Stadt-Land-Kluft: Verändert neue Stadtflucht die politischen Verhältnisse?
Metropolregionen verlieren an Einwohnern, junge, gut gebildete und liberale Menschen ziehen in den Süden und dünner besiedelte Bundesstaaten, die Hochburgen der Republikaner sind
In den USA gewinnen die republikanischen Präsidenten gerne die Wahlen, obgleich sie nur die Mehrheit Wahlleute, aber nicht die Mehrheit der Wähler hinter sich haben. Das war schon 2000, als George W. Bush über Al Gore siegte, was über die Reaktion auf 9/11 die Weltgeschichte veränderte. Für Hillary Clinton haben 2016 2,4 Millionen Menschen mehr gestimmt als für Donald Trump. Der aber hatte exzessiv Wahlkampf in den wenigen Swing States gemacht und so die Wahl aufgrund des überkommenen Wahlrechts für sich entschieden. Jetzt werden die USA von einem Präsidenten regiert, der nicht die Mehrheit repräsentiert. Und das ist auch eine Folge des Stadt-Land-Konflikts, der nach dem amerikanischen Wahlrecht zugunsten des Landes ausging.
In den Städten, vor allem in den Großstädten, dominieren die demokratischen Wähler oft um ein Vielfaches, aber sie sind in den Vorstädten und in den dünner besiedelten Bundessstaaten oft leicht in der Minderheit.
Der Politologe Jonathan Rodden hat das Phänomen in seinem Buch "Why Cities Lose" (Warum Städte den Kürzeren ziehen) als Folge der Dichte beschrieben. Nicht nur in den USA, auf der ganzen Welt würden sich liberale Wähler mit Hochschulausbildung in den Städten ansammeln und durch exzessive Konzentration ihren Einfluss auf Wahlen einschränken. Das trifft allerdings nur dort zu, wo es ein Mehrheitswahlrecht gibt wie etwa in den USA oder in Großbritannien, das mitunter grotesk die politische Landschaft verzerrt und die Polarisierung verstärkt.
Aber das könnte sich ändern. Derek Thompson verweist in einem Artikel im Atlantic darauf, dass in den USA die drei größten Metropolregionen - New York, Los Angeles und Chicago nicht mehr wachsen, sondern an Bevölkerung verlieren. Der urbane Exodus, den bislang die Migranten kompensiert hatten, führt dazu, dass New York täglich um durchschnittlich 277 Einwohner schrumpft. Auch andere Städte wie San Francisco, Boston oder Baltimore, wo demokratische Politiker gute Chancen haben, schrumpfen.
Nach Rentern kommen jetzt die Jungen und Akademiker nach Florida
Und hier sieht Thompson den Beginn einer Verschiebung der politischen Landschaft. Viele der Migranten aus den Städten würden in die südlichen und westlichen Bundesstaaten gehen. Die am schnellsten wachsenden Städte waren Dallas, Phoenix, Houston, Atlanta und Orlando, alle in Bundesstaaten, in denen Trump wie in Florida oder Texas das letzte Mal gewonnen hat. Bislang sind die Rentner nach Florida ausgewandert, aber jetzt sind es auch die Jungen, oft Akademiker, im Alter von 20 oder 30 Jahren, die liberaler sind als der Rest der Bevölkerung. Nach dem Demografen William Frey ist die Wahrscheinlichkeit, dass die 20-40-Jährigen umziehen, mittlerweile drei bis viermal häufiger als bei den 50-70-Jährigen.
Das lässt Thompson hoffen. Das Hereintropfen der Jungen in die republikanisch dominierten Vororte könnte die sündlichen Metropolen in "demokratische Hochburgen" verwandeln. Das lässt sich in texanischen Städten wie Houston, San Antonio oder Austin schon erkennen. Auch in Arizona oder Georgia wächst in den Städten der Anteil der demokratischen Wähler. Republikaner im Süden, die bislang von der Wut von "rückwärts gerichteter Fremdenfeindlichkeit" gelebt haben, könnten genötigt sein, um nicht alles zu verlieren, auch als Partei für Gemäßtige, Schwarze und Migranten aufzutreten.
Als Gefahr sieht Thompson allerdings auch, dass die "demokratischen Transplantate in Dallas oder Houston" rechtes Gedankengut übernehmen könnten, beispielsweise wenn es um niedrigere Besteuerung geht. Aber er geht davon aus, dass die demografische Veränderung eher Gutes mit sich bringen wird, da ansonsten ohne Änderung des Wahlsystems die liberalen Küstenbewohner nur wütend blieben, weil ihre Stimmen nicht zählen, während die ländlichen Konservativen sauer blieben, dass Wirtschaft und Medien in die Städte ziehen und das Land als "fremdenfeindliches Hinterland" betrachten.
Stadt-Land-Unterschiede in Deutschland
In Deutschland ist der Stadt-Land-Unterschied auch deutlich ausgeprägt. Die Konservativen verlieren in den boomenden Großstädten und können sich nur aufgrund der ländlichen Bevölkerung und der in den kleineren Städten halten. In Ostdeutschland ist der Erfolg der AfD auch eine Folge des Auseinanderdriftens von urbaner und ländlicher Bevölkerung.
Während die AfD ihr nationalistisches, fremdenfeindliches, rückwärtsgewandtes und anti-urbanes Programm durchzieht, um auf dem Land zu wachsen, haben CDU und CSU gemerkt, dass sie in den Großstädten keinen Rückhalt mehr haben und ihre Wählerschaft - wie die der SPD und der FDP - ausstirbt. Ginge die Union weiter rechts, könnte sie vielleicht ein paar Stimmen von der AfD holen, würde aber in den Städten weiter verlieren und auch die gewachsene Beziehung zur Wirtschaft gefährden. Was in den USA noch nicht bemerkbar ist, sondern erst mit der etwaigen Wahlniederlage von Trump deutlich werden könnte, haben CDU und vor allem die CSU mit ihrer grünen Kehrtwende vollzogen. Sie versuchen, jetzt nicht mehr gegen den urbanen Trend zu schwimmen, sondern mit ihm.
Zu vermuten ist, dass die Kluft zwischen Stadt und Land trotz Heimatministerium und dem Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, weiter wachsen wird. Und klar ist auch, dass dies nicht nur ein innenpolitisches Thema ist. Die Großstädte und Megacities, die die Motoren der Wirtschaft darstellen, werden sich ebenso wie ihre Bevölkerung weiter vernetzen und das Land sowie die ländliche Mentalität und auch den Nationalismus der Abgehängten hinter sich lassen. Womöglich setzt aber auch wie in den größten Metropolregionen der USA ein urbaner Exodus ein, vor allem bedingt durch die wachsenden Kosten des Wohnens und Lebens, der auch die politischen Verhältnisse verändert. Die Digitalisierung des Landes wird dabei eine entscheidende Rolle spielen, aber gleichzeitig auch die Mentalität verändern und das kleinstädtische oder dörfliche Leben verändern, wenn der Schützenverein an Bedeutung verliert.
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