Sportfreunde Terror
Nette Jungs von Nebenan, die zum Dschihad-Mörder werden
Der Fall des gestern von der britischen Polizei festgenommenen mutmaßlichen Attentäters, Yasin Hassan Omar, liegt etwas anders. Omar war bei den Nachbarn als Extremist und "ein bisschen verrückt" bekannt, ist heute in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Für einen potenziellen Selbstmordattentäter hätte ihn jedoch niemand gehalten.
Das wiederum deckt sich mit den Aussagen vieler Nachbarn über die acht jungen Männer, auf deren Konto der mörderische Anschlag vom 7.Juli, bzw. der fehlgeschlagene Anschlag vom 21. Juli gehen soll: nette, sympathische, etwas verschlossene Jungs von nebenan, denen man ein solches Verbrechen nie zugetraut hätte.
Indes die geschockten Nachbarn über ihre Menschenkenntnis und das geheime Leben ihrer Straßenmitbewohner rätseln, haben auch Experten ihre Mühe sich einen Reim auf die Gruppe zu machen, die scheinbar aus dem Nichts entstanden ist und die Fahnder mit ihrem "ethnischen Mix" überrascht. Die Herkunftsländer der eingewanderten Terroristen reichen von Somalia, Eritrea, Jamaika bis nach Pakistan.
Üblicherweise, so das bislang gängige Muster der Fahnder, würden, wie die Anschläge in New York, Madrid und Istanbul unterlegen, die Hintermänner einer solchen Attentäterzelle bevorzugt aus den gleichen "Communities" rekrutieren. Dadurch wäre gewährleistet das die Zellen möglichst viel gemeinsam haben: Sprache, Ziele und eine Verbundenheit über ihre Herkunft.
"Dumme Kerle von schlauen Hintermännern geführt"?
Doch was die britischen Zellen von den anderen unterscheiden würde, seien auffallende Unterschiede der Mitglieder untereinander im familiären Hintergrund, in der Erziehung und in der Vorgeschichte der einzelnen Zellenmitglieder. Nur einen Treffpunkt hätten alle acht mutmaßlichen Terroristen gemeinsam, ihre Lebenswege haben sich nach bisherigen Ermittlungen wahrscheinlich in der berüchtigten Nord-Londoner Moschee am Finsbury Park (vgl. Das Erwachen der Dschihadis auf dem Planeten Venus) gekreuzt.
Schien zumindest in den ersten Stunden nach den Anschlägen vom 7.Juli noch vieles dafür zu sprechen, dass die Bombenleger Selbstmordattentäter waren, was dann auch in den Medien verbreitet wurde, so zeigen sich auch in dieser Annahme Widersprüche, die manche Ermittler von dieser These abrücken lassen.
Da sind zum einen die Rückfahrttickets der vier Bomber, der gemietete Wagen vom Attentäter Germaine Lindsay, der ein Parkticket für eine Woche hatte, die große Menge an Sprengstoff im Mietwagen, die eventuell für weitere Anschläge vorgesehen war, die hohe Reparaturzahlung, die ein anderer Attentäter für seinen Wagen geleistet hat und zum anderen, dass die Bomber ihre Ausweise und Führerscheine bei sich trugen, was für für Selbstmordattentäter untypisch sei. Ebenso wie das Fehlen jeglicher Erklärungen in Briefen, auf Videos oder im Internet. Zwar könnte dies alles auch als geschicktes Verwischen von Spuren interpretiert werden, dennoch mehren sich die Zweifel an der These, dass es sich bei den Attentätern vom 7.Juli um "entschlossene Fanatiker" gehandelt habe, die "im Namen eines radikalen Islam ihr Leben geopfert haben":
Was letzte Woche noch einem schlüssigen Denken entsprach, scheint heute nicht mehr so zu gelten. Es gab eine feste Überzeugung nach "Attack One", wonach diese Jungs einer Gehirnwäsche unterzogen worden waren, um Selbstmordattentäter zu werden. Dann ereignet sich der misslungene "Attack Two" und die Frage erhebt sich jetzt, ob diese der Sache verpflichteten Kerle bereit waren zu sterben oder dumme Kerle, die von einer schlauen Gruppe von Hintermännern geführt wurden.
