Täglich Drohnen und Raketen auf die Krim
Angeblich getöteter Flottenkommandant taucht auf staatlich-russischen Videos auf. Die Nervosität auf der Halbinsel nimmt zu. Das sind die Gründe.
Der spektakuläre Drohnenangriff auf das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte vom letzten Freitag war nur eine von vielen gleichartigen Attacken auf die umkämpfte Halbinsel Krim. Diese setzen sich bis heute fort. Aus Sewastopol, wo sich die getroffene Einrichtung befand, berichtete der russische Gouverneur bereits drei Tage später von einem neuen Angriff, dieses Mal durch eine Rakete.
Ein weiteres Geschoss traf am selben Tag den russischen Flugplatz Belbek auf der Krim. Berichtet wird, dass mittlerweile alle Flugzeuge der russischen Luftstreitkräfte von der Halbinsel abgezogen wurden. Eine offizielle Bestätigung gibt es - wie bei allen in diesem Krieg unangenehmen militärischen Dingen, nicht.
Angeblich getöteter Admiral noch am Leben?
Gemeldet wurde nach dem Einschlag im Flottenhauptquartier von ukrainischer Seite, dass dabei auch der Kommandeur der russischen Schwarzmeerflotte, Admiral Viktor Sokolov, getötet worden sei. Diesen zeigte die regierungsnahe russische Nachrichtenagentur RIA Novosti aber am gestrigen Dienstag recht munter bei einer Sitzung des russischen Verteidigungsministeriums.
Lesen Sie auch:
Ukraine-Krieg: Wie eng wird es für Russland?
Das veranlasste in Deutschland zahlreiche Unterstützer Kiews in den Sozialen Medien zur Behauptung, die Aufnahmen seien älteren Datums. Von der aktuellen Sitzung wurden jedoch auch auf dem Telegram-Kanal des Verteidigungsministeriums selbst zahlreiche Fotos gezeigt, auf denen noch viele weitere Beteiligte zu sehen sind. Die letzte Klarheit aus dem Kreml fehlt allerdings, weil dessen Sprecher Dmitri Peskow bei allen Fragen zu Sokolovs Schicksal auf das Verteidigungsministerium verwies.
Der Anschlag auf das Flottenhauptquartier soll gemäß ukrainischen Geheimdienstinformationen neun Tote und 16 Verletzte gefordert haben. Die hohe Anzahl der Opfer resultiert nach den Worten von Kyrylo Budanov, dem Leiter des militärischen Nachrichtendienstes der Ukraine, gegenüber dem US-Auslandssender Voice of America daraus, dass dort zum Zeitpunkt des Angriffs eine Stabsbesprechung stattgefunden habe.
Nicht mitgezählt hat Budanov den Admiral, dessen Tod er nicht bestätigen könne. Belegt ist aus russischen Quellen, dass in Folge des Einschlags die Gasversorgung des Stadtzentrums von Sewastopol zwei Tage ausfiel.
US-Aufklärung und Raketenlieferungen verbreiten Unruhe
Nicht nur derartige Angriffe verbreiten Unruhe auf der Halbinsel. Unlängst meldete die russische Tageszeitung Kommersant, die Zahl der US-Aufklärungsflüge nahe der Krim habe sich seit Jahresbeginn verdreifacht. Allein vom 18. bis zum 24. September seien 21 mal US-Aufklärungsflugzeuge und strategische Drohnen unweit der Krim gesichtet worden, die meisten unmittelbar vor dem Angriff auf das Flottenhauptquartier.
Die russische Zeitung Nesawisimaja Gaseta stellt dazu fest, dass Kiew nun auch über mehr westliche Raketen verfügt, um die Brücke zwischen der Krim und dem russischen Mutterland erneut anzugreifen. Russland verstärke auch wegen solcher Gefahren aktuell die eigenen Angriffe auf den ukrainischen Hafen Odessa. Dort gehören allerdings auch die ukrainischen Getreideexport zu den Angriffszielen.
Dementsprechend wandelt sich das Klima auf der Halbinsel, auf der die Mehrheit der Bevölkerung sich zu Russland zugehörig fühlt, in einen zunehmenden Belagerungszustand. Hierdurch geraten von den Einheimischen vor allem diejenigen in Bedrängnis, die mit der russischen Invasion nicht einverstanden sind. Die exilrussische Onlinezeitung Verstka berichtet, dass die Krim bei Verfahren wegen einer sogenannten "Diskreditierung der Streitkräfte" zu den Top-Regionen in Russland gehöre.
Klima der Denunziation gegen mutmaßliche Kriegsgegner
Kriegsgegner, die ihre ablehnende Meinung kundtun, werden nach dieser Vorschrift nicht nur vor Gericht gestellt. Auf der Krim würden zusätzlich Entschuldigungsvideos an die "Bürger Russlands" abgepresst. Während sonst in Russland nur aktive Kriegsgegnerschaft zu Problemen mit der Strafverfolgung führe, reiche auf der Krim schon das Hören ukrainischer Musik, das Posten ukrainischer Fotos oder das Tragen von Bekleidung im ukrainischen Stil.
Aufgedeckt würden Abweichler durch das systematische Durchforsten von Social Media Seiten durch die Polizei und den Inlandsgeheimdienst FSB, aber auch durch Denunziationen anderer Krim-Bewohner. Sogar ein eigener Telegram-Kanal namens "Crimean Smersh" sei für diesen Zweck eingerichtet worden. Die Zeitung belegte ihre Angaben durch zahlreiche ihr bekannte Einzelfälle, etwa Geldstrafen wegen Antikriegsäußerungen in persönlichen Gesprächen.