Stahlbranche: Die fragwürdige Politik der IG Metall

Seite 2: Ein seltsamer Deal in der Stahlbranche

Vorstellig gemacht wird das Abkommen zwischen Gewerkschaft und Unternehmen als ein Vertrag des beiderseitigen Gebens und Nehmens. Die Arbeitnehmer verzichten auf Lohnbestandteile und erhalten dafür die Sicherung des Arbeitsplatzes. Dass der nicht sicher ist und wird, ist nicht zu übersehen. Schließlich verlieren etwa 400 Menschen ihr Einkommen. Und zwei Jahre arbeiten zu dürfen, ist auch alles andere als eine sichere Beschäftigung. Ein solcher Zeitvertrag gilt sonst eher als ein prekäres Arbeitsverhältnis. Denn das Ende ist abzusehen, dann steht man wieder vor dem Nichts.

Gestrichen werden Lohnbestandteile oder sogenannte Sonderzahlungen. In der WAZ heißt es:

Demnach werden die Mitarbeiter in den kommenden beiden Jahren nur die Hälfte ihres Weihnachtsgeldes ausbezahlt bekommen. Die Stahlwerker hatten schon 2020 nach emotionalen Debatten auf 40 Prozent der Sonderzahlung verzichtet. Auch das Urlaubsgeld in Höhe von 1000 Euro, das es erst seit dem letzten Jahr gibt, wird in diesem und nächsten Jahr gestrichen. "Weitere finanzielle Einschnitte gibt es aber nicht", betont IG-Metall-Vorstand Holger Lorek."

WAZ, 30.01.2021

Die Äußerung des Gewerkschaftsfunktionärs legt nahe, dass die Opfer der Belegschaft nicht groß sind, wird doch ihr monatlicher Lohn nicht angetastet und werden "nur" die Sonderzahlungen gekürzt. Dabei haben die Beschäftigten doch mit den Sonderzahlungen bisher gerechnet, ihren Lebensunterhalt aufgebessert. Jetzt fallen sie weg, also müssen die Beschäftigten den Gürtel noch enger schnallen - damit auf der anderen Seite die Taschen der Unternehmer und ihrer Finanziers wieder ordentlich gefüllt werden können.

Eine gewerkschaftliche Höchstleistung

Die Belegschaft hat sich bei diesem Vertrag vertreten lassen von einer der größten und mitgliederstärksten Gewerkschaft der Welt. Einem Zusammenschluss, der einmal dafür angetreten ist, der Macht des Kapitals den Zusammenschluss der Arbeiter entgegenzusetzen, um diesen die Lebensbedingungen zu sichern.

Die Arbeitsverweigerung, der Streik, ist das Kampfmittel, das die Kalkulation der Unternehmen schädigt und sie nötigt, auf die Belange ihrer Belegschaft Rücksicht zu nehmen. Die Arbeiter bleiben aber abhängig vom Gelingen des Unternehmens - und aus diesem Grunde haben DGB-Gewerkschaften den fatalen Schluss gezogen, sich auch um den Erfolg der Unternehmen, in deren der Lebensunterhalt der Beschäftigten als Kostenstelle erscheint, zu kümmern. Sie wollen in den Betrieben mitbestimmen als Betriebsrat oder Aufsichtsrat und treten daher zunehmend als Co-Manager auf, die mit Alternativvorschlägen für den Erfolg des Unternehmens aufwarten.

Aus dieser Perspektive teilen sie denn auch die Notwendigkeit der Personalkostensenkung. Gewerkschafter fordern außerdem ganz folgerichtig von den Betrieben Zukunftsinvestitionen: Damit die Firma weiter erfolgreich Geschäfte machen und so Arbeitsplätze anbieten kann. Dem Inhalt nach sind solche Investitionen zwar Rationalisierungsinvestitionen, die darauf zielen, mit weniger Personal mehr herstellen und flexibel auf Marktanforderungen reagieren zu können. Aber wenn damit wenigstens der Betrieb überlebt und ein paar Arbeitsplätze übrig bleiben.