Informant der New York Times
Und von den Hintermännern hereingelegt...Diese Hypothese würde stärker noch als die Hypothese von Selbstmordattentätern, die übrigens der Fahndungsleiter, Ian Blair, öffentlich nie ausgesprochen hat, die Notwendigkeit von Hintermännern implizieren. Doch braucht es Hintermänner und nachgewiesene Verbindungen zum ominösen Al-Qaida-Netz, um zu erklären, warum sich freundliche junge Männer dazu entscheiden, ein Blutbad größeren Ausmaßes anzurichten?
Doch gemeinsame Muster?
Für die kriminalistische Aufklärung ist das ganz sicher ein wichtiger Punkt. Dass ein derart ausgeklügelter Anschlag wie "Attack One" ohne logistische und planerische Hilfe von erfahrenen Terroristen ausgeführt werden kann, ist für viele Experten undenkbar. Für die Antwort auf die Frage, welche Muster die Attentäter trotz aller Unterschiede gemeinsam haben, welche Motive sie dazu gebracht haben, Menschen, egal ob Christen, Juden, Moslems, Männer, Frauen, Kinder wahllos umzubringen, ist der Verweis auf Hintermänner nur ein Teil der Antwort.
Seit mehreren Jahren schon befassen sich zwei französische Forscher mit dem Phänomen des neuen Dschihads, Gilles Kepel und Olivier Roy. Zwar weisen ihre Thesen in vielen Punkten Unterschiede auf, ihre Erklärungen zu den modernen Dschihadis sind sich aber in manchen Punkten ähnlich.
Für beide ist die Herkunft der Dschihadis nicht von großer Bedeutung, die Distanzierung von der lokalen muslimischen Gemeinde ihrer Herkunft sogar ein Charakteristikum. Erst in der Diaspora würden sie zu ihrer wahren Berufung finden und sich als "wiedergeborene Muslims" eine neue Identität geben, so eine der Grundthesen Roys (auch über die britischen Attentäter war zu lesen, dass sie plötzlich andere Kleidung trugen, sich einen Bart wachsen ließen und geläutert taten).
Internet statt Aufklärungsmedium, Rekrutierungsmedium?
Ihr Wissen über den Islam sei nicht mehr so sehr von örtlichen Imamen und religiösen Lehrern geprägt, behauptet Kepel, wie von Internetseiten, welche die traditionellen Wege umgingen, und radikale, moderne und agressive islamistische Dokrinen verbreiteten, die sich nicht mehr an den sozialen, wirklichen Verhältnisse vor Ort reiben, sondern an Ressentiments anknüpfen, die mit der Globalisierung verbunden werden. Über das Internet würde die Internationale der Dschihadisten eine "virtuelle Umma" (Roy) erzeugen, die - anders als bei der echten lokalen, traditionellen Gemeinschaft der Muslime - die Einzelnen von der Gesellschaft ablöst. Der große gemeinsame Nenner sei das Gefühl der Entfremdung von der westlichen Gesellschaft, deren Werte und Lebensmodelle ja längst auch die östlichen Länder erreicht haben. Der Appell des Dschihads erreicht bei den Diaspora-Muslimen eine besondere Empfindlichkeit.
Kümmere dich nicht um die Gesellschaft, egal welche; mach dir keine Gedanken um Kultur, kümmere dich nicht um Politik; sei einfach ein guter Muslim und versuche eine neue muslimische Gesellschaft zu schaffen.
Dieser Appell von "Neo-Fundamentalisten" eröffnet den Weg in ein neues Zuhause und eine neue Identität, politisch wird dies sobald die Thesen der radikalen "Neo-Fundamentalisten" dazu mischen, wie etwa von Bin Laden. Auch hier gehe es aber nicht um eine reale Verbesserung der Verhältnisse eines echten Landes, sei es Palästina oder Irak, sondern um eine fantasierte Utopie, politisch genährt von einem Anti-Imperialismus, der die USA als Gegenüber braucht.
