Sri Lanka drängt Rebellen in die Enge
Die Tamil Tigers haben fast ihr ganzes Territorium verloren. Dennoch ist kein Ende des Bürgerkrieges in Sicht
Traumhafte Strände, Palmenhaine, badende Elefanten, Ceylon-Tee, Kandy-Dancer und Ayurveda-Ölgüsse - das westliche Sri Lanka-Bild ist vor allem von Exotismus geprägt. Die Realität vieler Menschen auf der tränenförmigen Insel südlich von Indien ist hingegen stark von dem politischen Konflikt zwischen der singhalesischen Regierung und den tamilischen Rebellen im Nordosten der Insel durchzogen.
Im Januar kündigte die Regierung von Präsident Mahinda Rajapakse den von Norwegen 2002 vermittelten Waffenstillstandsvertrag mit den tamilischen Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE). Nachdem es dem Militär 2007 gelungen war, die Rebellen mit Hilfe des abtrünnigen Guerilla-Führers Karuna aus dem Osten des Landes zu vertreiben, startete die Armee 2008 eine Großoffensive auf die letzte Bastion der Tamil Tigers im Norden der Insel (Sri Lanka will Rebellen 2008 besiegen).
Bis zum Sommer eroberten die srilankischen Soldaten die gesamte Region um Mannar. Währenddessen überzogen die Rebellen den Süden mit Selbstmordattentaten in Bussen, Zügen und Geschäften. Diese Aktionen zielten meist direkt auf Zivilisten, die auf der Reise waren, einkauften oder von der Arbeit kamen. Im Gegensatz zu den spektakulären Aktionen ihrer Mini-Luftwaffe (Kampf um Drohnen und Bilder), die vor allem propagandistisch wirksam sind, bekannten sich die Tamil Tigers nie zu diesem "schmutzigen Krieg", der auch Tamilen das Leben kostete.
Seit dem Sommer 2006 haben die Rebellen 80 Prozent ihres Territoriums verloren
Mit der Einnahme von Pooneryn und Mankulam im November 2008 hat die Armee nun die gesamte 80 Kilometer lange Westküste unter ihre Kontrolle gebracht, wie diese interaktive Karte der Armee zeigt. Pooneryn war von besonderer strategischer Bedeutung, da die LTTE von dort aus militärische Einrichtungen in Jaffna beschießen konnte und Nachschub aus dem südindischen Tamil Nadu erhielt. Damit haben die Rebellen in zwei Jahren 80 Prozent ihres Territoriums verloren.
Die Erfolge der Armee sind unter anderem auf eine veränderte Strategie zurückzuführen: So rücken die Soldaten nun in kleinen Gruppen in einer breiten Front vorwärts, erklärt Ex-General Vipul Boteju. Damit sind sie weniger verletzlich für Selbstmordattentäter.
Ziel der Militäroffensive ist es, die Rebellenhauptstadt Kilinochchi einzunehmen, die seit 1998 in den Händen der Guerilla ist. Bereits seit Ende Juni meldet die Regierung regelmäßig, der Fall von Kilinochchi stehe unmittelbar bevor. Die Soldaten könnten von ihren Positionen aus bereits die ersten Häuser der Stadt sehen, behauptete General Fonseka vor zwei Monaten. Zuletzt erschwerte der heftige Monsunregen ein Vordringen der Armee, die in dem stark verminten Gelände nur langsam voran kommt.
Da Kilinochchi eine große symbolische Bedeutung zukommt, setzen die Tamil Tigers alles daran, die Armee zu stoppen. Jede Familie wird gezwungen, ein Kind herzugeben, das an die Front geschickt wird, berichtet Amnesty international. Die gesamte Bevölkerung wird für den "Endkampf" in Selbstverteidigung ausgebildet.
Werden sich die Tamil Tigers selbst besiegen?
Die in die Enge getriebenen Rebellen hoffen nun auf Hilfe aus Indien. Am 27. November appellierte LTTE-Chef Prabhakaran in seiner alljährlichen Rede zum "Heldengedenktag" an die Regierung in Neu-Delhi, das Verbot der LTTE in Indien aufzuheben. Zeitgleich mit den Terrorangriffen von Mumbai kam diese Bitte zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt und wurde von Indien umgehend zurückwiesen.
