlamentarier für die Vereinten Linke (IU), als er in das rechte "Demokratische und Soziale Zentrum (CDS) übertrat.

Sein Diskurs richtete sich vor allem gegen die Linkskoalition "Unidas Podemos", die in einer Koalition mit den Sozialdemokraten regiert, aber vor allem gegen linke Unterstützer aus Katalonien und dem Baskenland. Tamames sprach von der "Frankenstein-Regierung".

Der Einzige, der allerdings im Parlament an Frankenstein erinnerte, war der ultranationalistische Ex-Kommunist. Er konnte nicht einmal ans Rednerpult treten und artikulierte nur schlecht. Sein Diskurs war auch fremdenfeindlich. So fragte er, wieso es "in Spanien dreieinhalb Millionen Arbeitslose gibt, aber alle Lateinamerikaner, die hierherkommen, finden am nächsten Tag Arbeit?"

Das gelte auch für Marokkaner, aber "die Spanier können keine Arbeit finden." Wenn er noch etwas von Sozialismus im Diskurs hat, dann ist das National-Sozialismus. Alles Progressive hat der ehemalige Kommunist über Bord geworfen.

Bisweilen sorgte er ungewollt auch für Lacher, was zeigte, dass man ihn und seinen Diskurs nicht sonderlich ernst nahm, nicht einmal in den Reihen der Vox-Parlamentarier. Er verstieg sich mit Blick auf Basken und Katalanen sogar zur Aussage

"Das Selbstbestimmungsrecht existiert nicht."

Dabei ist es zentraler Bestandteil des Völkerrechts. Auch Spanien hat den UN-Sozialpakt ratifiziert, in dem dieses Recht als Menschenrecht schon in Artikel 1 definiert ist. So beschwor der Ultra die heilige Einheit Spaniens und natürlich auch die Monarchie, die vom Diktator wieder eingesetzt wurde. Nur in der Klimawandel-Frage, den Vox leugnet, zeigte er Diskrepanz zu Vox.

So war es leicht für Sánchez oder die UP-Vertreter, den Diskurs zu demontieren. Sie konnten ihm vorwerfen, dass hinter dem Antrag die "Nachfolger" der Putschisten stehen. "Der einzige Grund für diesen destruktiven Antrag ist, die Zeit um 50 Jahre zurückzudrehen", erklärte Sánchez und warf Tamames Respektlosigkeit vor, da er nicht einmal ein Programm vorgestellt habe.

Dabei sollte er über den Antrag doch zum neuen Regierungschef werden. Er fügte an, dass es "keine gute Idee" war, sich für die herzugeben, die nur Hass verbreiteten. Ausgeheckt hatten den Vorgang der bekannte Journalist und Schriftsteller Fernando Sánchez Dragó und Kiko Méndez Monasterio bei einem Essen mit dem Vox-Chef Santiago Abascal.

So erklärte Abascal den Ultranationalismus zum Bindeglied zu Tamames. Trotz ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Lagern sähe man die Notwendigkeit, "die Einheit Spaniens" zu verteidigen.

Dass Tamames ausgerechnet dem Sozialdemokraten Demagogie und Populismus vorwarf, sich aber dann gemeinsame Sache mit den populistischen Rechtsradikalen macht, kann man vielleicht einer Alterssenilität zuschreiben.

Er meint auch, Spanien ähnelt einer "modernen, absorbierenden Autokratie", dabei steht auch genau Vox intern für einen sehr autokratischen Politikstil. Tamames hat den nützlichen Idioten für Vox gemacht. Abascal, einst PP-Parlamentarier, hat mit dem Vorgehen fast alle seiner Ziele erreicht. Er konnte sich lang und breit im Parlament erklären.

Seine Partei bekommt wegen des Antrags seit Wochen enorme Aufmerksamkeit vor den Regional- und Kommunalwahlen im Mai und den Parlamentswahlen im Herbst.

Pegasus

Das von den Sozialdemokraten geführte Parlamentspräsidium hatte, um Abstand zum direkten Wahlkampf zu bewahren, die Debatte und die Abstimmung sehr schnell angesetzt, um das Thema schnell vom Tisch zu bekommen. Als gewünschter Nebeneffekt sollte damit auch der Besuch einer unangenehmen Kommission aus dem Europaparlament medial an den Rand gedrängt werden.

Die zehn Parlamentarier wollten nach Reisen nach Israel, Polen, Griechenland, Zypern und Ungarn auch in Spanien den Einsatz der israelischen Spionagesoftware Pegasus untersuchen.

Bis hinauf zum katalanischen Regierungschef wurden im "Catalangate"-Skandal auch Europaparlamentarier, Aktivisten und Journalisten ausgespäht, vor allem aus Katalonien. Das hatte das kanadische Labor der Bürgerrechtsorganisation Citizen Lab aufgedeckt.

Auch im neuen Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums wird benannt, dass zwischen "2017 und 2020 bis zu 65 Handys" angegriffen wurden und dass der Geheimdienst CNI die Spionage in 18 Fällen zugegeben habe, angeblich aber über die "erforderlichen richterlichen Genehmigungen" verfügt haben will.

Die Kommission lief aber vor allem gegen Wände, da die Regierung kein Interesse an einer Aufklärung hat. "Wir haben keine nennenswerten Informationen erhalten", sagte die Berichterstatterin, Sophie In't Veld. "Es stellt sich heraus, dass es unglaublich schwierig ist, die Fakten zu ermitteln, weil wir wenig bis gar keine offiziellen Informationen erhalten", sagte sie während einer Pressekonferenz am Dienstag.

Der Kommissionsleiterin Jeroen Lenaers kam es spanisch vor, ausgerechnet an diesem Montag und Dienstag eingeladen worden zu sein. Auch für Lenaers bleiben "zu viele Fragen offen". Zum Beispiel, warum die CNI-Chefin zurücktrat, wenn angeblich alles rechtens zugegangen sei. "Für 47 Fälle gibt es überhaupt keine Erklärung, so dass die Opfer ohne jegliche Rechtsmittel dastehen", kritisiert die Kommission.

Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beweislast bei den Opfern liegt, die sich bei der Beschaffung der Beweise auf die Stellen stützen müssten, "welche die Spionageprogramme gegen sie eingesetzt haben." Um die Probleme zu lösen, empfehlen Lenaers und In’t Veld, dass Spanien Europol eine "angemessene Forensik" an den Geräten der Opfer durchführen lässt, um die Spionage aufklären zu können.

Zu den 47 Opfern gehörte auch die Europaabgeordnete der Grünen/EFA, Diana Riba. In ihrem Fall wurde die Spionage des Geheimdienstes nicht bestätigt. Die erklärte gegenüber EURACTIV, dass sie auf Klarheit über die Rechtmäßigkeit hoffe.

"Warum geschieht dies [Spionage]? Was wirft man uns vor? Wie lange wird schon gegen uns ermittelt?"

Riba erklärte weiter, dass auch die 18 Fälle, auf die sich der Geheimdienst beruft, immer noch nicht als legal angesehen werden können, da es keine Beweise gäbe, die gerichtliche Genehmigungen rechtfertigen.

So weist die Kommission auf den Widerspruch hin, dass die Spionage zwar als legal angesehen werde, es aber auffällig sei, dass keine Anklage gegen die betroffenen Personen erhoben wurde.