Stammheimer Todesnacht: Es bleiben zahlreiche Widersprüche
Seite 2: Wahrscheinlichkeit des Schmuggels mehrerer Waffen gleich null
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Sie haben sich ausgiebig mit dem behaupteten Waffenschmuggel in das Gefängnis und dem angeblichen geheimen Kommunikationssystem der Stammheimer Häftlinge auseinandergesetzt. Zu welchem Resultat kommen Sie da?
Helge Lehmann: Nach meinen Untersuchungen, jeweils mit einem Versuchsaufbau, komme ich zu dem Ergebnis, dass der Waffenschmuggel nur möglich gewesen sein kann, wenn die untersuchenden Beamten grob fahrlässig und dilettantisch gearbeitet hätten. Da sich die Beamten bei einem Waffenschmuggel selbst in Gefahr gebracht hätten und da es vor jeder Durchsuchung intensive Vorbereitungen gab, erscheint mir die Wahrscheinlichkeit des Schmuggels mehrerer Waffen und Patronen sowie einer Kochplatte und anderer Gegenstände gleich null.
Wo sehen Sie einen weiteren zentralen Widerspruch in der offiziellen Version der Stammheimer Todesnacht?
Auch der Versuchsaufbau der Kommunikationsanlage, mit der sich die Gefangenen laut der offiziellen Version zum Selbstmord verabredet haben, zeigt deutlich, dass mit dem in den Zellen vorhandenen Material eine solche Anlage spätestens ab dem Beginn der Kontaktsperre der Stammheim-Häftlinge nach der Schleyer-Entführung nicht aufgebaut werden konnte.
Ein "Indizienprozess" gegen die offizielle Version
Sie schreiben, dass ihre Untersuchungen die Form "eines Indizienprozesses" gegen die offizielle Version angenommen hat. Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass sie keine Beweise haben?
Helge Lehmann: In der Rechtsprechung ist ein Beweis mehr als ein Indiz, die Summe der Indizien kann als Beweis gelten. Natürlich habe ich keinen Beweis. Ich war nicht dabei, keiner der beteiligten Beamten hat sich dahingehend geäußert. Jedes Gericht würde aufgrund dieser Indizienlage das Ergebnis Selbstmord nicht als das tatsächliche zweifelsfreie Ergebnis sehen.
Waren Sie über die öffentlichen Reaktionen auf Ihr Buch enttäuscht? Schließlich wird es im Jubiläums-Jahr kaum erwähnt und selbst in linken Zeitungen wird die Selbstmordthese kaum in Frage gestellt.
Helge Lehmann: Nein war ich nicht. Genauer gesagt habe ich damit gerechnet. Die Sieger schreiben die Geschichte.
Aber auch der ehemalige RAF-Gefangene Karl-Heinz Dellwo, der heute als linker Verleger und Aktivist tätig ist, erklärte später, die RAF-Gefangenen hätten über einen Selbstmord als selbstbestimmten Akt, um sich der staatlichen Verfolgung zu entziehen, gesprochen. Würde die offizielle Version zumindest im Grunde gestützt?
Helge Lehmann: Seine Darstellung widerlegt die von mir offengelegten Indizien und Widersprüche nicht.
Könnten die von Ihnen untersuchten Widersprüche nicht auch darauf hinweisen, dass ein Selbstmord unter staatlicher Aufsicht damit verschleiert wurde? Ein Beispiel, die schon immer stark bezweifelte Art des angeblichen Waffenschmuggels könnte verschleiern, dass die Waffen mit Wissen staatlicher Stellen ins Gefängnis gelangt sind?
Helge Lehmann: Ich beteilige mich nicht an Spekulationen. Ich kann nur auf die in meinem Buch vorgelegten Indizienpunkte hinweisen. Warum löste keiner die benannten Widersprüche auf oder versucht, diese zu erklären?
Gehen Sie davon aus, dass es noch eine Aufklärung der Todesumstände in Stammheim geben wird? Welche politischen Folgen hätte das?
Helge Lehmann: Das ist nicht absehbar. Das bisherige Interesse an der Aufklärung hält sich ja in Grenzen. Diskussionen sind wichtig, um das ganze Thema zu verstehen. Es wäre allerdings nötig, dass sich mehr Menschen für das Thema zu interessieren beginnen. Vielleicht kann der Tatort, den ich sehr gelungen fand, dazu beitragen.