Startschuss für den Internationalen Strafgerichtshof
Die US-Regierung erwägt auch die Zurücknahme der Unterschrift unter das Statut von Rom, ein vom Senat gebilligtes Gesetz sieht gar den Einsatz aller Mittel zur Befreiung von angeklagten Regierungsangestellten vor
Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) wird schon bald gegründet werden. Die dafür notwendige Ratifizierung des Statuts von Rom von 1998 durch 60 Staaten soll am 11. April geschehen, wie die UN berichtet. Nach der am 21. März erfolgten Ratifizierung durch Panama fehlten dafür nur noch vier Staaten. Am 11. April werden mindestens sieben Staaten, darunter Bosnien, Bulgarien, Kambodscha, Kongo, Irland und Jordanien, die Ratifizierung vornehmen. Am 1. Juli kann nach der vorgesehenen gemeinsamen Ratifizierung der noch fehlenden Länder das Statut von Rom in Kraft treten, wirklich arbeitsfähig soll der Gerichtshof aber erst im Laufe des nächsten Jahres werden. Dadurch aber gerät die US-Regierung unter Druck, die dessen Einrichtung entschieden ablehnt, weil sie eine "Politisierung der Justiz" fürchtet. Verhindert wird dadurch aber ein wichtiger Schritt zum Weltfrieden, da nur durch einen möglichst starken Internationalen Strafgerichtshof schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht nur wirklich verfolgt, sondern vielleicht auch verhindert werden können, wenn kein Machthaber mehr sicher sein kann, ungeschoren mit schweren Verbrechen davon zu kommen.
Mit der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag soll eine Institution geschaffen werden, die dauerhaft und nicht beschränkt auf eine bestimmte Zeit oder eine bestimmte Region wie bei den UN-Tribunalen für Ruanda oder Ex-Jugoslawien Menschen belangen kann, die sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen in Form von schweren Verletzungen der Genfer Konventionen oder anderen schweren Verstößen gegen Abkommen für bewaffnete Konflikte und "Verbrechen der Aggression", die allerdings erst später näher definiert werden sollen).
Der Internationale Strafgerichtshof wäre sicherlich der richtige Ort gewesen, um die für die Anschläge vom 11.9. verantwortlichen Terroristen zu belangen. Statt in einen nicht absehbaren Kriegszustand einzutreten und überdies weitere internationale Abkommen wie die Genfer Konventionen zu missachten, wäre es dann wesentlich weniger spektakulär darum gegangen, die Schuld der Täter nachzuweisen, diese zu verfolgen und vor Gericht zu stellen. Der Rechtsweg einer globalen Innenpolitik garantiert natürlich keineswegs die Ausrottung des Terrorismus, was freilich auch kein Krieg leistet, der Widerstand bekanntlich eher fördert, vor allem aber ist er nicht zur kurzfristigen innen- und außenpolitischen Machtkonsolidierung tauglich. Gleichwohl wäre es der Weg eines demokratischen Rechtsstaats, der auch gegen seine Feinde seine Grundprinzipien wahrt und sich durch Gesetze zur Verantwortung gegenüber dem Recht verpflichtet. Krieg mag ein letztes Mittel der Selbstverteidigung sein, kann aber niemals eine Demokratie legitimieren.
Wie wirksam ein Internationaler Strafgerichtshof als erste Etappe hin zur Etablierung einer globalen Innenpolitik auch sein kann, so wäre allein seine Existenz womöglich schon friedensfördernd, weil zumindest die Staaten, die das Statut von Rom ratifiziert haben, mit Klagen rechnen müssten und ihr Vorgehen darauf abstimmen könnten. Man stelle sich nur vor, die USA, Israel und die palästinensische Autonomiebehörde hätten das Statut ratifiziert und der Gerichtshof wäre bereits eingerichtet ...
Die US-Regierung erwägt die Zurückziehung der bereits erfolgten Unterschrift
Seit Beginn haben die USA allerdings gegen den Internationalen Strafgerichtshof opponiert. Zusammen mit nur wenigen anderen Staaten - China, Irak, Libyen, Jemen, Katar and Israel -, stimmte die US-Regierung gegen das Statut von Rom 1998. Als eine seiner letzten Amtshandlungen unterzeichnete Bill Clinton im Dezember 2000 noch das Statut, riet aber seinem Nachfolger, dieses wegen erheblicher Mängel nicht zu ratifizieren. Die Bush-Regierung denkt auch gar nicht daran und hat verschiedentlich versichert, dass man das Abkommen dem Senat nicht vorlegen werde.
