Sri Lanka: Regierung verkündet Sieg über Rebellen

Bei dem Krieg wurde von beiden Seiten ein Blutbad angerichtet, die Aufklärung darüber und das Schicksal der Hunderttausenden von Flüchtlingen wird für die "Wiedervereinigung" des Landes entscheidend sein

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Die Regierung von Sri Lanka verkündete gestern den Sieg über die tamilischen Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE). Das Militär hatte zuvor die letzte noch von den Separatisten gehaltene Enklave im Nordosten des Landes eingenommen. Aus Sicht von Präsident Mahinda Rajapakse ist dies ein historischer Augenblick in der Geschichte des Landes. Erstmals seit 1983 kontrolliert die Regierung nun wieder jeden Zentimeter des Landes. Armeechef Fonseka sagte, die Armee habe die Nation von drei Jahrzehnten Terror befreit. Die verheerende Situation der Zivilbevölkerung im Nordosten und die gewaltigen Opferzahlen verleihen dem Sieg jedoch einen bitteren Beigeschmack.

Laut Militärangaben wurde in den letzten beiden Tagen die gesamte Führungsspitze der Tamil Tigers getötet. Die Liste reicht von Geheimdienstchef Pottu Amman, Sea Tiger-Führer Thillaiyampalam Sivanesan alias Soosai, Charles Anthony, dem 24-jährigen Sohn des Guerillaführers Prabhakaran, bis zu Seevaratnam Pulidevan, Chef des LTTE-Peace Sekretariats und dem Chef des politischen Flügels Nadesan. Sie alle sollen neben anderen Top-Kadern bei der "letzten Schlacht" in Vellamullivaikkal getötet worden sein.

Unklarheit herrschte über das Schicksal von LTTE-Chef Vellupillai Prabhakaran, der die Rebellen seit 33 Jahren anführte. Zunächst meldete der staatliche Rundfunk gestern, Prabhakaran sei getötet worden. Er habe mit zwei Vertrauten versucht, in einem Krankenwagen zu flüchten, sei dann aber bei Karayamullavaikkal in einen Hinterhalt geraten. Militärsprecher Udaya Nanayakkara dementierte dies jedoch gegenüber der Tageszeitung Libération. Er sagte, der 54-jährige LTTE-Chef werde in einer Gruppe von 250 LTTE-Kämpferinnen und Kämpfern vermutet, die erschossen wurden. Die Körper würden untersucht und DNA-Analysen gemacht. Wenig später bestritt Selvarasa Pathmanathan, LTTE-Beauftragter für internationale Beziehungen, den Tod des Guerillaführers: Prabhakaran lebe und es gehe ihm gut. Heute morgen zog das Verteidigungsministerium nach, bestätigte den Tod Prabhakarans und veröffentlichte zwei Fotos des getöteten Rebellenführers.

Der Propagandakrieg um den Tod des Guerillaführers wird sicherlich noch weitergehen. Die Figur Prabhakarans ist sehr bedeutsam für die Zukunft der LTTE, da die Gruppe extrem auf ihren Führer ausgerichtet ist. "Mit der Auslöschung der Führungspitze kann die Organisation nicht wieder auferstehen", hofft Lakshman Hulugalle, Direktor des zum Verteidigungsministerium gehörenden Media Centre for National Security (MCNS).

Es soll fürchterliche Massaker an der Zivilbevölkerung gegeben haben

Ein viel drängenderes Problem als die Frage nach dem Verbleib Prabhakarans stellt jedoch das Schicksal der Zivilisten im Nordosten Sri Lankas dar. Da unabhängige Beobachter vollständig aus dem Kriegsgebiet verbannt wurden, konnten die Verantwortlichen auf beiden Seiten ohne Rücksicht auf die Bevölkerung vorgehen. So wurden nach konservativen Schätzungen der Vereinten Nationen seit dem 20. Januar mindestens 8.000 Zivilisten getötet und 16.700 verletzt.

