Spielen in der Mittagspause

Handheld-Konsolen, Handys, Online-Marktplätze, Browsergames und Minispiele bringen ein Revival längst totgesagter Genres

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Wer sein Spielehobby ernst nimmt, muss kräftig Zeit und Geld investieren: Die Next-Gen-Konsolen sind Technikmonster mit beachtlichen Preisen, und die HD-Grafiken verlangen nach Aufrüstungen der Fernseher im Wohnzimmer. Wer abseits der Konsolen am PC spielen will, muss wohl oder übel regelmäßig in die Aufrüstung seiner Hardware investieren, da sich die Spirale der Highend-Grafikkarten und Mindestanforderungen sich beständig weite dreht.

Ist man gewillt, Geld in die Spielehardware zu investieren, stellt sich ein viel erheblicheres Dilemma ein: Abgesehen von den zum Teil hoch anspruchsvollen Steuerungsmethoden, die dem PC-User beachtliche Mauskoordinationsfähigkeiten und zusätzlich bei fast jedem Titel die Bedienung jeweils neuer Interfaces abverlangen, schreckt viele eigentlich Spielwillige vor allem der Zeitaufwand ab, den die Hochpreistitel dem Spieler auferlegen. Denn während die Zielgruppe der Hardcorespieler bei einer angekündigten Spieldauer von unter zwanzig Stunden verärgert die Nase rümpft, schüttelt der durchschnittliche Gelegenheitsspieler bei Spielzeitmonstern wie Gothic 3, Oblivion oder gar Open-End-Spielwelten wie WoW nur verwundert den Kopf: So viel Zeit, so das Vorurteil, investieren nur Studenten, Jugendliche oder Langzeitarbeitslose ohne persönliches Sozialleben in ein Spiel.

"Bejeweled": Arbeitszeitvernichtung im globalen Ausmaß

Während die Konsolenhersteller der riesigen Zielgruppe der "Softcore-Gamer", also der Gelegenheitsspieler, die ab und zu mal ein Spielchen zur Entspannung zocken oder im Freundeskreis kurz gegeneinander antreten wollen, seit längerem mit niederschwelligen Partyspielen wie Singstar oder Buzz Rechnung tragen und auch Nintendos Wii mit seinem eigentlich radikal vereinfachten Eingabemöglichkeiten notorische Spieleignoranten begeistern will (und kann), blüht ein anderer Spielemarkt weitgehend im Verborgenen. Was gerne vergessen wird: Die weltweit am meisten verbreitete Spieleplattform ist nach wie vor der PC vom vorvorletzten Jahr im Büro oder zu Hause.

Fast jeder, der einen PC besitzt, hat darauf gespielt. Die Arbeitsstunden, die weltweit nur mit Solitär oder Minesweeper vernichtet werden, stellen vermutlich selbst die Statistiken der größten Konsolen in den Schatten. Und mit dem Einzug des Internet in Büros und Wohnhäuser vervielfachten sich auch die Möglichkeiten, gratis und in aller Schnelle dem Spieltrieb zu frönen. Immer mehr "Senioren und Mütter" (Jason Kapalka, Mitbegründer und CCO von PopCap im Interview mit der britischen EDGE) entdecken den PC als Spielgefährten - meist abseits der Highend-Parallelrealität von Crysis oder WoW. Denn von Raubkopien, der Achillesferse der PC-Spieleindustrie gegenüber der Konsolenwelt, ist hier nicht die Rede: Das Cracken großer, neuer PC-Spieletitel überfordert inzwischen das EDV-Know-how von Otto Normalverbraucher bei weitem, ganz abgesehen davon, dass die Downloadvolumina inzwischen mühelos die 6-GB-Grenze übersteigen. Abseits der großen Vermarktungsketten hat sich eine Flut von kleinen Spieltiteln gebildet, die einiges gemeinsam haben: geringen Zeitbedarf, geringe Größe und minimalistische Spielkonzepte - eine spielerische Rückkehr in die 8bit-Spielwelt der Arcade.