Für eine Gewerkschaft wie die IG Metall ist der Abbau von Stellen auch etwas anderes als Entlassungen. Schließlich muss der Betrieb, um dieses Ziel zu erreichen, nicht unbedingt Kündigungen aussprechen. Da sind zum einen die Leiharbeiter, die bei solchen Zahlen von Stellenabbau gar nicht erscheinen, weil sie zwar im Betrieb arbeiten, aber nicht zur Belegschaft gehören, sind sie doch formal bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt und werden von diesem entlohnt.

Wenn diese nicht mehr von den Edelstahlwerken beschäftigt werden, sind sie noch bei der Verleihfirma angestellt und werden entlassen, wenn es für sie keine Vermittlung mehr gibt. Das zählt nicht zum Stellenabbau von DEW.

Eine andere Möglichkeit bietet die sogenannte natürliche Fluktuation, an der nichts natürlich ist. Gemeint ist damit, dass immer eine Reihe von Arbeitnehmern ausscheiden und diese Plätze neu besetzt werden oder auch nicht. Manche scheiden aus Altersgründen aus, wie es heißt, dabei ist nicht das Alter entscheidend, sondern die staatliche Rentenregelung.

Viele erreichen dieses Alter erst gar nicht und müssen aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Wer länger als sechs Wochen krank ist, fällt aus der betrieblichen Lohnzahlung heraus und erhält Krankengeld. Ist nicht abzusehen, ob er jemals wieder den Anforderungen seines Arbeitsplatzes gerecht werden kann, muss der Arbeitgeber ihn nicht weiter beschäftigen.

Kündigungen aus persönlichen Gründen fallen dann an, wenn Arbeitnehmer gegen das Diktat der Arbeitsordnung verstoßen, sei es, dass sie unpünktlich sind, sich mit Kollegen oder Vorgesetzten anlegen oder betrunken zum Dienst erscheinen. Arbeitnehmer haben sich eben selbst eine Disziplin aufzuerlegen und ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag zu erfüllen, auch wenn sie keine Lust haben oder sich nicht gut fühlen.

So verfügt das Unternehmen über eine Vielzahl von Instrumenten, seine Belegschaft durch nicht Wiederbesetzung von Arbeitsplätzen auszudünnen und der Restbelegschaft ein Mehr an Leistung abzuverlangen.

Auch Entlassungen über Sozialplan gelten nicht als solche, finden sie doch unter Beteiligung der Gewerkschaft bzw. des Betriebsrates statt. In der Öffentlichkeit werden dazu gelegentlich auch enorme Beträge gehandelt, die als Abfindungen den Schaden durch die Entlassung abmildern sollen.

Bevorzugt stehen ältere Arbeitnehmer für solche Maßnahmen auf dem Plan, die vorzeitig über Arbeitslosengeld und Frühverrentung in den Ruhestand geschickt werden sollen.

Die Abfindung soll dabei die anfallenden Kürzungen des Einkommens ausgleichen. Schließlich liegt das Arbeitslosengeld bei 60 Prozent des früheren Einkommens und die Rente noch unter der Hälfte des bisherigen Lohns.

Das bedeutet sehr schnell eine Einbuße von 1.000 Euro oder mehr im Monat, bei Stahlarbeitern wahrscheinlich noch mehr. Um das aufzufangen, braucht es dann sehr schnell 12.000 Euro oder mehr im Jahr, weswegen eine Abfindung für die Frühverrentung dann schnell gegen 100.000 Euro gehen kann.

Ein vollständiger Ausgleich wird damit indes nicht angestrebt, sondern der Schaden lediglich gemildert. Immerhin, so der Trost, ist es für die so Freigesetzten eine Wohltat, nicht mehr arbeiten zu müssen. Und das ist in der Tat etwas, was für manchen dieses Angebot reizvoll erscheinen lässt.

Das sagt einiges über den Charakter der Arbeit aus, dass man ihr offenbar gerne entfliehen will. Der finanzielle Schaden bleibt aber bis zum Lebensende, denn wer weniger Jahre in die Rente einzahlt, bekommt weniger. Und dazu kommen die Abschläge für den früheren Renteneintritt. Eine wahrlich soziale Regelung.

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