Während die srilankische Regierung die Internationale Gemeinschaft weitgehend davon überzeugen konnte, dass es sich um einen internen Konflikt handle - einen Krieg gegen den Terrorismus -, entpuppte sich dieser Krieg in den letzten Monaten immer mehr als Krieg gegen die Tamilen, das heißt gegen die tamilische Zivilbevölkerung. So gab es in den letzten Wochen wiederholt Berichte über regelrechte Massaker an der Bevölkerung. In der extrem dicht besiedelten Schutzzone - die ursprünglich vom Militär als Refugium für Zivilisten eingerichtet wurde - sollen bei schweren Artillerie- und Luftangriffen Tausende von Hilfesuchenden getötet worden sein. Das Militär hatte hingegen immer wieder behauptet, bei der Eroberung der letzten Quadratkilometer keine schweren Waffen einzusetzen.

Das Internationale Komitee des Roten Kreuz beschrieb die Lage in dem von der Armee eingekesselten Küstenstreifen nördlich von Mullaithivu am 15. Mai in drastischen Worten: Die Zivilisten würden sich mit bloßen Händen in den Sand graben, um sich vor Kriegsverletzungen zu schützen. Andere würden nicht einmal auf der Suche nach dem knapp gewordenen Wasser die schützenden Bunker verlassen.

Den Zivilisten war es oft unmöglich, die Flucht zu ergreifen, da die LTTE laut Augenzeugenberichten wiederholt auf Flüchtende schoss. Dies wurde vor kurzem in einem schockierenden Bericht der unabhängigen srilankischen Menschenrechtsorganisation Jaffna Teachers for Human Rights (UTHR) bestätigt. Dem Militär gelang es mehrmals, Fluchtpassagen in die Verteidigungswälle der LTTE zu schlagen. So konnten Zehntausende entkommen, auch wenn sie danach in Flüchtlingslagern untergebracht wurden, die eher als Internierungslager zu bezeichnen sind.

Was geschah mit der Zivilbevölkerung in den letzten Tagen vor dem Ende?

Als äußerst beunruhigend bezeichnete Andrew Stroehlein von der International Crisis Group die Behauptung von Militärsprecher Udaya Nanayakkara, allen noch in der Kriegszone eingeschlossenen Zivilisten sei bis zum Sonntag die Flucht gelungen. Denn die Vereinten Nationen hatten noch vor wenigen Tagen erklärt, dass sich zwischen 50.000 und 80.000 Zivilisten in der Sicherheitszone befinden würden.

Derzeit ist unklar, was aus ihnen geworden ist. Die Rebellen meldeten, die Zone sei mit den Körpern von Tausenden verwundeter Zivilisten bedeckt. Seatiger-Chef Soosai sprach in seinem letzten Statement vor seinem Tod von "Bergen von Leichen". Die Befürchtung der Vereinten Nationen, am letzten Wochenende habe ein "Blutbad" stattgefunden, könnte sich laut Stroehlein als Untertreibung herausstellen. Da in jedem Fall davon ausgegangen werden muss, dass sich Tausende von Verletzten in dem nun militärisch besetzten Gebiet befinden, müssen Hilfsorganisationen nun vollen Zugang zu der Region bekommen, um die Überlebenden zu versorgen.

Militär verhaftet Ärzte - die einzigen unabhängigen Zeugen

Es war ein Krieg ohne unabhängige Zeugen, der sich im Nordosten Sri Lankas abspielte - eine umso größere Bedeutung bekamen die Aussagen der im Kriegsgebiet arbeitenden Ärzte. Einige dieser Ärzte schweben derzeit vermutlich in Lebensgefahr: Dr. Shanmugarajah, der die Verwundeten in dem provisorischen Hospital in der Mullivaaykkaal Junior Schule behandelte, soll mit den beiden Regionaldirektoren des Gesundheitsservices (RDHS), Dr. Varatharajah und Dr. Sathiyamoorthy sowie weiteren Ärzten an dem früheren Armeecheckpoint Omanthai festgenommen worden sein. Der schwer verwundete Dr. Varatharajah wurde angeblich zur medizinischen Versorgung ausgeflogen. Sein Verbleib ist derzeit unklar. Bisher dürfen die Ärzte keine Besuche empfangen, nicht einmal vom Internationalen Roten Kreuz.

