Stolperdrähte für den Anti-Minen-Vertrag
Wie Rüstungskonzerne und Kriegsparteien das Abkommen von Ottawa unterlaufen
Im September wurde der Weg freigemacht für die weltweite Ächtung von Anti-Personen-Minen. Doch obwohl das Abkommen von Ottawa noch nicht einmal in Kraft getreten ist, haben seine Gegner schon Wege gefunden, es zu mißachten. Europäische Rüstungskonzerne finden Schlupflöcher in den Exportgesetzen. Die USA rechnen sich das Minenproblem schön. Und in Krisengebieten wie Angola wollen die Armeen nicht auf die strategisch wichtige Waffe verzichten.
Für die Mitarbeiter von Medico International kehrte ein Alptraum zurück. Die Ärzte und Soziologen der deutschen Hilfsorganisation konnten sich gerade über die Fortschritte ihres Projektes bei Luena im Osten Angolas freuen. Gemeinsam mit der Mines Advisory Group hatten die Deutschen den Ort von Landminen gesäubert und deren Opfer mit Prothesen versorgt.
Dann fing es wieder an. Der 11jährige Domingos Pedro brach an einem Freitagmorgen auf, um die Rinder seines Onkels zu hüten. Die Wiese am Rande von Luena galt eigentlich als von Minen geräumt. Ein lauter Knall und ein greller Blitz bewiesen den Irrtum. Der kleine Domingos verlor an jenem Tag sein linkes Bein und das Medico-Projekt die Hoffnung auf einen Fortschritt in Angola.
Berichte von neutralen Hilfsorganisationen beweisen es: Angola wird wieder vermint. Sowohl Regierungstruppen als auch ihre Gegner von der Unita-Bewegung rüsten seit Monaten für einen neuen Waffengang. Die Konsequenz ist für die Hilfsorganisationen frustrierend: die Arbeiten müssen eingestellt werden, jahrelange Bemühungen sind in wenigen Wochen zunichte gemacht. Viele geben nun auf. Cap Anamur hat sich bereits im März aus Angola zurückgezogen, die "Mines Advisory Group muß aufhören – und auch Medico International überlegt nun, die Zelte seines Camps in Luena für immer abzubrechen.
Zwar beteuern die beiden angolanischen Machtblöcke, daß nur ihre Gegner wieder Minen auslegen, aber "beide Seiten tun es auf jeden Fall", sagt Ulrich Tietze von Medico International. Die MPLA-Regierung verstößt so auch gegen den Anti-Minen-Vertrag von Ottawa, den sie noch im Januar selbst unterzeichnet hatte – denn auch geächtete Anti-Personen-Minen kommen zum Einsatz. Das Abkommen von Ottawa soll im März 1999 in Kraft treten. Die Situation in Angola wird zur ersten Bewährungsprobe für den Vertrag.
Das Ottawa-Abkommen
Im Januar 1998 einigten sich 126 Länder auf einer Konferenz in Ottawa auf die Ächtung von Anti-Personen-Minen. Das Abkommen sieht vor, daß sich die Unterzeichner dazu verpflichten, Minentypen einer bestimmten Machart in ihrem Land nicht zu verwenden, nicht zu produzieren und nicht weiterzugeben. Auch ihr Besitz ist strafbar. Drei der wichtigsten Nationen in Sachen Rüstung und Minenproduktion, die USA, Rußland und China, traten dem Abkommen nicht bei. Damit es in Kraft treten konnte, mußte das Ottawa-Abkommen von mindestens 40 nationalen Parlamenten ratifiziert werden, um Gesetzeskraft zu erlangen. Dies wurde Mitte September durch die 40.Unterschrift von Burkina Faso erreicht. Auch Deutschland hat das Abkommen bereits ratifiziert. Es erlangt nun am 1.März 1999 Gültigkeit.
Hauptdiskussionspunkt in Ottawa war die Definition des Begriffs "Anti-Personen-Mine". Die Umschreibung als Sprengkörper, die "hauptsächlich gegen Menschen gerichtet" sind, war humanitären Organisationen zu ungenau. Sie kritisieren, daß in Ottawa nur jene Typen von Landminen geächtet wurden, die ohnehin veraltet seien und deswegen von der Rüstungsindustrie gar nicht mehr hergestellt würden. Ausdrücklich ausgenommen von der Ottawa-Ächtung sind auch Anti-Panzer-Minen, weil sie sich nicht primär gegen Menschen richteten. Dagegen protestieren Anti-Minen-Kampagnen mit folgenden Argumenten: Anti-Panzer-Minen hätten häufig eine integrierte Anti-Personen-Mine als Räumschutz. Sie könnten auch nicht zwischen Panzern, Lkws und Schulbussen unterscheiden. Außerdem könne niemand sagen, ob moderne Minensysteme nicht auch als Terrorwaffe gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt würden.
