Streit um Bergkarabach und die Krim: Sezession ist nicht gleich Sezession

Seite 2: Völkerrechtliche Beurteilung der Krim-Annexion

Der Anschluss der Krim an Russland wird mehrheitlich als völkerrechtswidrige Annexion eingestuft. Begründet wurde das maßgeblich damit, dass bei dem Referendum über den Anschluss der Krim an Russland gegen Völkerrecht verstoßen worden sei. Auf diese Abstimmung, die am 16. März 2014 stattfand, folge der Abschluss eines Vertrages über die Eingliederung der Halbinsel in die Russische Föderation.

Bereits am 27. März 2014 verabschiedete die UN-Generalversammlung die Resolution 11493, in der sie alle Staaten aufrief, den auf das Referendum folgenden Gebietswechsel nicht anzuerkennen. Eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrats konnte nicht verabschiedet werden, da Russland von seinem Veto-Recht Gebrauch machte, um die Verabschiedung zu verhindern.

In erster Linie bestehe, so Vertreter der UN, in dem Referendum ein Verstoß gegen die territoriale Integrität der Ukraine und damit gegen Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta. Ein Verstoß gegen die territoriale Integrität eines Staates besteht dann, wenn ein Angriff von außen auf den Staat verübt wird und nicht aus dem Staatsinneren kommt.

Der Angriff auf die ukrainische territoriale Integrität erfolgte durch Russland und damit von außen. Als Angriff aus dem Inneren hätte allenfalls ein Sezessionsrecht der Krim-Bewohner gelten können. Dieses (oben erläuterte) Notfallrecht würde neben der Eigenschaft als Volk aber auch voraussetzen, dass die Sezession auf einem freien und fairen Verfahren und unter friedlichen Bedingungen stattgefunden hat. Diese Verfahrensvoraussetzungen lagen aber bei dem Referendum im Jahr 2014 nicht vor.

Die Abstimmung über den Anschluss der Halbinsel an Russland wurde von russischem Militär kontrolliert und überwacht. Administrative Gebäude waren von russischen Truppen besetzt worden.

Von der Omnipräsenz russischen Militärs ging zumindest indirekt die Drohung der Anwendung militärischer Gewalt aus. Neben der unfreien Abstimmungssituation selbst waren auch die Abstimmungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Denn die Option, für eine Unabhängigkeit der Krim zu stimmen, gab es nicht.

Völkerrechtswidrig war auch die kurze Zeitspanne zwischen Ankündigung und Durchführung des Referendums, die nur zehn Tage umfasste und eine selbstbestimmte Willensbildung der Abstimmenden erschwerte. Überdies waren auch keine objektiven Wahlbeobachter anwesend, die die Transparenz des Referendums bestätigen konnten.

Damit fand das Referendum zum Anschluss der Ukraine an Russland unter völkerrechtswidrigen Bedingungen statt und bewegte sich auch nicht im Rahmen einer völkerrechtlich zulässigen Sezession. Vielmehr handelte es sich um eine Annexion.

Unter einer Annexion versteht man die "gewaltsame Ergreifung und Einverleibung von Gebiet", die gegen das in der UN-Charta normierte Gewaltverbot verstößt. Charakteristisch für Annexionen war und ist es, dass sie unter dem Vorwand geleugnet werden, auf eine demokratische Entscheidung zurückzugehen.

Entscheidungen für den Anschluss eines Gebietes an einen Staat werden zwar getroffen, allerdings unter Bedingungen, unter denen eine selbstbestimmte Entscheidung für die Wahlberechtigten nicht mehr möglich war. Das war auch im Falle der Krim-Annexion zu beobachten.

Gesamtbetrachtung

Die beiden in diesem Artikel beleuchteten Regionen müssen völkerrechtlich sehr unterschiedlich beurteilt werden. Lehrbuchfälle sind beide Konflikte nicht, was angesichts ihrer Komplexität nicht verwunderlich sein dürfte.

Im Falle Bergkarabachs steht ein Unabhängigkeitsbestreben der Region selbst im Vordergrund, das an dem Bestreben Aserbaidschans nach territorialer Integrität scheiterte. Die völkerrechtlichen Begründungen sind zwar unterschiedlich, argumentativ spricht aber vieles dafür, dass Bergkarabach völkerrechtlich als Teil Aserbaidschans zu betrachten ist.

Völkerrechtsverletzungen haben im Laufe des Konfliktes mit hoher Wahrscheinlichkeit stattgefunden, allerdings nicht zu einer territorialen Neuzuordnung geführt.

Im Falle der Krim hingegen wird die Lage von internationalen Beobachtern eindeutiger bewertet. Die Staatengemeinschaft der UN geht fast geschlossen davon aus, dass sich Russland die Halbinsel unter völkerrechtswidrigen Bedingungen einverleibt hat.

Die Rechtfertigung, der Anschluss der Krim basiere auf einem demokratischen Referendum, scheitert an den völkerrechtswidrigen Umständen, unter denen dieses stattfand. Der Anschluss der Krim an Russland wird bis heute überwiegend nicht anerkannt.

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