Spanien kriminalisiert Kataloniens Regierungschef doch
Der Generalstaatsanwalt setzt sich wegen der Volksbefragung über die Staatsanwälte am Obersten Gericht in Katalonien hinweg
Beinahe hätte es dem spanischen Generalstaatsanwalt Eduardo Torres-Dulce seinen Job gekostet, weil er die Anklage gegen den katalanischen Regierungschef Artur Mas zunächst nicht durchsetzen konnte. Eine klare Mehrheit der Staatsanwälte am Obersten Gerichtshof in Katalonien sah kein Delikt darin, eine unverbindliche Volksbefragung zur Unabhängigkeit durchzuführen, der in Katalonien "Partizipationsprozess der Bürger" genannt wurde.
Doch auf Druck der konservativen Regierung, die stets Repression gegen die Befragung angekündigt hatte, weil auch sie vom Verfassungsgericht vorläufig ausgesetzt worden war, suchte sich Torres-Dulce in Madrid eine Mehrheit. Damit konnte er nun den katalanischen Staatsanwälten eine Klage gegen Mas, dessen Vizepräsidentin Joana Ortega und die Kultusministerin Irene Rigau "aufzwingen", wie auch die Madrider Zeitung Público titelt.
Mas, Ortega und Rigau wird "Ungehorsam, Rechtsbeugung, Amtsanmaßung und Unterschlagung öffentlicher Gelder" zur Last gelegt. Wo sie zum Beispiel das Geld unterschlagen haben sollen, ist völlig unklar, aber dafür droht mit sechs Jahren die längste Haftstrafe. Allen ist klar, wohin das Geld geflossen ist, als die Abstimmung organisiert wurde. Die Anklage entbehrt nicht einer unfreiwilligen Komik und ist Realsatire in einem Land, in dem die Staatsanwaltschaft gegen führende Vertreter der regierenden Volkspartei (PP) keine Anklagen erhebt. Dabei liegen die Listen des ehemaligen PP-Schatzmeisters der Justiz vor. Der hat zugegeben, dass sich die PP wenigstens "in den letzten 20 Jahren illegal finanzierte".
Die 48 Millionen Euro, die vor allem auf Schweizer Konten gefunden wurden, stammten von "Baufirmen und anderen Unternehmen", die "im Gegenzug an öffentliche Aufträge" kamen. Bargeldbeträge seien als "Zusatzlöhne" am Fiskus vorbei auch an Parteiführer geflossen. Gemäß der parallelen Buchführung soll Ministerpräsident Marianos Rajoy sogar die höchste Gesamtsumme (Spaniens Ministerpräsident im freien Fall) erhalten haben.
Nach Angaben des Ermittlungsrichters wurden auch Parteisitze mit Schwarzgeld finanziert. Weil die PP die Ermittlungen behindert, ließ er sogar die Zentrale in Madrid durchsuchen (Spanien: Regierungspartei bis zum Hals im Schwarzgeldsumpf). Die Generalstaatsanwaltschaft sieht auch keine Delikte wie Steuerhinterziehung und Geldwäsche im Fall der Königsschwester Cristina und tritt praktisch als Verteidiger auf. Angeblich soll sie von allen Vorgängen ihres Ehemanns nichts gewusst haben, dabei wurden über gemeinsame Firmen Steuergelder abgezweigt).
Diese Vorgänge sagen viel über die spanische Justiz und ein politisches System aus, das zunächst eine demokratische Befragung verbieten ließ und die Verantwortlichen dafür nun auch noch kriminalisieren will. Der Schreck ist in Madrid groß darüber, dass sich die Katalanen mit einer großen Mehrheit für einen eigenen Staat aussprechen. Davon waren 81% zudem dafür, dass der völlig unabhängig von Spanien sein soll.
Sogar die Sozialisten in Spanien halten die Klage für "unverständlich" und gehen davon aus, dass mit der Anklage nur noch mehr Unabhängigkeitsbefürworter produziert werden. Die Verbote hatten schon längst dafür gesorgt, dass die offensichtlichen Demokratiedefizite viele zu Anhängern der Unabhängigkeitsbewegung gemacht haben, die einst dagegen waren, weil sie jeden Glauben an ein demokratisches Spanien verloren haben (Spanien setzt auf Konfrontation statt auf Abstimmung in Katalonien).
Katalonien rückt weiter zusammen
Die vier Parteien - linksradikal bis christsozial - haben sich gemeinsam als Unterstützung für die Angeschuldigten gegenüber dem Generalstaatsanwalt selbst angezeigt und die "volle Verantwortung" für die Befragung übernommen. Die angeschuldigte Vize-Präsidentin hat das allgemeine Gefühl in Katalonien auf den Punkt gebracht, nachdem Rajoy auch die Forderungen nach einem Referendum nach Muster Schottlands nun erneut abgelehnt hat und sich Verhandlungen verweigert.
Den Dialog habe die Regierung Rajoy abgebrochen, als sie vor gut zwei Jahren sich sogar Verhandlungen über eine bessere Finanzierung verweigerte und später immer weiter Autonomie- und Sprachrechte ausgehebelt hat. "In Spanien haben immer weniger Menschen Platz", bedauerte Ortega. Obwohl sich die Christdemokratin sich nicht als "radikal" versteht, sondern ihren "Willen zum Dialog und Konsens" beschwört, meint sie: "Es wird sehr schwierig mit dieser Regierung zu verhandeln, die uns immer stärker aus Spanien herausdrängt."
Sogar der konservative Josep Antoni Duran Lleida meint: "Rajoy weiß, dass er mit der Anklage alles noch stärker zerstört". Er gehört zu der Fraktion in Mas Koalition, die zwar Katalonien als unabhängigen Staat will, aber ihn weiter in einem föderalen Spanien sehen will. Der schwache Flügel wird weiter geschwächt. Mas hatte sich einen Monat Zeit zur Entscheidung gegeben. Doch angesichts der neuen Entwicklungen bleibt ihm kaum eine andere Wahl, als noch vor Weihnachten vorgezogene Neuwahlen anzusetzen, wie sie die Linke fordert. Sie sollen zu einem Plebiszit über die Unabhängigkeit gemacht werden. In Umfragen legt seine CiU nun wieder zu, da sie sich über das Verbot der Befragung doch hinweggesetzt hat. Die Anklage gegen führende CiU-Mitlieder tut ihr nur einen Gefallen, nachdem sie gegenüber der Republikanischen Linken (ERC) ins Hintertreffen geraten geraten war.