Ausschlaggebend für Indiens ablehnende Haltung ist aber vor allem folgender historischer Hintergrund: Indien hatte als erstes Land der Welt die LTTE verboten, nachdem der frühere Premierminister Rajiv Gandhi 1991 von der tamilischen Selbstmordattentäterin Thenmuli Rajaratnam ("Dhanu") ermordet worden war. Vorangegangen war ein desaströser Militäreinsatz der Indian Peace Keeping Force (1987-1990) im Norden Sri Lankas. Sie sollte eine Entwaffnung der Rebellen überwachen, geriet mit ihnen dann aber in einen Konflikt, bei dem die indische Armee furchtbare Gräueltaten an der tamilischen Bevölkerung verübte. Dhanu soll von indischen Soldaten vergewaltigt worden sein.
Nach der Ermordung Gandhis - die später von dem verstorbenen LTTE-Chefideologen Balasingham als Fehler bezeichnet wurde - wandelte sich die Haltung der indischen Regierung gegenüber dem Konflikt im Nachbarland. Inzwischen unterstützt Indien die srilankische Regierung im Kampf gegen die Tamilen sogar mit militärischem Personal und Ausrüstung. Dabei spielen auch veränderte geopolitische Kräfteverhältnisse eine Rolle: Indien hat großes Interesse an guten Beziehungen zu Colombo, um den wachsenden Einfluss von China und Pakistan in der Region einzudämmen.
In jüngster Zeit machte die LTTE einen zweiten Fehler, der ihr jetzt das Genick brechen könnte: Sie rief im November 2005 in den von ihr kontrollierten Gebieten zu einem Boykott der Präsidentschaftswahlen auf. Damit verhalf sie Präsident Mahinda Rajapakse an die Macht, der für eine harte Haltung gegenüber den tamilischen Autonomiebestrebungen warb. Sein Kontrahent Ranil Wickremesinghe favorisierte hingegen eine Fortsetzung des Friedensprozesses - mit den Stimmen der Tamilen hätte er die Wahl höchstwahrscheinlich gewonnen. Ohne die Stimmen der Tamilen musste er verlieren, der Weg einer erneuten militärischen Konfrontation war vorgezeichnet.
Kein schnelles Ende des Krieges in Sicht
Die Regierung von Mahinda Rajapakse versucht den Eindruck zu erwecken, der Krieg sei bald vorüber. Wer Zweifel anmeldet, wird schnell als Verräter gebrandmarkt. Trotz der militärischen Erfolge warnen viele Beobachter davor, ein rasches Ende des Krieges zu erwarten. Obwohl die LTTE heute finanziell und militärisch stark geschwächt ist, hat die Organisation in der Vergangenheit oft genug gezeigt, dass sie sich von militärischen Rückschlägen erholen kann oder ihre Strategie wechselt, schreibt Verteidigungskolumnist Iqbal Athas:
Sechs Monate nach der Einnahme der Halbinsel Jaffna durch Regierungstruppen im Dezember 1995 stürmten die Tamil Tigers im Juli 1996 eine Militärbasis in Mullaitivu und töteten mehr als 1.200 Soldaten. Im November 1999 machte die LTTE den Erfolg einer 19 Monate andauernden Militäroperation in fünf Tagen zunichte, als sie den von der Armee gehaltenen Elephant Pass südlich von Jaffna überrannte. Athas warnt deshalb davor, die LTTE zu unterschätzen.
Auch Analyst S.P. Nathan von der Nichtregierungsorganisation National Peace Council ist der Meinung, die LTTE könne zwar als konventionelle Armee zerschlagen werden, als Guerillabewegung sei sie aber schwer zu vernichten. Sie könnte sich auf eine Hit and Run-Taktik zurückziehen.