Aber auch die Haltung der USA stellt Ottawa in Frage. Die Amerikaner verweigern sich nach wie vor dieser verbindlichen Ächtung. So ist es kein Zufall, daß US-Regierungsbeamte eine neue Minenstatistik genau in dem Augenblick präsentieren, in dem das Ottawa-Abkommen wieder in den Schlagzeilen ist. Die Weltmacht stellt lieber positive Zahlen in den Mittelpunkt. Denn nach Rechnung der USA sind weltweit mit einem Schlag rund 40 Millionen Landminen verschwunden. Doch diese Minen wurden nicht etwa von Hilfsorganisationen geräumt – sie bewältigen nur etwa hunderttausend Sprengkörper pro Jahr -, sondern die 40 Millionen wurden einfach weggerechnet. Anfang Oktober präsentierte die US-Regierung die Studie "Versteckte Killer 1998". Die Vorgängerstudie stammt aus dem Jahr 1994 und schätzte die Anzahl der weltweit ausgelegten Landminen auf bis zu 110 Millionen. Nun sprechen die Amerikaner nur noch von "60 bis 70 Millionen".
"In diesem Bericht haben wir versucht, eine zuverlässigere Schätzung zu bekommen, indem wir die Erfahrungen nationaler Programme stärker herangezogen haben, aber auch die Daten der UNO und der nicht-staatlichen Hilfsprojekte", erläutert der stellvertretende US-Minister für politische und militärische Angelegenheiten, Eric Newsom. Er begründet die zu hohen Zahlen aus dem 94er Bericht mit Schätzungen, die auf wenig Erfahrungen beruhten. Dieses Problem kennen die Hilfsorganisationen zwar auch, sie mißtrauen den US-Statistikern aber wegen ihrer Beweggründe. "Diese Zahlen könnten auch ein politischer Schachzug der USA sein", mutmaßt Mathias John von amnesty international.
Zahlen sind schon immer ein großer Stolperdraht im Zusammenhang mit Sprengfallen gewesen. Deprimierende Hochrechnungen machten in den vergangenen Jahren die Runde. Da war von mehreren Jahrtausenden die Rede, die es dauern soll, ehe die Erde von Minen befreit sei. Kein Wunder, kommen doch jährlich immer noch schätzungsweise zwei Millionen neu ausgelegter Minen hinzu. Aussichtslose Prognosen, deren Wirkung in die falsche Richtung gingen. So kündigte der Milliardär George Soros, ein wichtiger Förderer der Anti-Minen-Kampagnen, bereits im Dezember 1996 an, keinen Pfennig mehr für die Räumarbeiten zu geben, ehe diese nicht effektiver würden.
Die Kampagnen erkannten so die Notwendigkeit, nicht immer die pessimistischste Schätzung zu publizieren. Es fiel nicht schwer, denn teilweise waren die Fakten tatsächlich mehr als vage. "Die Glaubwürdigkeit solcher Schätzungen wurde einfach dadurch erhöht, indem sie regelmäßig wiederholt wurden", bestätigt Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit. Viele Experten stören sich mittlerweile an diesem Jonglieren mit Zahlen. Dazu zählt Laurie Bolden, beim Südafrikanischen Institut für internationale Angelegenheiten zuständig für die Minenforschung. Andere Dinge spielen nach ihrer Einschätzung eine größere Rolle: die Befreiung wichtiger Infrastruktur wie Straßen oder landwirtschaftlicher Nutzflächen. Auch sei es wichtiger, wie viele Minenunfälle es in einem Land noch gebe.
In Mosambik wird es zum Beispiel nach Boldens Einschätzung "keine Jahrzehnte" mehr dauern, ehe das Minenproblem unter Kontrolle ist. Wirtschaftlich wichtige Gebiete werden dort zuerst entmint, weniger wichtige zum Schluß. Ein Land könne schon vor der letzten geräumten Mine wieder ohne Probleme leben. Solch ein gezieltes Minenräumen setzt aber voraus, daß Konfliktparteien Auskunft über die von ihnen ausgelegten Sprengkörper geben. Und dabei treten andere Probleme auf. Denn manche Minen können statistisch nur schwer erfaßt werden, weil sie offiziell gar nicht existieren. Sie kommen aus Ländern, die keine Minen liefern – ein Problem, das zum Beispiel auch auf Angola zutrifft. Dort tauchen neben den üblichen Sprengkörpern aus Südafrika, Kuba, China oder Rumänien auch Minen aus deutscher Produktion auf. Und zwar nicht nur aus Beständen der DDR, die seinerzeit mit der Führung Angolas befreundet war, sondern auch Bundeswehr-Minen.
