Streik in Venezuela

Interview mit Rodrigo Chaves, nationaler Koordinator der Bolivarianischen Zirkel

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Der vierte Generalstreik in Folge der venezolanischen Opposition in weniger als zwölf Monaten, um Präsident Hugo Chavez zum Rücktritt zu zwingen, ist weitgehend gescheitert. Laut Angaben der Regierung aber auch zahlreicher unabhängiger Beobachter, wurde der gemeinsame Streikaufruf des Unternehmerverbandes Fedecameras und des rechten Gewerkschaftsverbandes "Confederación de Trabajadores de Venezuela" (CTV) an der ersten drei Tagen - 2., 3. und 4. Dezember - nur zu etwa 15% befolgt und selbst dabei handelte es sich in vielen Fällen tatsächlich um Aussperrungen.

Am dritten Tag griff die Opposition jedoch zunehmend zu Gewalt. Einem Aufruf des Unternehmerverbandes folgend, gingen Tausende Oppositionelle auf die Strasse, griffen tätlich Geschäftsinhaber an, die sich nicht am Streik beteiligten, verbrannten Busse und bauten Barrikaden. Bei Sabotageaktionen der Opposition kamen bisher auch einige Menschen zu Tode, wie etwa als die Stadtautobahn von Caracas an einer Stelle mit Schmieröl übergossen wurde. Die Sabotageakte zielen aber vorwiegend auf die Erdölproduktion, die 70% der Staatseinnahmen ausmacht und in den ersten Tagen nicht erfolgreich bestreikt werden konnte. Angesichts des Scheiterns der Streiks, rief die Opposition zu einer Verlängerung und Intensivierung der Aktionen auf.

Während der oppositionelle TV-Sender Globovision - der aufgrund seiner putschistischen Umtriebe im Volksmund "golpevisión" - genannt wird, bereits am Sonntag auf seiner Webseite ein Foto von leeren Stadtautobahnen mit Datum 2. Dezember präsentierte, um so das Scheitern des Streiks zu beweisen, waren die Strassen Venezuelas tatsächlich voll. Vom Streik war kaum etwas zu sehen, im Gegenteil, eng drängten sich Hunderttausende, um zur Arbeit zu gelangen oder die ersten vorweihnachtlichen Einkäufe zu tätigen. Der Streik konzentrierte sich letztlich im wesentlichen auf Privatschulen, Geschäfte in den wohlhabenden Vierteln Caracas und einige größere Fabriken sowie Einkaufszentren, in denen die Arbeiter faktisch von den Unternehmern ausgesperrt wurden. Selbst im Erdölsektor, der als Hochburg der Opposition gilt, fand der Streik nur unter den höheren Angestellten statt, während Förderanlagen, Raffinerien und Export weiterhin reibungslos arbeiteten. Damit zeigte der aktuelle Streik die niedrigste Beteiligung aller bisherigen Streiks, mit denen die rechte Opposition versuchte, die linke Regierung des Präsidenten Hugo Chavez aus dem Amt zu hebeln.

Rodrigo Chaves ist nationaler Koordinator der Bolivarianischen Zirkel, einer Organisation zur Unterstützung der bolivarianischen Revolution in Venezuela.

Welche Interessen haben der Arbeitgeberverband, die rechten Parteien und der rechte Gewerkschaftsverband?

Rodrigo Chaves: Venezuela hat eine sehr hohe Marginalisierungsrate, denn obwohl es ein sehr reiches Land ist, wurde es von sehr kleinen wirtschaftlichen und politischen Gruppen verwaltet. Dann kam es zu einem Bewusstseinsprozess der Ausgeschlossenen, der schließlich Hugo Chavez Frias ins Präsidentenamt brachte. Daraufhin begann der Wiederaufbau eines völlig ausgeplünderten und verelendeten Staates, der Prozess der Wiedererlangung des Selbstbewusstseins der Bevölkerung, der Achtung des "Bürger sein", der Aufbau eines Rechtsstaates und sozialer Gerechtigkeit, die Verteilung der staatlichen Ressourcen zu Gunsten der gesamten Bevölkerung und nicht nur zu Gunsten sozialer Eliten. Das hat denjenigen natürlich nicht geschmeckt, die während ihrer Demokratie über 400 Milliarden Dollar aus dem Land gesaugt hatten, die den Großteil der staatlichen Betriebe zu Grunde richteten und privatisierten, die alles für den Neoliberalismus und die kapitalistische Globalisierung vorbereiteten.

Seit Wochen hat sich eine Gruppe am Putsch beteiligter Militärs in Uniform auf einem Platz versammelt und ruft zum Sturz der Regierung auf. Warum wird nicht eingegriffen?

Rodrigo Chaves: Das muss im internationalen Kontext betrachtet werden. Es stimmt wohl, dass so etwas nirgendwo auf der Welt erlaubt werden würde, aber wir wissen genau, dass dann, wenn wir dort eingreifen würde, dies sofort für viele Staaten, die US-amerikanischen Interessen folgen, ein Grund wäre, Maßnahmen gegen Venezuela zu ergreifen. Es wird ständig versucht, irgendwelche vermeintlichen Gründe für ein Vorgehen gegen Venezuela zu finden.

Auch gegen die offensichtlichen Falschmeldungen der Fernsehsender, die ja sogar den Putsch medial inszenierten, wird nichts unternommen...

Rodrigo Chaves: Venezuela ist wahrscheinlich das Land mit der weitgehendsten Pressefreiheit in der Welt und dennoch sind wir bei dem Internationalen Presse Institute unter Beobachtung. Man kann sich vorstellen, was passieren würde, wenn wir eine Zeitung anrühren oder auch nur einem Journalisten etwas tun würden! Und das in einem Land, in dem es vorher durchaus üblich war, Zeitungen zu schließen und Journalisten zu verhaften, die sich gegen die Regierung äußerten. Heute, wo es das nicht mehr gibt, wird behauptet, es gäbe keine Pressefreiheit. Das ist Folge des Medienzirkus, der das Land auch vieler Möglichkeiten beraubt, dem Gesetz nach vorzugehen. Aber das sind Etappen des Prozesses.