Selbst die Regierung scheint ihrer eigenen Propaganda nicht zu trauen: Bis zum Ende des Jahres wollen die Streitkräfte mit einer großangelegten Rekrutierungsoffensive 30.000 neue Soldaten anwerben. Damit würde die Armee auf über 240.000 Mann anschwellen. Die Rüstungsausgaben sollen im nächsten Jahr auf 200 Billionen Rupien (1,4 Milliarden Euro) ansteigen.
Der Informationskrieg um die Zahl der Toten
Insbesondere über die Opferzahlen auf beiden Seiten des vierten "Eelam War" herrscht weitgehend Unklarheit. Das Militär übertreibt die Zahl getöteter Rebellen regelmäßig, während es eigene Verluste herunterspielt oder überhaupt nicht mehr veröffentlicht. So beziffert die Armee ihre eigenen Verluste seit Jahresbeginn auf 700 Soldaten. In Wirklichkeit werden die Opferzahlen weitaus höher liegen. Innerhalb weniger Tage seien Hunderte von verletzten Soldaten in die Hospitäler und 200 Gefallene zu den Friedhöfen der Hauptstadt Colombo gebracht worden, berichtete die BBC vor kurzem unter Berufung auf einen Oppositionspolitiker.
Im Oktober 2008 sagte General Fonseka, die LTTE habe in den letzten beiden Jahren 11.000 Kämpfer verloren, nun blieben nur noch 4.000 übrig. Allein seit Januar habe sie 7.100 Rebellen getötet, behauptet die Armee.
Die LTTE selbst veröffentlicht jedes Jahr die Zahl ihrer gefallenen "Märtyrer": Der 1989 eingeführte Heldengedenktag findet am 27. November statt. An diesem Tag wurde 1982 der erste Kämpfer der Tamil Tigers von Regierungstruppen getötet - bis zum 30. Oktober 2008 starben damit 22.114 Tamil Tigers. Laut diesen Angaben wurden seit Januar 2008 1.974 Kämpfer getötet. Aber: Der tamilisch-kanadische Analyst David Jeyaraj weist darauf hin, dass nicht alle Gefallenen in diese Heldengalerie aufgenommen werden. 3.000 Kämpfer, die in diesem Jahr zwangsweise rekrutiert wurden und an der Front fielen, wurden nicht als vollständige Mitglieder aufgenommen und erhielten deshalb keinen Heldenstatus.
300.000 Zivilisten sitzen zwischen den Fronten in der Falle
In diesen Statistiken tauchen die zivilen Opfer des Krieges nicht auf: Bei Internationalen Menschenrechtsgruppen wächst die Sorge um die 300.000 Zivilisten, die im Nordosten auf der Flucht vor dem Krieg sind und in der Falle sitzen: Einerseits werden sie von der LTTE mit einem strengen Pass-System an der Flucht in den Süden gehindert und als menschliche Schutzschilde gegen die vorrückenden Soldaten benutzt. Andererseits fürchten sich viele Tamilen aber auch, in die vom Militär kontrollierten Gebiete zu gehen. Denn alle Tamilen aus dem Norden werden in Aufnahmelager geschickt, aus denen sie nur in Ausnahmefällen hinaus können. Damit will die Regierung das Einsickern von LTTE-KämpferInnen nach Colombo verhindern.
Rund um die Lager herrschen insbesondere für Frauen fürchterliche Bedingungen. So berichtete die unabhängige srilankische Menschenrechtsgruppe University Teachers for Human Rights von Vergewaltigungen durch Soldaten in der Umgebung von Vavuniya. Zudem muss jeder, der ein Familienmitglied hat, das in der LTTE aktiv ist, selbst um sein Leben fürchten.
Im September hatte die Regierung den Abzug aller humanitären Hilfsorganisationen und der Vereinten Nationen aus dem nördlichen Vanni-Gebiet angeordnet. Wer dort bleibe, werde wie ein Terrorist behandelt, sagte General Fonseka. Die Regierung versprach, die Verantwortung für die Versorgung der Flüchtlinge zu übernehmen. Amnesty International kritisierte nun, die Regierung sei nicht in der Lage, für die 300.000 tamilischen Binnenflüchtlinge Schutz und Unterkunft zu besorgen. So hätten die Nahrungsmittellieferungen stark abgenommen. 20.000 tamilische Familien müssen trotz des noch bis Mitte Februar andauernden Monsunregens unter freiem Himmel schlafen. Die Regierung erklärte dazu laut Amnesty nur, Palmenblätter seien eine ausreichende Behausung.
