Spanien und das Ausländerrecht

Die spanische Enklave Melilla führt die Sippenhaft für Einwanderer ein

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Spanien brüstet sich damit, das "fortschrittlichste Einwanderungsrecht in Europa" zu haben. So äußerst sich gerne der spanische Ministerpräsident, José María Aznar, bei Auslandsbesuchen. Wie weit Spanien in seiner Fortschrittlichkeit zu gehen bereit ist, zeigt sich nun in Melilla.

Die spanische Enklave hat beschlossen, die Sippenhaft bei Einwanderern einzuführen. Der Sicherheitsrat der spanischen Kolonie will Einwandererfamilien komplett auszuweisen, wenn eines ihrer Kinder straffällig wird. Für den Beauftragten der autonomen Regierung, Arturo Esteban, ist dies zwar eine "drastische" Maßnahme, aber weder "verfassungswidrig noch inhuman".

Dass es sich dabei nicht um eine Provinzposse von Lokalpolitikern handelt, zeigte sich an der Solidarität des Staatsekretärs für Einwanderung, Enrique Fernandez-Miranda. Er sagte Anfang dieser Woche: "Die Ziele, die der Sicherheitsrat anstrebt, sind auch die Ziele, die von der Regierung und der Nation verfolgt werden, um die soziale Ruhe und das friedliche Zusammenleben zu fördern."

So sprang der Staatsekretär dem Regierungschef von Melilla, Juan José Imbroda, zur Seite, der die Maßnahmen mit einer "Schutzlosigkeit gegenüber der extremen Kriminalität" rechtfertigte. Für Imbroda, der für die in Spanien regierende konservativ Volkspartei im Senat in Madrid sitzt, ist das Jugendschutzgesetz für die Situation verantwortlich.

Die etwa 12 Quadratkilometer große Enklave, die auf einer Halbinsel kurz vor der marokkanischen Stadt Nador liegt, hatte sich schon bisher nicht vor drastischen Maßnahmen gegen mutmaßliche Jugendliche Straftäter gescheut. Die Vereinigung für Kinderrechte (Prodein) klagt, dass allein seit dem vergangenen Sommer 44 Kinder nach Marokko abgeschoben wurden. Prodein fasst die neue Lage so zusammen: "Zuerst waren es die Kinder, und jetzt sind auch die Familien dran." Es gehe nicht um die Kriminalität, sondern es sei eine Maßnahme gegen Marokkaner allgemein.

Neben dem Weltkinderhilfswerk der UN, Unicef, sprechen sich auch Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und linke Parteien gegen die Sippenhaft aus. Der Sprecher von Unicef-Spanien, Francisco Gonzáles Bueno, bezweifelt die Legalität der Maßnahme: "Man kann doch die Familienzusammenführung nicht negativ auslegen und eine Kollektivstrafe aussprechen."

Deutlicher wurde Susanna López, die Referentin für Einwanderung der Vereinten Linken (IU). Sie bezeichnete die Sippenhaft als "faschistisch", sie habe mit einem demokratischen System nichts zu schaffen. Die Kinderrechte würden schon jetzt in Melilla "systematisch" verletzt, indem Kinder ohne "minimale Garantien" abgeschoben würden.

Es ist zu vermuten, dass Madrid genau ein Jahr nach Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes einen Testballon startet. Doch schon jetzt gehört das Ausländergesetz Spaniens zu den schärfsten in Europa. Klagen beim Verfassungsgericht haben die Regionalregierungen von Aragon und dem Baskenland gegen das Gesetz eingereicht. Am Samstag wird eine Plattform von 20 Gruppen, Gewerkschaften und Parteien in Barcelona gegen den Jahrestag der Einführung des "rassistischen Ausländerunrechts" demonstrieren. Die Regierung habe mit der Verschärfung keines ihrer Ziele erreicht und die Fremdenfeindlichkeit nur verstärkt, beklagen die Gegner des Gesetzes. Tatsächlich hat das EU-Zentrum zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in einem Bericht im Dezember eine starke Zunahme von rassistischen Übergriffen in Spanien festgestellt.