Spektakuläre Gangsterbefreiung in Griechenland

Der Ausbruch des griechischen Robin Hoods passt zum desolaten Zustand des Landes, das vor dem Bankrott steht

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Während die Cineasten Europas am Sonntagabend der Oscar-Verleihung entgegen fieberten, ergötzten sich die Griechen an einer Wiederholung, von der lediglich Amateuraufnahmen existieren.. Zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren gelang Vassilios Paleokostas, der moderne Robin Hood Griechenlands, zusammen mit seinem Komplizen Alket Rizaj, der Ausbruch aus der bekanntesten Haftanstalt Griechenlands, Korydallos.

Zur Flucht mit dem Hubschrauber gibt es auch schon ein ironisches Kurzvideo

Die Meldung über den erneuten Ausbruch der beiden Starhäftlinge - Paleokostas ist ein bekannter Entführer und Bankräuber, Rizaj gilt als mutmaßlicher Auftragskiller -, wurde von in- und ausländischen Medien als interessante Meldung präsentiert, der die Regierung Karamanlis erneut erschüttert.

Die griechischen Medien freuen sich über ein publikumswirksames Thema, die Bloggergemeinde und Internetforen sind voll Spott und Häme. In Windeseile verbreiten sich über Radiostationen immer neue Witze über das Thema. "Paleokostas ist unverschämt, in Zeiten wirtschaftlicher Krisen flieht er mit einem Helikopter, war ihm das Taxi zu bürgerlich?"

Den meisten Griechen stand folgerichtig am Montagmorgen ein Lächeln auf den Lippen. Paleokostas hat den Ruf eines modernen Robin Hoods. Seine Straftaten hatten bisher immer eine gewisse Komik für den einfachen Bürger. Legendär ist seine Vorliebe für schnelle Autos, die er sich gerne von Passanten "leiht". Normalerweise zwingt er mit vorgehaltener Waffe einen Autofahrer zur Fahrzeugübergabe. Tage später ruft er den Besitzer an, teilt mit, wo dieser seinen Wagen wieder auffinden kann und weist auf einen Briefumschlag im Handschuhfach hin. In der Regel befinden sich etwa Tausend Euro in den Briefumschlägen.

Bisher hat weder Paleokostas, noch sein ebenfalls professionell krimineller Bruder Nikos Paleokostas eines seiner Opfer verletzt. Er ist dafür bekannt, dass er gerne Industrielle, wie im Sommer 2008 den CEO von Alumil S.A., Georgios Mylonas, entführt. Industriebosse sind im heutigen Griechenland nicht gerade beliebt. Durchschnittslöhne von 700-800 Euro für Arbeiter und Angestellte, Steuergeschenke an Industrielle von der jeweiligen Regierung und immense Teuerungsraten bringen die Griechen regelmäßig dazu, Streiks und Aufruhr zu organisieren.

Ein Gangster, der niemandem aus dem Volk schadet, Industrielle beraubt, einen Teil der Beute verteilt und gleichzeitig für spektakuläre Aktionen sorgt, wäre auch für Hollywood ein Star. Gerne wird allerdings verschwiegen, dass sein Ausbruchskomplize zu den gefährlichsten Auftragskillern Griechenlands gezählt wird. Selbst die sonst in Medien unterschwellige Fremdenfeindlichkeit gegen Migranten aus Albanien verblasst vor der Bewunderung für Paleokostas.

Um die Bürger zu beruhigen, hat die Regierung den Gefängnisdirektor entlassen, mehrere Beamte suspendiert, Anklagen gegen die Beamten erhoben, den Piloten des entführten Helikopters festgenommen und angekündigt, man werde der Sache auf den Grund gehen.

Derweil wurde bekannt, dass auch nach dem letzten Helikopterausflug Paleokostas (2006) keine der angekündigten Maßnahmen umgesetzt wurde. Premierminister Karamanlis hat diesmal Pech, denn seinerzeit war er bereits an der Regierung, kann also nicht auf seine beliebte Ausrede zurückgreifen, dass die Vorgängerregierung der Pasok an allem Schuld ist.

Sicher ist, dass nichts mehr sicher ist

Man fragt sich, wie ein Hubschrauber unbemerkt über eine Flugverbotszone inmitten einer europäischen Hauptstadt fliegen kann. Während in aller Welt die Bürger unter den verschärften Sicherheitsmaßnahmen leiden, kann in Athen ein Flugobjekt wie "ein Taxi 200 m über eine bewohnte Flugverbotszone fliegen" (Zitat aus einer TV-Sendung, Kitrinos Typos - ALTER 23.2.2009).

