Spiel mir das Lied vom Terrorist

Das Cheney-hafte Paranoia-Szenario von der Fragilität unserer Welt im ersten wirklichen Hollywood-Abgesang auf Bushs-Präsidentschaft: "Body of Lies"

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Technisch immer up to date, hervorragend und elegant inszeniert ist dies ein Action-Thriller-Drama über das Spiel von Täuschung und Enttäuschung. Keiner kann hier irgendwem trauen. Die CIA jagt Terroristen und fingiert dafür Attentate. Sie verwandelt Unschuldige in Terroristen, um dadurch die echten Gejagten in ihrem Stolz zu treffen. So ist Ridley Scotts neuer Film über gelogene Leichen und die Untoten des modernen Geheimdienstes nicht zuletzt ein Film über die Eitelkeit, ein Vanitas-Bild. Es ist aber auch ein Lob der Profis. Manche können Manches einfach besser - das gilt auch für Mord, Totschlag und Menschenjagd.

Alle Bilder: Warner Bros Pictures

Mit einem Monolog fängt es an: "Gehören wir dahin? Das ist nicht die Frage. Wir sind da. … Wir können uns nicht mal damit trösten, dass unsere Feinde genauso müde sind - denn sie sind es nicht. … Keiner ist unschuldig … unser Feind hat begriffen, dass er gegen die Zukunft kämpft … Sie wollen nicht verhandeln, überhaupt nicht … Wir sind ein leichtes Ziel. Unsere Welt könnte viel leichter zusammenbrechen, als wir es wahrhaben wollen…" Dazu Bilder von Folter, von Soldaten, von Attentaten. Dazwischen der Mann der das alles sagt. Offensichtlich einer in Washington, ein Regierungsberater, der offensichtlich einen Vortrag von Politikern vorbereitet. Das Paranoia-Szenario, das seine Rede im Zusammenhang ergibt, trifft recht gut die Stimmung gewisser Kreise in den USA, und es grundiert den Film, es ist die Folie, auf der seine Hauptfiguren zu Helden werden.

Der häßliche Amerikaner

Der das sagt, ist ein hohes Tier bei der CIA, Ed Hoffman, und Russel Crowe spielt ihn, an seine "Insider"-Rolle erinnernd, als verdrucksten Machtmenschen. Bei diesem seinem ersten Auftritt sieht man ihn passenderweise kaum, hört ihn nur aus dem Off bitter pessimistisch dozieren über jenen dunklen Ort, den wir Welt nennen. Es ist dieser "hard talk" über die eigene Müdigkeit und die Kraft der Feinde, die nicht verhandeln, dieses Cheney-hafte Paranoia-Szenario von der Fragilität unserer Welt, die ein leichtes Ziel abgibt, wenn wir nicht zu bestimmten "Maßnahmen" bereit sind, nach dem Amerika seit 2001 regiert wurde, und darin wird dieser Film dann zum ersten wirklichen Hollywood-Abgesang auf Bushs-Präsidentschaft.

Hoffman verkörpert den hässlichen Amerikaner und auch später dirigiert er seine Mitarbeiter fast nur aus der Distanz, über Satellitentelefon und Satellitenkamera und in konsequenter Fehleinschätzung der Lage. Er sorgt für den Tod potentieller Kontaktleute, er lässt Entdeckungen zu früh auffliegen, er bringt Mitarbeiter in Gefahr. Wo er sich einmal persönlich oder von fern direkt einmischt, geht garantiert bald irgendetwas schief - ein Sinnbild der Ignoranz. Gespiegelt wird Hoffmans in Arroganz gewickelte Unkenntnis durch sein Familienleben, von dem dieser Dauertelefonierer kaum mehr mitbekommt als von Nahost. Die traurigen Blicke der achtjährigen Tochter, die ihren Vater durchschaut hat, sprechen Bände.

Schuldige Bürokraten

Hoffman verkörpert die wirklich Schuldigen in diesem Film, und darin ist er weitaus eindeutiger als die Buchvorlage, der preisgekrönte, auf Deutsch (bei Rowohlt) erschienene Roman "Body of Lies" (dt. "Der Mann, der niemals lebte"), in dem der "Washington Post"-Kolumnist David Ignatius von einem Nahost-Spezialisten des CIA erzählt. Ziemlich genau beschreibt Ignatius da den Alltag der Geheimdienste ohne Zynismus, denn die Tatsachen sind zynisch genug, aber kühl und sachlich in der Schilderung der routinierten Herzlosigkeit der Akteure, des Pragmatismus, mit dem "passende Leichen" gesucht und Terroranschläge fingiert werden. Der Film greift diese Grundhaltung auf, auch wenn das Drehbuch von Oscar-Preisträger William Monahan ("The Departed", "Kingdom of Heaven") den Roman stark verändert, und eine ganz eigene Geschichte erzählt.