Popcap Games, einer der Platzhirsche in diesem Segment, bringt mit Titeln wie Bejeweled, Zuma oder Big Money seit Jahren klassische Mittagspausenspiele an den Kunden: "kleine" Spiele, perfekt für zwischendurch, auf jedem PC spielbar und mit hohem Suchtfaktor. Hier wird nicht gespeichert, hier gibt es keine Story, kein Charaktermanagement, keine Tutorials: Die Spiele, oft direkt im Browser per Java- oder Shockwave spielbar, meist aber als Downloads mit weniger als 10 MB, sind oft Remakes klassischer Arcade-Games und zum Großteil gratis, können oft bequem per Emailangabe an Freunde "empfohlen" werden oder sind bisweilen sogar per Embedding in andere Seiten übernehmbar.

"flOw" (Screenshot PS3-Version): Minimal-Gameplay in maximaler Ästhetik

Die großen Hits werden, genug Mundpropaganda oder Fanbegeisterung vorausgesetzt, inzwischen auch als erweiterte, downloadbare Versionen zum Kauf angeboten - bei Preisen von maximal 20 USD für einen Download. Klar, dass die Vermarktung inzwischen schon auf Handys, Handhelds und sogar die Next-Gen ausgeweitet wurde: Bejeweled, Geometry Wars oder Mutant Storm - minimalistische Zwischendurchspiele, wie sie zum Teil schon auf 8-bit-Rechnern und Spielautomaten-Fossilien vor zwanzig Jahren existierten - sind in der Xbox-Live-Arcade heiß begehrt. Die meisten dieser Titel waren vor ihrem Einstieg in Microsofts Konsolenwelt als Gratisversionen für PC im Netz verfügbar. Auch über die Online-Spieleplattform Steam können inzwischen einige Arcade-Perlen bezogen werden.

Ein Nebeneffekt dieses Revivals der Arcade ist die Rückkehr der "Ein-Mann-Spielefirma": Einige große Namen der 8bit-Ära kehren so in die Spielewelt zurück, aus der sie von 100-Mann-Spieleentwicklungsfirmen und Millionenbudgets vertrieben wurden, und wieder andere kreative Neulinge nehmen so ihre Chancen wahr, mit geringem Budget ihre Spielideen relativ einfach an ein Millionenpublikum zu bringen. Die Spieleindustrie hat in Zeiten wie diesen, wo wegen der riesigen Produktionssummen lieber auf Nummer sicher die zehnte Fortsetzung einer bewährten Idee programmiert wird, neue Ideen dringend nötig.

Dass die neue, alte Form des relativ schnell realisier- und konsumierbaren Arcadespiels tatsächlich noch riesige kreative Potenziale birgt, beweist etwa das in Kürze für die PS3 erscheinende Spielexperiment flOw: Der Gamedesign-Student Jenova Chen stellte 2006 seine "Abschlussarbeit" flOw als Gratisspiel ins Netz. Das abstrakte, mit Ambientsounds hinterlegte Spiel stellt viele Spieldesignregeln auf den Kopf und konzentriert sich auf pures Gameplay in minimalistischer, aber faszinierender Ästhetik.

"Torus Trooper": Speed, more speed! Japanischer Retrofuturismus vom Feinsten

Wie überhaupt viele Designer in ihren kleinen Spielexperimenten interessante Ästhetiken und abstraktes, aber zugleich handfestes Gameplay bevorzugen: Indie-Gamesdesigner Kenta Cho gilt Kennern zufolge als eine der großen, unbekannten Legenden des liebevoll "shmup" genannten Subgenres der Arcade-Shoot-em-ups. In seinen gratis downloadbaren Spielen hat Cho eine eigene, an den Dreamcast- und PS2-Klassiker Rez angelehnte Formsprache aus Neon und abstrakten Wireframegrafiken verwirklicht, die futuristischer und frischer wirkt als die meisten der fotorealistischen Highendgrafiken dies je sein werden. In Verbindung mit solidestem Retro-Gameplay und treibenden Technobeats stellen die Spiele des "Freizeitspieleprogrammierers" Cho eine Kleinform perfekten Spieldesigns dar. Torus Trooper, Titanion oder rRootage erinnern auch Hardcorespieler daran, wie viel Spaß die kleine Form macht - Millionen von Mittagspausenspielern können nicht irren.

In Zukunft, so kann man spekulieren, wird sich die Kluft zwischen Hardcore- und Gelegenheitsspielern noch vergrößern - im selben Maß, in dem mehr und mehr Menschen beginnen, mit ihren Arbeitsgeräten auch zu spielen. Dass dabei dem großen Mainstream frische Ideen zugeführt werden, könnte die Spielindustrie aus ihrer kreativen Lethargie befreien.