Erst kürzlich gab Pierre-Richard Prosper, der Gesandte der amerikanischen Regierung für Kriegsverbrechen, bekannt, dass man überlege, auch die Unterschrift unter das Statut von Rom wieder rückgängig zu machen. Wer ein internationales Abkommen unterzeichnet hat, verpflichtet sich damit, die Ziele oder Absichten des Vertrags nicht zu unterminieren. Das geht der US-Regierung offenbar schon zu weit, auch wenn sie mit dem eher symbolischen Schritt riskiert, erstmals eine Unterschrift unter einem internationalen Abkommen rückgängig zu machen. Dazu wäre lediglich ein formeller Brief an den UN-Generalsekretär Kofi Annan notwendig, in dem die Regierung versichert, dass sie den Vertrag nicht unterzeichnen werde, und verlangt, von den Verpflichtungen befreit zu werden. Das Zurückziehen der Unterschrift sei, so Prosper, eine der Optionen, die man erwäge: "Eine endgültige Entscheidung über das genaue Vorgehen wurde noch nicht getroffen."
Als Grund für die Ablehnung des Internationalen Gerichtshofs wird angeführt, dass das Statut von Rom keine ausreichenden Sicherungen vor politisch motivierte Klagen gegen US-Regierungsangestellte enthalte:
"Ein Regierungsangestellter oder ein Politiker der USA könnten vor dem Gericht lediglich aufgrund politischer Tatbestände und nicht aufgrund von Taten angeklagt werden, die tatsächlich begangen wurden."
Wegen der Möglichkeit einer solchen "Politisierung der Justiz" lehne die US-Regierung das Statut ab. Es dürfe auch keine Rechtssprechung für einen Staat eröffnen, der den Vertrag nicht unterzeichnet hat. US-Bürger aber können natürlich schon jetzt wegen Verbrechen, die sie in anderen Staaten begangen haben, vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Mit der Einführung des Internationalen Gerichtshofs übertragen die Mitgliedsländer des Abkommens die Rechtssprechung lediglich auf diesen.
Die USA ziehen, wie in den meisten anderen internationalen Abkommen auch, nationale Alleingänge und Selbstverpflichtungen vor. In diesem Fall sollen "souveräne Staaten in ihrem Geltungsbereich Recht sprechen", wenn dies durchführbar ist und glaubwürdig geschieht, so erläuterte Prosper Ende Februar dieses Jahres vor dem Kongressausschuss für Internationale Beziehungen. Die Ereignisse vom 11. 9. hätten die Gründe für die Ablehnung des ICC jedenfalls nicht verändert.
Konservative Medien wie News Max oder Organisationen wie das American Policy Center (APC)fordern denn auch die Zurücknahme der von Weichling Clinton geleisteten Unterschrift durch Präsident Bush: "Without US participation, the UN court will be "dead on arrival." We must make sure that happens! Please call and fax President Bush and urge him to take immediate action to remove the US from the ICC!"
Prosper machte überdies deutlich, dass die US-Regierung auf eine Beendigung der Kriegsverbrechertribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda bis spätestens 2008 dringt. Zwar müssten noch Radovan Karadzic und Ratko Mladic ergriffen werden, um ihnen den Prozess vor dem ad-hoc-Tribunal zu machen, dann aber sollte eine "Umgebung geschaffen werden, in der es keine Abhängigkeit von internationalen Mechanismen gibt". Obwohl die Tribunale erfolgreich gearbeitet hätten, monierte Prosper, es habe "Probleme" gegeben. So sei in beiden Tribunalen der "Professionalismus" von Mitarbeitern durch Missmanagement und Missbrauch in Frage gestellt worden. Die Prozesse seien überdies "kostspielig, wenig effizient, zu langsam und weit entfernt von der Alltagserfahrung der Menschen und der Opfer".
Für Richard Dicker von Human Rights Watch untergraben solche Äußerungen die Kriegsverbrechertribunale: "Das jugoslawische Tribunal hat gerade mit dem weltweit wichtigsten Strafprozess seit Nürnberg begonnen. Die US-Regierung gefährdet diese Arbeit." Es sei zwar eine schöne Idee, Verdächtige den regionalen Rechtssystemen zu überlassen, aber diese seien weder in Serbien noch in Ruanda dazu imstande, da sie gerade erst wieder aufgebaut würden.
