Stockende Mobilitätswende: Der Druck wächst
Will Deutschland seine Klimaziele bis 2030 erreichen, dann muss der Verkehrssektor einen bedeutenden Beitrag leisten. Doch die Bundesregierung komme zu langsam voran, kritisieren Umwelt- und Verkehrsverbände
Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Nachbesserungen im deutschen Klimaschutzgesetz anmahnt, bekam das Anliegen an diesem Donnerstag deutlich mehr Gewicht: In einer gemeinsamen Erklärung hatten Allianz pro Schiene, Greenpeace und der Deutsche Naturschutzring (DNR) moniert: "Deutschland hinkt sowohl den eigenen Zielen als auch vielen anderen Staaten hinterher". Das Land komme beim Klimaschutz nur voran, "wenn die nächste Bundesregierung eine Wende in der Verkehrspolitik" wage. Dafür müssten unter anderem umweltschädliche Subventionen etwa für Dienstwagen oder Diesel abgebaut werden. Der Greenpeace-Geschäftsführer Roland Hipp forderte, von 2025 an den Verkauf von Neuwagen mit Diesel- oder Benzinmotor zu untersagen.
Weniger Autos auf den Straßen, dafür mehr Bus und Bahn, Rad- und Fußverkehr, forderte DNR-Präsidiumsmitglied Kerstin Haarmann. "Wir brauchen endlich einen konsequenten Neuanfang in der Verkehrspolitik, damit alle Menschen gut und sicher mobil sein können", sagte sie. In einem Zehn-Punkte-Plan stellten die drei Verbände Maßnahmen vor, mit denen die Verkehrswende gelingen soll. Ein Punkt davon ist: Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) solle ausgebaut werden. Mindeststandards für die Anbindung kleinerer Ortschaften sollten demnach etabliert werden; jeder Ort solle mindestens stündlich angefahren werden mit Bus, Bahn oder in flexiblen Formen wie dem Rufbus. Hauptachsen sollen mindestens jede halbe Stunde bedient werden.
Volksinitiative in Brandenburg
Eine Forderung des Bündnisses ist besonders umstritten, sie wurde in Brandenburg bereits von der Volksinitiative "Verkehrswende Brandenburg jetzt!" erhoben und stieß bei den Regierungsfraktionen im Landtag auf Ablehnung. Sie lautet, der ÖPNV müsse zur kommunalen Pflichtaufgabe werden. Am Dienstag hatten die Vertreter der Volksinitiative erklärt, sie wolle auf den nächsten Schritt, ein Volksbegehren, verzichten; stattdessen wollen sie ihre Ziele im Dialog mit der Landesregierung erreichen. Die Verhandlungen hätten kurz vor dem Scheitern gestanden, aber in letzter Minute habe man sich doch noch geeinigt.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Brandenburger Landtag, Erik Stohn, hat laut Medienberichten erklärt, man habe die Volksinitiative unter anderem wegen der besagten Forderung abgelehnt. Diese hätte nicht mitgetragen werden können, weil sie bedeutet hätte, dass das Land Gelder in Milliardenhöhe auf die kommunale Ebene verschieben müsse. Am Donnerstag wollten die Regierungsfraktionen das Volksbegehren formal ablehnen - gleichzeitig wollten sie einen Antrag beschließen, in dem die zentralen Forderungen enthalten sind.
Bis zu den nächsten Wahlen für den Landtag soll ein "Mobilitätsgesetz" beschlossen werden - die Verbände und Gewerkschaften hinter der Volksinitiative sollen am Gesetzgebungsverfahren beteiligt werden. "Über die genaue Ausgestaltung des Gesetzes werden wir noch hart verhandeln müssen", sagte Fritz Viertel, Landesvorsitzender des ökologischen Verkehrsclubs VCD. Man hätte sich gewünscht, mit konkreteren Eckpunkten in den Dialogprozess zu starten, aber man hoffe auf zeitnahe erste Ergebnisse. "Ein Volksbegehren hätte unsere Position erneut bestätigt, den Prozess aber weiter verzögert", sagte er weiter und betonte: Angesichts des Klimawandels habe man die Zeit aber nicht.
Die Opposition im Landtag kritisierte die Entscheidung. Die Grünen seien eingeknickt, warf ihnen der Fraktionschef von BVB/Freie Wähler, Péter Vida, vor. Statt ein Volksbegehren zu starten, hätten sie sich auf ein wenig konkretes Gesetz eingelassen. Der verkehrspolitische Sprecher der Linken, Christian Görke, mahnte an, dass am Ende ein ambitioniertes Gesetz stehen müsse "mit klaren Maßnahmen, Budgets und Zeitplänen". 2030 müsse der Anteil von Bahn und Bus, Rad- und Fußverkehr von 43 auf mindestens 60 Prozent steigen.
