"Spezialoperation" Nawalny

Protest am 6. Mai am Bolotnaja-Platz. Plakat vor roter Fahne "Ich glaube Nawalny, der Macht nicht": Bild: U. Heyden

Der Blogger und Bürgermeister-Kandidat Aleksej Nawalny soll nicht nur die Moskauer Wahlen schmücken. Die liberale Fraktion im Kreml will den oppositionellen Medienstar auch in die offizielle Politik locken

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Die überraschende Freilassung des russischen Oppositionspolitikers Aleksej Nawalny erstaunt die Russen. Noch nie zuvor hatte die Macht in Russland gegenüber einem bekannten Oppositionellen auch nur den Anschein von Nachgeben gezeigt.

Der bekannte Blogger war letzte Woche, nur einen Tag nachdem er zu fünf Jahren Haft verurteilt und ins Untersuchgefängnis überstellt worden war, freigelassen worden. Der Oppositionspolitiker darf sich nun bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens frei in Moskau und der nordrussischen Stadt Kirow aufhalten. Unter dem Triumph von 300 Anhängern traf der Freigelassene am Sonnabend auf dem Moskauer Jaroslawski-Bahnhof ein.

Das Ganze sei eine "Spez-operazija" ("Spezialoperation") des Kreml, so eine weitverbreitete Meinung in Russland. Doch mit welchem Ziel diese "Spezialoperation" durchgeführt wird, darüber sind sich auch erfahrene Kommentatoren und Politologen nicht einig.

Nach 13 Jahren Putin ist es das erste Mal, dass der Kreml gegenüber einem bekannten Oppositionellen nicht die übliche harte Tour fährt. Offenbar hat sich im Kreml die liberale Fraktion durchgesetzt. Die Opposition soll nicht nur mit Repressionen, sondern verstärkt auch mit politischen Manövern klein gehalten werden.

Nachgeben galt bisher als Schwäche

Bisher forderte Wladimir Putin, dass seine Anordnungen ohne Widerspruch umgesetzt werden. Ein Nachgeben gegenüber bekannten Vertretern der Opposition galt als Schwäche, weshalb die Wladimir Putin ergebenen Richter im Fall des ehemaligen Öl-Magnaten Michail Chodorkowski bis heute hart geblieben sind. Chodorkowski sitzt seit 2003 wegen Steuerhinterziehung und angeblichem Öl-Diebstahl in Haft.

Für die staatlichen Medien stand bereits vor dem Richterspruch fest, dass Nawalny, der zu fünf Jahren Haft wegen angeblicher Unterschlagung bei einem Holzhandel verurteilt wurde, schuldig ist. Der Anti-Korruptions-Kämpfer Nawalny sei selbst korrupt, schallte es gehässig von Seite Kreml-treuer Duma-Abgeordneter, denen der Blogger mit seinen Enthüllungen über Luxuswohnungen in Florida das Leben schwer machte.

Dass der gleiche Staatsanwalt, der dafür plädierte, Nawalny unmittelbar nach dem Urteilsspruch festzunehmen, nur einen Tag später seine Freilassung anordnete, damit der Verurteilte - so die offizielle Begründung - bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens seinen Aufgaben als Kandidat bei den Moskauer Bürgermeister-Wahlen nachgehen kann - , lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der Staatsanwaltschaft aus dem Kreml das Kommando zum Umsteuern bekam.

Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten, bestreitet erwartungsgemäß jede Einflussnahme des Kreml auf die Freilassung des bekannten Bloggers. Diese Maßnahme sei vom Gericht getroffen worden. Die Freilassung dem Präsidenten zuzuschreiben, sei "absolut unlogisch und nicht richtig", erklärt Putins Sprecher.

Moskauer Bürgermeister fordert, für Nawalny zu unterschreiben

Dass im Fall des bekannten Bloggers eine "Spezialoperation" des Kremls läuft, ist nicht nur ein Gerücht. Es gibt Fakten. Unmittelbar nach der Verurteilung des Bloggers zu fünf Jahren Haft erklärte der Moskauer Bürgermeister, Sergej Sobjanin vor laufenden Fernsehkameras, er sei dafür, dass alle fünf Kandidaten - "auch Nawalny" - an den Wahlen für das Moskauer Stadtoberhaupt am 8. September teilnehmen können.

Vom Blogger zum Kandidaten. Bild: Wahl-Website von Nawalny

Bereits Anfang Juli hatte Sobjanin für Aufsehen gesorgt, als er die Stadträte von Moskau aufforderte, die Kandidatur des bekannten Bloggers mit ihrer Unterschrift zu unterstützen, eine formale Prozedur, die eigentlich dazu dienen soll, politisch unliebsame Kandidaten oder Kandidaten mit krimineller Vergangenheit von Bürgermeisterwahlen fern zu halten. Doch Sobjanin sieht den bekannten Blogger nicht als Konkurrenten, der ihm am Wahltag gefährlich werden kann. Nach Meinungsumfragen bekommt der bekannte Blogger nur zwischen acht und 14 Prozent der Stimmen. Doch mit einem Kandidaten Nawalny lassen sich die Moskauer Bürgermeisterwahlen auch international aufwerten, so offenbar das Kalkül des Kreml.