Moralisch sind das Gegenüber für die Dschihadisten alle Ungläubigen, die Kuffars, darin eingeschlossen muslimische Glaubensbrüder, die sich durch ihr Arrangement mit den verhassten westlichen wie östlichen Regierungen korrumpiert haben. Ihr Leben ist dem Dschihadi nicht wertvoller als das eines Ungläubigen, der eine andere Konfession hat.
Das ist die Schwäche und die Kraft des terroristischen Dschihads. Unfähig das soziale Feld zu beackern, gibt er sich damit zufrieden, die Gemeinschaft der Gläubigen auf eine phantasmatische Art zu gestalten, in der die Wiederholung des Abschlachtens von Gottlosen mehr ein Ziel als ein Mittel geworden ist - so wie jede Perversion dazu verdammt ist, sich unendlich zu wiederholen, weil sie unfruchtbar ist.
Gilles Kepel
Local hero
Die englischen Attentäter also trotz ihrer Unterschiede gemeinsam Mitglieder des "Planeten Osama Bin Ladens" und treue Befolger dessen nihilistischer Verfassung? Bis jetzt ist noch nichts, zumindest nach Kenntnis des Autors, über die Internetgewohnheiten der mutmaßlichen Täter bekannt geworden. Aber einige Profile, die den Aussagen Kepels wie Roys zu entnehmen sind, treffen auf die Londoner Zellen, die nicht nur den selben Sprengstoff für ihre Anschläge verwendet haben, zu: Sollten die Terroristen, wie oben beschrieben, diesselbe Moschee besucht haben, dann haben sie dort ihren "Local Hero" gefunden, der meist als Konstitutionselement einer Dschihadi-Gruppierung nötig ist. Allen gemeinsam sind Indizien, die für einen Bruch mit der Gesellschaft sprechen, wenn er auch meist verhohlen geäußert wurde oder wie sich im Falle eines mutmaßlichen Attentäters in kriminellen Akten und Schlägereien gezeigt hat.
Dass sich Abenteuerlust zu den anderen Motiven gesellt, um sich der Dschihadbewegung anzuschließen, ist bislang wenig beachtet worden. Für Experten wie Alain Chouet vom französischen Geheimdienst liegt der Grund für die Hilflosigkeit der Ermittlungsbehörden gegenüber den Zellen darin, dass deren Mitglieder gewöhnlich kaum als gewalttätige Gewohnheitstäter in Erscheinung treten, die man über längerfristige Beobachtung oder Infiltration ausfindig machen könnte. Die Gruppen könnten sich über gemeinsamen Sport formieren - einige der britischen Dschihadis pflegten sich zum Fussballspiel zu treffen - und würden aus der Sicht von Außenstehenden aus dem Nichts heraus zuschlagen.
Auch Roy kommt zuletzt nicht ohne Hintermänner aus:
Die Gruppe formiert sich und radikalisiert sich oft unter dem Einfluss eines "Gurus" und schließlich tritt ein Mann in Verbindungsmann in Erscheinung, der eine direkte Verbindung mit Bin Laden oder einem anderen historischen Boss hatte.
Schützen können sich die westlichen Staaten, so Kepel in seiner jüngsten Analyse , gegen die Dschihadis nur mit einer längerfristigen Strategie. Dazu gehöre unter anderem, dass man die direkte Auseinandersetzung mit den terroristischen Gruppierungen suche - dazu verwendet er gar das Wort vom "globalen Krieg" - "im Namen der Werte der europäischen Demokratien". Man könne sich nicht mehr hinter "obsolet gewordenen Vermittlern" verstecken. Die Verteidigung der europäischen Sicherheit und die Emanzipation der Moslems von der Hypothek, die ihnen der Dschihad-Terrorismus auferlegt, sei ein und derselbe Kampf. Die Eingewanderten aus muslimischen Ländern müssten sich klar für ein Lager entscheiden, an der Seite ihrer europäischen Landsleute, um den Dschihadis deutlich zu zeigen, wie falsch deren Weg ist.