Die Regierung verdächtigt sie, Informationen aus der Kampfzone an internationale Medien weitergegeben zu haben - darunter viele Anhaltspunkte für mögliche Kriegsverbrechen beider Seiten. Die Mediziner sind der Armee ein Dorn im Auge, da sie die einzigen glaubhaften Zeugen für den wiederholten und systematischen Beschuss verschiedenster Hospitäler sind. Es wurde bekannt, dass die Regierung alle Gehaltszahlungen an die Ärzte in der Konfliktzone gestoppt und sie mit dem Tod bedroht haben soll, falls sie über die Opferzahlen sprechen. Einige Beobachter erklären die zahlreichen Angriffe der Armee auf medizinische Einrichtungen deshalb damit, dass die unbequemen Zeugen zum Schweigen gebracht werden sollten. Bisher ist unklar, wie viele Soldaten, Rebellen und Zivilisten in dem Krieg umgekommen sind. Sicher ist nur, dass ihre Zahl in die Zehntausende geht.

Großbritannien will nun eine Untersuchung wegen möglicher Kriegsverbrechen einleiten. Die Europäische Union drängt auf eine Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrates zu Sri Lanka - ähnlich wie zur Situation in Burma, Darfur und den palästinensischen Gebieten. Für solche Untersuchungen könnten die Aussagen der Ärzte von großer Bedeutung sein.

Warum eine Siegesfeier unangebracht ist

Der Sieg der Armee wird auf den Straßen der Hauptstadt Colombo wie eine Wiedervereinigung des Landes gefeiert. Doch von nichts anderem könnte Sri Lanka weiter entfernt sein. Auch wenn die Armee die Rebellen militärisch geschlagen und die Kontrolle über das gesamte Territorium wiedererlangt hat, ist das Land weiter tief gespalten. Für Präsident Rajapkase beginnt nun der schwierigere Teil seiner Laufbahn: Wie die Regierung die 265.000 geflüchteten Zivilisten behandeln wird, die in den 42 Flüchtlingscamps untergebracht wurden, ist eine der Schlüsselfragen für die Zukunft des Landes.

Außerdem muss Rajapakse den Tamilen in irgendeiner Form politische Angebote machen. Davon ist bisher überhaupt nichts zu sehen. In einer Rede an die Nation sagte er heute morgen, es gebe gar keine Minderheiten in Sri Lanka, sondern nur eine Gruppe, die das Land liebe und eine andere, die es nicht liebe. Für den Konflikt müsse eine Lösung gefunden werden, "die auf der Philosophie des Buddhismus basiert". Allein mit diesen Sätzen unterstreicht der Präsident ganz klar seinen Weg des singhalesischen Nationalismus, der zu allem Übel auch noch religiös verbrämt wird.

In diesem Zusammenhang ist die für Freitag geplante Siegesfeier in Colombo, zu der mehr als 100.000 Menschen erwartet werden, völlig unangemessen. Wäre der Regierung wirklich an einem geeinten Sri Lanka gelegen, müsste sie auf eine pompöse Siegesfeier verzichten. Denn der militärische Erfolg wird von vielen Menschen nicht als "Sieg" angesehen. Die vielen Witwen im singhalesischen Süden werden sich nur mit Mühe dazu überreden lassen, an Heldenfeiern für ihre gefallenen Männer teilzunehmen. Und viele Tamilen - selbst wenn sie die LTTE ablehnen - empfinden die blutige Eroberung des Nordostens als Demütigung der Tamilen, nicht als Sieg über den Terrorismus. In dieser Frage sind Singhalesen und Tamilen zutiefst gespalten. Solange beide Gruppen aber keine gemeinsame Erzählung aufbauen können, ist der Frieden noch in weiter Ferne.