In der Tat war die Reaktion der Polizeikräfte während des Ausbruchs von Paleokostas eine Demonstration der Hilflosigkeit. Ein Polizist verletzte sich selbst mit der eigenen Schusswaffe, die anderen schossen recht ziellos in die Luft. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn der Helikopter über bewohntem Gebiet abgeschossen worden wäre. Die Haftanstalt Korydallos liegt in einem dicht bewohnten Vorort Athens.

Die sonst bei Demonstrationen stets präsenten Polizeihubschrauber waren weit und breit nicht zu sehen. Bisher offiziell noch unbestätigte Gerüchte besagen, dass die Fliegerstaffeln am Sonntagvormittag frei hatten, da sie für das abendliche Erstligaspiel zwischen Panathinaikos Athen und Panionios Athen für die Fanüberwachung benötigt wurden.

Während der Olympischen Spiele von Athen, wurden sechs Milliarden Euro für die Infrastruktur und Sicherheit ausgegeben. Dass es dabei Korruption gab, ist mittlerweile aktenkundig. Interessant ist allerdings, dass der größte Skandal der Olympischen Spiele das von Siemens gelieferte Sicherheitssystem betrifft.

In der Tat waren die Spiele, auch vor dem Hintergrund des weltweiten Kampfes gegen den Terror sicher. Vielen Griechen ging damals die Sicherheit sogar zu weit. Nach den Todesschüssen auf den fünfzehn jährigen Schüler Alexis Grigoropoulos am 6. Dezember 2008 (Verletzte Demokratie), die zu wochenlangen Straßenschlachten geführt hatten ("Bis die Regierung stürzt"), sorgt die verunsicherte Polizei nur noch für eine Serie von Pleiten Pech und Pannen.

Mal wird ein Wachmann der US-amerikanischen Botschaft "versehentlich" beschossen. Ein anderes Mal kann eine Gruppe von Terroristen ungestört vor einer TV-Station Schießübungen veranstalten.

Es wird bekannt, dass die griechische Polizei mit Rechtsradikalen kooperiert (Patrouillierte griechische Polizei mit Neonazi-Milizen?). Hart greift die Polizei nur durch, wenn es gerade nicht angebracht ist. Fast täglich wird vor Banken und öffentlichen Gebäuden Athens eine Bombe gefunden oder zumindest ein PKW angezündet

Schwere Zeiten für die Regierung

Doch die Regierung Karamanlis hat nicht nur mit der Innenpolitik und Immobilienmaklern in Mönchskutte Probleme (Griechische Regierung: Skandale und Bauernopfer). Eine tagelange Blockade aller Hauptverkehrsadern Griechenlands durch protestierende Bauern wurde zwar mit einem versprochenen Zuschuss von 500 Millionen Euro beendet, es ist allerdings fraglich, ob die EU-Kommission dieses Verfahren gestattet.

Derzeit werden wieder Straßen blockiert. Diesmal beklagen sich die LKW-Fahrer. Die Krankenhausärzte streiken oder beschränken sich seit Wochen auf einen Dienst nach Vorschrift. Gegenüber Lieferanten haben die öffentlichen Krankenhäuser Schulden von mehr als 5 Milliarden Euro, die aus unerfindlichen Gründen nicht im Staatshaushalt auftauchen. Aus diesem Grund werden Krankenhäuser und Rettungsdienste stellenweise nicht mehr beliefert. Es gab bereits Todesfälle, die auf Materialmangel zurückgeführt werden. Dem Durchschnittsbürger hat den Eindruck, als würde nichts mehr funktionieren.

Die EU-Kommission wird aufgrund der unübersichtlichen Haushaltslage Griechenlands und der hohen Verschuldungsquote ein Defizitverfahren starten. Die Handlungsfreiheit der Regierung Karamanlis wird dadurch mit Sicherheit noch mehr eingeschränkt.

Seit Tagen werden von der Presse Berichte angekündigt, die beweisen sollen, dass die tatsächliche Staatsverschuldung ca. 800 Milliarden Euro beträgt. Bei einem Bruttoinlandsprodukt von 260 Milliarden Euro würde dies den Staatsbankrott bedeuten.

Selbst wenn diese Berichte nur teilweise einer Prüfung standhalten sollten, besteht die Gefahr, dass die Zahlungsunfähigkeit des kleinen Griechenland gepaart mit einem mehr und mehr erkennbaren Machtvakuum, die gesamte Eurozone erschüttern könnte. Angesichts dieser düsteren Aussichten kursiert als politischer Witz die Frage: "Paleokostas ist mit dem Helikopter verschwunden, wie wird wohl Neokostas (Wortspiel aus Nea Dimokratia und Kostas Karamanlis) fliehen?"