Scheuer und der Radverkehr
Für den Radverkehr will sich auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) stark machen. Am Dienstag stellte er auf dem 7. Nationalen Radverkehrskongress (NRVK) in Hamburg das Konzept seines Ministeriums vor, um den Radverkehr in Deutschland zu stärken. "Bis 2023 fördert allein das Verkehrsministerium bessere und sichere Radinfrastruktur mit der Rekordsumme von 1,46 Milliarden Euro. Jetzt müssen diese Mittel abgerufen und vor Ort eingesetzt werden", sagte er.
Während sich Scheuer selbst feierte, fiel sein Konzept bei der Opposition durch. Für eine Verkehrswende und besseren Radverkehr reiche es nicht aus, Papier zu beschreiben und etwas Geld vom Förderkuchen zu reservieren, sagte Stefan Gelbhaar, Sprecher für Verkehrspolitik der Grünen im Bundestag. Ideen und Maßnahmen umzusetzen, davon sei der Verkehrsminister weit entfernt. Im Gegenteil:
"Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts einzuführen, verweigert er standhaft. Verkehrssicherheitszonen, die vor Abbiegeunfällen schützen könnten, will er nicht. Und auch das Rasen innerorts stellt für Scheuer kein großes Problem dar. Er will weder höhere Bußgelder noch konsequente Fahrverbote. Die Geschwindigkeit entscheidet jedoch über das Ob und das Wie eines Unfallgeschehens. Stattdessen macht sicher der Verkehrsminister für eine Fortführung oder gar den Ausbau von Steuer- und Gesetzesprivilegien für den Autoverkehr stark."
ÖPNV: Verdopplung der Fahrgastzahlen angestrebt
Um den Öffentlichen Nahverkehr ausbauen zu können, fordern die Verkehrsminister der Länder mehr Geld von Scheuer. Bund und Länder hatten das gemeinsame Ziel formuliert: Die Zahl der Fahrgäste im Nah- und Fernverkehr soll sich bis 2030 im Vergleich zu 2019 verdoppeln. Das Handelsblatt will aus Kreisen der Bundesländer erfahren haben, dass der Bund die Kosten in Milliardenhöhe allein tragen soll. Die Rede sei davon, die Mittel von heute rund neun auf 18 Milliarden Euro zu erhöhen.
In einem Forderungskatalog der Länder, aus dem das Handelsblatt zitiert, heißt es: Um doppelt so vielen Menschen transportieren zu können, müssten sie mit "sinnvollen Tarifmaßnahmen", einem besseren Angebot, mehr Fahrzeugen und Personal angelockt werden. Um die Kosten decken zu können, wollen die Länder eine dauerhafte Anhebung der Regionalisierungsmittel. Wie schwer ein verbessertes Angebot im ÖPNV ohne zusätzliches Geld umsetzbar ist, zeigt sich aktuell in Baden-Württemberg. Grüne und CDU hatten sich in den Sondierungsgesprächen auf eine "Mobilitätsgarantie" für die ÖPNV geeinigt. Von fünf Uhr morgens bis Mitternacht sollten alle Orte mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein. 600 Millionen Euro plant man dafür ein. Gleichzeitig soll es landesweit günstigere Tickets geben, was noch einmal mit 500 Millionen Euro zu Buche schlägt.
Um das finanzieren zu können, soll es den Kommunen erlaubt sein, eine Nahverkehrsabgabe einzuführen. Doch die Kommunen laufen Sturm, sie befürchten, dass CDU und Grüne die Kosten für den geplanten Ausbau des Nahverkehrs auf sie abwälzen. Es sei ein "ordnungspolitischer Sündenfall", wenn Busse, Bahnen und das benötigte Personal über eine kommunale Abgabe finanziert werden sollen, hatte Alexis von Komorowski, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, kürzlich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Es sei ein Landesprojekt und das Land müsse die Basisinfrastruktur finanzieren.
Bei der freiwilligen Nahverkehrsabgabe können die Kommunen entscheiden, ob sie alle Einwohner oder nur die Autofahrer zur Kasse bitten. Monatsbeiträge von zehn bis 57 Euro waren bei einem Modellversuch im Gespräch. Dem Bericht zufolge will das Land mit der Nahverkehrsabgabe rund 800 Millionen Euro in die Kassen der Kommunen spülen. Vor der Einführung warnen die Landkreise allerdings: Die Abgabe berge ein "hohes Erregungspotenzial", was der Akzeptanz bei den Bürgern abträglich sein dürfte.
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