Diese wirklich Schuldigen in diesem Film sind die Bürokraten, die fern der Länder, deren Schicksale sie entscheiden, an ihren Schreibtischen derart ahnungslos sind, dass sie sich für allwissend halten. Zugleich Zyniker, die alles verachten, das anders ist als sie selbst, und darum im Nahen Osten nie auf einen grünen Zweig kommen werden.

Ein paar Atombomben über Pakistan, dem Iran und Sudan

Dann geht ein Einsatz in Manchester schief. Arabische Terroristen locken eine Spezialeinheit in eine tödliche Falle. Warum sie das tun, überhaupt Motivationen spielen im ganzen Film nie eine Rolle. Es ist, wie es ist, sagt der Film, "friends like enemies, enemies like friends" heißt es einmal, und es geht darum auch nie um Schuldzuweisung, sondern nur um Lagebeschreibungen.

Grundlage dieser Lagebeschreibung sind Furcht und Angst. Dabei wird der eine entscheidende Widerspruch gern übersehen: Er besteht aus der Lücke, die zwischen dem Zynismus der Pessimisten und ihrem Handeln klafft. Denn wäre alles wirklich so schlimm, wie sie behaupten, stünde die westliche Welt tatsächlich am Abgrund, dann könnte man doch immer noch ein paar Atombomben über Pakistan, dem Iran und Sudan zünden, und das Problem des islamischen Terrorismus wäre fürs erste erledigt.

Aber so böse und zynisch sind die Bösen und Zyniker in diesem Film dann doch nicht. Auch die Amerika-Mythologie scheint intakt: "I want to go to America", sagt ein Iraker, der gerade noch für ein Selbstmordattentat auserkoren wurde und geht stattdessen in den Tod als Verräter. Kleine jordanische Kinder mögen statt dem Essen von Mami lieber Hamburger und gucken Basketball.

Knochensplitter, harte Worte und weiße Wale

"Was ist das?", fragt der junge Mann mit schwacher Stimme den Arzt, der gerade mit einer Pinzette in seiner schweren Armwunde herumstochert und aus ihr kleine, schwer definierbare Partikel herausholt. "Knochensplitter. Nicht von ihnen." Solche Oneliner skizzieren treffend die spezielle fatalistische Tough-Guy-Coolness dieses Films und seiner Helden, die sich vor einem Einsatz immer zurufen: "If something happens, you shoot me."

Ein paar Tage später schon wird der Verletzte Roger Ferris, die von Leonardo DiCaprio mit üblicher Leonardo-DiCaprio-Brillanz gespielte Hauptfigur des Films, wieder im Einsatz sein. Seine Verwundung hat er ebenso weggesteckt, wie zuvor die Scheidung von Frau und Kindern, nur die deutliche Narbe unter seinem Ohr ist eine untilgbare Erinnerung und lässt mögliche tiefere Erschütterungen ahnen. Im Irak, wo er bei der Jagd auf Terroristen verletzt wurde, gilt der CIA-Agent als "verbrannt", also kommt er ins jordanische Amman. Noch einige Zeit lang treten in den nächsten Wochen aus seiner Haut immer wieder kleine Knochenstücke aus, und weil sie das einzige sind, was von seinem irakischen Partner übrig geblieben ist, sammelt sie Ferris in einer Streichholzschachtel.

Ansonsten ist er nicht sehr sentimental. Er tötet seine V-Leute, wenn es nötig ist mit gezielten Kopfschüssen, bevor sie unter der Folter etwas preisgeben, und er hechtet schon einmal einem Verdächtigen in einer arabischen Altstadt hinterher und bringt ihn mit dem Messer um. Ridley Scotts Helden sind auch diesmal pragmatische Techniker der Gewalt, Männer, die viel Schlimmes gesehen und einiges Schlimme getan haben und die irgendwann die Lust daran verlieren, nur gute Handwerker zu sein - wie schon Scotts "Gladiator", wie die Marines-Spezialeinheit in "Black Hawk Down", der Kreuzritter in "Kingdom of Heaven", zuletzt der "American Gangster" und sein Jäger.

Um Jäger und Gejagte geht es auch diesmal, nur ist es hier noch etwas schwerer zu sagen, wer hier wer ist. Darein ähneln sie den Helden Melvilles, mythischen Charakteren der Moderne, und es ist nur logisch, dass Scott eine kleine Moby-Dick-Referenz eingebaut hat: "I am looking at the white whale", sagt er einmal, aber wieder ist Hoffman an seinem fernen Schreibtisch zu dumm, um die Falle zu schließen.