Währenddessen verschärft sich auch im südlichen Teil der Insel die Situation für die tamilische Bevölkerung. In Colombo werden täglich fünf bis zehn Tamilen verhaftet, berichtete ein Minister gegenüber der BBC. Wer in seinem Ausweis eine Adresse aus den Rebellengebieten stehen hat, wird sofort eingesperrt. Seit Januar seien außerdem 246 Tamilen in und um Colombo entführt worden, von denen nur 67 wieder aufgetaucht seien. Angehörige berichteten, dass einige der Entführungen von Personen in Uniformen der Sicherheitsbehörden durchgeführt worden sein. Der Oberste Richter bestätigte im Oktober, dass derzeit bis zu 1.400 Tamilen in Lagern eingesperrt seien.
Die Ära der Machtteilung ist vorüber
Im Zuge der Militäroffensive gerät jeder Gedanke an politische Lösungen unter die Räder. Die militärischen Erfolge verleiten viele singhalesische Politiker und Militärs dazu, jede ausgleichende Rhetorik aufzugeben und recht deutlich auszusprechen, wie sie in Zukunft mit den Minderheiten umzugehen gedenken:
Präsident Rajapakse hatte schon Anfang des Jahres auch nur den Gedanken an ein föderales System vehement zurückgewiesen. Im September sorgte Armeechef Sarath Fonseka für Empörung bei Tamilen und Moslems, als er in einem Interview für die kanadische National Post sagte, Sri Lanka gehöre den Singhalesen. Minderheiten könnten zwar in Sri Lanka leben, sollten aber keine unangemessenen Forderungen stellen.
Die Ära der Machtteilung sei nun endgültig vorüber, bekräftigte auch Umweltminister Ranawaka im Oktober 2008: "Wir werden es nicht erlauben, dass dieses Land föderalisiert wird." Über eine politische Lösung dürfe nicht mehr gesprochen werden, nur noch über einen Einheitsstaat.
Der erstarkende singhalesische Nationalismus beunruhigt viele Tamilen. Denn seine Protagonisten lehnen nicht nur die Teilung politischer Macht ab,, sondern versuchen auch, die Geschichte im Sinne der singhalesischen Dominanzkultur umzuschreiben: So wurde bekannt, dass die srilankische Regierung darüber nachdachte, ein Kapitel über die Geschichte des tamilischen Königreichs Jaffna (13.-17. Jahrhundert) aus den Geschichtsbüchern der Schulen zu streichen. Mit solchen Vorstößen verspielt die Regierung jede Chance, moderate Tamilen für sich zu gewinnen.
Keine Mehrheit für Verfassungsänderung
Eine militärische Lösung des Konfliktes, wie sie von der Regierung Rajapakse verfolgt wird, ist nicht möglich, da das Problem kein militärisches ist. Die LTTE kann vielleicht militärisch zerschlagen werden, der tamilische Kampf um gleiche Rechte hängt aber nicht von den Tamil Tigers ab - und er wird sie überleben.
Der Konflikt dreht sich um den rechtlichen Status der tamilischen Minderheit auf Sri Lanka. Solange dieser Staat in seiner Verfassung weiterhin den Buddhismus als Staatsreligion festschreibt, solange Singhalesisch alleinige Amtssprache bleibt, Streitkräfte und Polizei ausschließlich mit Singhalesen besetzt werden, Tamilen bei Ausbildung und Arbeitssuche diskriminiert werden - solange also die Minderheitenpolitik des singhalesischen Staates nicht verändert wird, solange wird es Vertreter der Minderheiten geben, die damit nicht zufrieden sind und eine Machtteilung, Teilautonomie oder föderale Lösung fordern. Dafür müsste aber die Verfassung geändert werden, wofür eine Zweidrittelmehrheit im Parlament notwendig ist. Eine solche politische Lösung scheint heute weiter entfernt denn je.