Nicht in Gerüchten, sondern in offiziellen UNO-Listen werden dabei die Anti-Personen-Mine DM-11 aufgeführt, die vom Nürnberger Rüstungskonzern Diehl für die Bundeswehr hergestellt wurde, und die DM-31 von den Industriewerken Karlsruhe. Diese beiden inzwischen geächteten Typen wurden in Angola, Mosambik, Sambia, Äthiopien, Eritrea und Somalia gefunden. Auf diese Fälle angesprochen, zuckt die scheidende Bundesregierung mit den Achseln, verweist darauf, daß deutsche Gesetze solche Exporte in Krisengebiete nicht zulassen und gibt sich ratlos darüber, wie die Minen nach Afrika gelangen konnten. Auf eine große Anfrage im Bundestag hin, räumte die Regierung ein, daß diese Minen "einem Bündnispartner für Erprobungszwecke" überlassen worden seien, und: "Ein befreundeter Staat erhielt Übungsminen und ein weiterer Panzerabwehrminen".
Bei dem Bündnispartner könnte es sich nach Recherchen von Experten um Finnland gehandelt haben, der "befreundete Staat" war vermutlich Israel. Außerdem gibt es Hinweise auf Indonesien. Dann verliert sich die Spur der Minen. Fakt ist, daß sie schließlich in den afrikanischen Kriegsgebieten auftauchten.
Es gibt jedoch auch Zweifel daran, daß die Bundesregierung dabei so ahnungslos ist, wie sie angibt. Thomas Küchenmeister, Fachmann für Waffenhandel und für Miseror und das Institut für internationale Politik tätig, besitzt Informationen aus Kreisen des Bundesnachrichtendienstes (BND), wonach die deutschen Schlapphüte bei einigen Lieferungen durchaus wußten, daß das Abnehmerland nur als Zwischenstation diente.
Ohnehin ist die deutsche Rüstungsexportkontrolle in der Vergangenheit aufgeweicht worden. Besonders die europäische Harmonisierung in der Wirtschaft lädt zu Manipulationen ein. Denn europäische Koproduktionen in der Rüstungsindustrie können sich das ihnen am freundlichsten gesinnte Teilnehmerland für die Genehmigung aussuchen. Zwar gibt es vage Kontroll-Übereinkünfte auf Ebene der Europäischen Union, doch die meisten NATO-Staaten betrachten Rüstungsexport immer noch als nationale Souveränität. Besonders Frankreich mit seiner eigenwilligen Außenpolitik würde sich kaum von Partnerstaaten vorschreiben lassen, welche Exporte es erlauben kann.
Zum Beispiel gibt es eine Gemeinschaftsproduktion im Munitionsbereich zwischen der deutschen Daimler-Benz-Aerospace (Dasa) und dem französischen Konzern Thompson. Die Dasa liefert Komponenten nach Frankreich, dort wird alles zusammengefügt, und Paris genehmigt schließlich den Export. So bleibt die deutsche Rüstungskontrolle außen vor.
Solche Methoden sind in der EU kein Einzelfall. Rüstungsexport boomt in der europäischen Wirtschaft. Nach Angaben des Stockholmer Instituts für Friedensforschung SIPRI stieg der EU-Anteil am weltweiten Umsatz mit Rüstungsgütern zwischen 1987 und 1997 von 15 auf 28 Prozent. Und von den 700 verschiedenen Minen-Typen werden sogar nach US-Statistik 43 Prozent in der EU hergestellt.
Auch bei Minen liegen europäische Gemeinschaftsproduktionen im Trend. Die Panzerabwehrrichtmine Arges wird derzeit entwickelt von den deutschen Firmen Dynamit Nobel und Honeywell Regeltechnik, der französischen Giat und dem britischen Betrieb Hunting. Es ist abzusehen, daß eine Genehmigung für den Export in Frankreich beantragt wird. Nicht einmal die Bundesregierung macht aus diesem Problem einen Hehl. "Die Angleichung der Ausfuhrkontrollpolitiken der EU-Staaten wird nur in einem längerfristigen Prozeß erreichbar sein", ließ sie in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage verlautbaren. Und auch die Prognose der Regierung verspricht keine Besserung: "Die Beratungen gestalten sich aufgrund divergierender nationaler Interessen schwierig und werden nur langsam vorankommen.
Doch mit der Minenproduktion sind die Möglichkeiten, an den Sprengfallen zu verdienen, nicht erschöpft. Oftmals haben dieselben Firmen auch Geräte zur Minenräumung in ihrer Produktpalette – so die deutschen Unternehmen Diehl, Rheinmetall und Dasa. Das Außenministerium stellte der Firma Diehl zwei Millionen DM zur Verfügung, um den Räumpanzer "Minebreaker 2000" zu erproben. Dessen Einsatz wird auch in Angola erwogen. So könnte dort ein Diehl-Produkt die vor Jahrzehnten produzierten Diehl-Minen wieder entfernen. Experten sehen darin auch die Gefahr, daß die Firmen ihre neuen Minen gegen ihre eigene Räumtechnik unanfällig machen, um dann wieder verbesserte Räumgeräte verkaufen zu können.