Im Senat wurde bereits ein Gesetz, das jede Kooperation mit dem ICC verbietet, mit großer Mehrheit gebilligt
Die Befürchtung, dass Regierungsangestellte oder andere US-Bürger, die im Auftrag des Staates handeln, aus politischen Motiven sich vor dem Internationalen Strafgericht verantworten müssten, scheint jedoch eher vorgeschoben zu sein. Vorgesehen sind viele Sicherungen im Statut von Rom, die derartiges äußerst unwahrscheinlich machen. So darf der ICC dann nicht eingreifen, wenn, wie Artikel 17 besagt, der Fall bereits von dem Staat untersucht oder verfolgt wird, der rechtlich dafür zuständig ist, es sei denn, er ist dazu nicht willens oder außerstande. Unter denselben Bedingungen kann sich der ICC auch dann nicht einschalten, wenn der betreffende Staat den Fall untersucht, aber beschlossen hat, ihn nicht zu verfolgen. Das ist schon nahezu ein Freibrief. Richter, deren Ernennung nach strengen Regeln erfolgt, können natürlich aufgrund von Parteilichkeit für einen Prozess ausgeschlossen oder ihres Amts bei Missbrauch enthoben werden. Der Ankläger kann keinen Prozess ohne vorherige Billigung durch eine richterliche Kammer einleiten. Überdies kann der UN-Sicherheitsrat beschließen, dass der ICC einen Fall nicht übernehmen darf. Die Rechte des Angeklagten werden stärker gewahrt als in vielen Ländern.
Gleichwohl unterstützt die US-Regierung mehr oder weniger direkt ein Gesetz, das der Senator Jesse Helms eingebracht hat. Der American Servicemembers' Protection Act (ASPA) (ursprüngliche Fassungen: S.857, identisch mit H.R.1794) wurde am 7. Dezember 2001 mit einer großen Mehrheit von 78 zu 21 Stimmen als Zusatz zum Budgetgesetz des Verteidigungsministeriums im Senat gebilligt und enthält einige durchaus bedenkliche Teile. Dazu wollte sich Prosper im Detail nicht äußern, sagte aber in einem Interview für das Crimes of War Project, man stimme "prinzipiell" mit ihm überein, dass Regierungsangestellte geschützt werden müssen: "Es geht nur darum, die Einzelheiten auszuarbeiten, wie man diesen Schutz am besten gewährleistet."
Der ASPA verbietet nicht nur die Zusammenarbeit der USA mit dem ICC, sondern will auch eine Beteiligung der USA an friedenssichernden Einsätzen der UN so lange verhindern, bis die amerikanischen Soldaten von der Strafverfolgung durch den ICC ausgenommen worden sind. Überdies war zunächst vorgesehen, keine militärische Hilfe an die nicht in der Nato befindlichen Staaten zu leisten, die den ICC-Vertrag ratifiziert haben. Dieser Passus wurde dann aber doch auf Druck der Regierung abgeändert, so dass nun der Präsident die letzte Entscheidung darüber hat. Noch problematischer ist freilich, dass nach dem ASPA der Präsident die Möglichkeit besitzen soll, US-Regierungsangestellte und Verbündete auch mit militärischer Gewalt zu befreien, wenn sie vor den ICC gebracht werden sollen, was bereits den Namen "the Hague Invasion Act" trägt, da der Gerichtshof in den Haag eingerichtet wird:
"The President is authorized to use all means necessary and appropriate to bring about the release from captivity of any person described in subsection (b) who is being detained or imprisoned against that person's will by or on behalf of the International Criminal Court."
Vor allem Abgeordnete der Demokraten kritisierten das Gesetz. Es würde, so Joseph Biden, just zu der Zeit "dumme Signale in die Welt senden", in der USA Usama bin Ladin und Milosevic bestrafen wollen. Patrick Leahy fürchtet dadurch zurecht einen "Schaden für die internationale Gerechtigkeit". Andere Kritiker warnen, dass die USA sich dadurch jede Möglichkeit nehmen, weiterhin einen Einfluss auf den ICC ausüben zu können und diesen möglichst den eigenen Interessen nach zu gestalten. Abzuwarten bleibt freilich die Abstimmung im Kongress. Für die Verabschiedung des Budgetgesetzes im Kongress wurde im Januar 2002 ohne weiteren Kommentar der ASPA erst einmal einfach weg gelassen. Gebilligt wurde lediglich, dass die USA im Jahr 2002 sich nicht am ICC beteiligen sollen.
Zu befürchten aber steht, dass auch dieses Mal die US-Regierung ein verpflichtendes internationales Abkommen ablehnen wird, auch wenn dieses viele Schlupflöcher offen hält, und durch dieses Signal die Welt gerade während des "Kriegs gegen den Terrorismus" unnötigerweise wieder ein Stück unsicherer macht. Die Ablehnung oder gar die Verabschiedung des ASPA wäre ein Signal dafür, dass die USA sich eher auf die Seite der "Schurkenstaaten" stellt, als durch internationale Abkommen möglicherweise an Handlungsfreiheit zu verlieren. Schwieriger würden dadurch natürlich Allianzen mit oder Unterstützung von Unrechtsregimen. Unübersehbar wäre jedoch der Gewinn an Glaubwürdigkeit für die US-Politik, wenn die USA dem Statut von Rom ratifizieren würde, für die Bekämpfung des Terrorismus und ganz allgemein für die Durchsetzung der Menschenrechte auf dem Boden des damit verbundenen demokratischen Rechtsstaates.