Der erste 11. September

Die irgendwie immer noch schillernde Agenten-Welt eines John Le Carré, das darf man heute wohl für selbstverständlich halten, ist untergegangen; sie lebt allenfalls noch in den James-Bond-Abenteuern weiter, obwohl auch diese Filme ganz offenkundig nicht mehr an sich und die Smoking-verpackte Brutalität stilbewußter Herrenmenschen glauben. Auch Ridley Scott ist Brite, aber sein Markenzeichen ist etwa seit zehn Jahren ein pathetischer Realismus, ein emotionales, mitunter bombastisches Aufladen der puren Wirklichkeit. Scott zeigt die Welt als blutigen, schmutzigen Ort, in dem nur tough guys sich durchsetzen und auch das nicht ohne Opfer. Und der Regisseur selbst hält das wahrscheinlich sogar für realistisch. Aber in dieser Härte und Schwere und fast schon Ernst-Jünger-artigen Ungerührtheit des Hinguckens steckt auch eine Faszination für den Schrecken, eine immer spürbare Lust am genauen Blick, an der Fähigkeit dem Gesehenen standzuhalten, und es ungeschönt wiederzugeben und damit eben ein ganz eigener Schönheitssinn.

Action kann Scott großartig. Manchmal erinnert sein Film an einen modernen Western. Ein Lied vom Tod. Zu Scotts manchmal schwerblütigem, technisch immer up to date, hervorragend und elegant inszenierten Pathos - gehört dann auch, dass er seinem Film ein Zitat von W.H. Auden voranstellt, das man im Buch vergeblich sucht: "Those to whom evil is done/ do evil in return" heißt es, und das Gedicht, aus dem es stammt, trägt den Titel: "September 1,1939". Nach dem "11. September" hat man die Zeilen oft zitiert. Passenderweise kann man sie in beide Richtungen lesen, und so geht es dann in diesem Film vor allem darum, wie sich die Grenzen zwischen Schuld und Unschuld verwischen.

"I thought, you do not believe in torture" - "This is punishment. A very different thing"

Scotts Helden hingegen sind Handwerker wie Ferris, das gutaussehende Chamäleon, das arabisch spricht, und noch den Feind besser versteht, als der sich selbst, über den die Jordanier sagen: "You speak arabic. You respect the elders. You are almost one of us." Am Ende wird er der CIA adieu sagen und in Jordanien bleiben. Zuvor nutzt Ferris die Eitelkeit der Terroristen kalt aus. "Ihr seid Sklaven der Saudis" - auch das darf in diesem Film mal ausgesprochen werden.

Noch mehr aber als Ferris ist der eigentliche Held Hani, jordanischer Geheimdienstchef und König der "Fingernail factury", wie das dortige Foltergefängnis in hard-boiled-Poesie genannt wird. "I have one rule, if we have an agreement - never lie to me." Ferris wird mit ihm zusammenarbeiten: "May I say we?" - "Of course, as long as we keep it between us." Mark Strong spielt diesen guten, doppelgesichtigen Fürsten der Finsternis mit sardonischem Charme und, man muss es so nennen: Glamour. Denn nicht nur, dass er besser gekleidet ist als alle Amerikaner zusammen, dass er anständig isst und trinkt, und sich immer in Gesellschaft wechselnder schöner Frauen aufhält, nimmt für ihn ein. Er macht auch seine Arbeit einfach besser. Das ist von Anfang an klar. Es ist Ferris' Tragik, dass er selbst es genau weiß. Nach Ankunft in Amman sagt er es gleich einem Trottel in der Botschaft ins Gesicht: "They did a much better job, than you did." Und weiter: "You don't have enough good arab guys, to follow the bad arab guys."

Hani weiß auch das Folter nicht funktioniert: "Torture doesn't work. They would say almost anything, to save themselves." Aber er beherrscht die Kunst der feinen Unterschiede: "I thought, you do not believe in torture", fragt Ferris, als er sieht, wie ein Mitarbeiter, der eigenständig handelte, ausgepeitscht wird. Die Antwort: "This is punishment my dear. A very different thing."

Es gibt keine Sicherheit. Aber Freiheit

Wenn "Body of Lies" jenseits seiner vielen schönen Momente und seinem Mut, den eher konventionellen Plot links liegen zu lassen, überhaupt so etwas wie eine These hat, dann ist es die, dass die Araber im Mittleren Osten längst ihr eigenes Ding machen. Und dass sie es professioneller tun, als die Amis. So wie die Dinge stehen, ist das einstweilen eine gute Nachricht.

So wird der Film ein Hohelied auf die Araber: "This is a part of the world, where friendship matters." Darum hat es auch etwas tröstliches, wenn Ferris am Ende auf die Feststellung des fasssungslosen Paranoikers Hoffman "You are not safe here," antwortet: "I am not safe anywhere."