Streit um den Gene Drive gewinnt an Schärfe

Bild: PLoS Biology/CC BY-4.0

Zweifel an der Beherrschbarkeit eines Gene Drive erhalten neue Nahrung, doch die Gates-Stiftung stemmt sich gegen ein Moratorium

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Der Gene Drive ist ein zweischneidiges Schwert: Er könnte Krankheiten und invasive Arten ausrotten, aber auch empfindlichen Ökosystemen schweren Schaden zufügen. Nutzen und Risiken scheinen gleichermaßen hoch. Soll die Entwicklung dennoch weitergehen? Forscher sind geteilter Meinung, während die Öffentlichkeit das Problem weitgehend ignoriert. Eine zweifelhafte Aktion der Bill & Melinda Gates Foundation droht nun, die Debatte zu polarisieren, bevor sie richtig angefangen hat.

Dabei war es anders geplant. Bereits im Jahr 2014 hatten Wissenschaftler eine öffentliche Diskussion eingefordert (Gene Drive: Ein Eingriff in das Erbgut frei lebender Organismen), und der Zeitpunkt schien gut gewählt: Der Gene Drive war im Wesentlichen noch ein Gedankenspiel, dessen Verwirklichung noch eine Weile entfernt schien. Sein immenses Potenzial beruht auf einem genetischen Element, das sich innerhalb weniger Generationen in Populationen durchsetzen kann, und dabei fast nach Belieben bestehende Gene verändert oder neue hinzufügt. Das Erbgut freilebender Tierarten wäre damit offen für eine Manipulation durch den Menschen.

Gegen Malaria und invasive Arten

Zu Anfang herrschte der Konsens, dass ein Gene Drive nur bei außergewöhnlichen Bedrohungen in Frage käme. Als Beispiel dient fast immer die Malaria, für deren Bekämpfung Moskitos ausgerottet oder zumindest als Überträger ausgeschaltet werden sollen. Auch für invasive Arten schien eine Anwendung denkbar: Neuseeland etwa wird von Ratten und anderen Eindringlingen heimgesucht, die seine einzigartige Tierwelt an den Rand des Aussterbens bringen.

Die US-Wissenschaftler Kevin Esvelt und George Church gehörten zu den Ersten, die das Thema an die Öffentlichkeit trugen und eine breite Diskussion einforderten. Und auch in puncto Lernfähigkeit gehen sie mit gutem Beispiel voran: Die Anwendung eines Gene Drive für die Ausrottung invasiver Arten - anfangs von ihnen wohlwollend in Betracht gezogen - halten sie heute für einen Fehler.

Auslöser dieses Sinneswandels war ein mathematisches Modell, mit dem Forscher um Esvelt und Church das Verhalten eines Gene Drives in der freien Natur simulierten. Im November 2017 wurden die Resultate publiziert, verknüpft mit einer deutlichen Warnung: Ein Gene Drive würde sich wohl auch dann ausbreiten, wenn die Freisetzung auf einer isolierten Insel stattfindet.

Angesichts der hohen Effizienz des Gene Drive - im Labor kann ein Elternteil das Element an bis zu 99 % der Nachkommen vererben - wäre diese Sicherheitsmaßnahme letztlich wirkungslos. Selbst eine suboptimale Variante, die nur auf 50 % der Nachkommen übertragen wird, würde sich rasch in einer Population ausbreiten. Zehn in die Natur freigelassene Tiere könnten dazu schon ausreichen.

Eine isolierte Insel schützt nicht vor Ausbreitung

Auch der Einwand, das ein Gene Drive fast unvermeidlich durch das Aufkommen von Resistenzen behindert wird, ändert wenig an dieser Schlussfolgerung. Die Modellrechnung zeigt, dass eine Resistenz vermutlich die Ausrottung einer Tierart verhindern könnte, aber nicht die Ausbreitung des Elements in einen signifikanten Anteil der Population. Auch unter ungünstigen Bedingungen würde ein Gene Drive wohl eine große Zahl von Tieren verändern und sich Dutzende von Generationen in der Population halten.

Zur Ausbreitung in andere Regionen ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. In dem Modell reicht es aus, dass in jeder zweiten Generation ein einzelnes Tier von der isolierten Insel entkommt, um den Gene Drive zu verbreiten. Daneben droht eine weitere Gefahr - die aktive Übertragung durch Menschen. Neuseeland selbst liefert dafür das passende Beispiel: Im Jahr 1997 haben Farmer auf eigene Faust einen tödlichen Virus eingeführt, um der Kaninchenplage Herr zu werden. Die Haltung der Behörden, welche eine kontrollierte Einführung erwogen, aber letztlich verworfen haben, war ihnen zu zögerlich.

Ob nun versehentlich verschleppt oder bewusst ausgesetzt: Die Gefahr, dass ein Gene Drive sich unkontrolliert ausbreitet, ist immens. Diese Erkenntnis hat zumindest bei Church und Esvelt einen Meinungswandel ausgelöst, so dass sie nun den Einsatz bei der Bekämpfung invasiver Arten grundsätzlich ablehnen. Ob ihr Beispiel jedoch Schule macht, darf bezweifelt werden.

Kirschfliegen statt Stechmücken

Einflussreiche Institutionen werden wohl vorerst ihren Kurs nicht ändern. Die US-Akademie der Wissenschaften befürwortet weiterhin, Gene Drives auf isolierten Inseln zu testen. Finanzstarke Geldgeber haben Anfang Dezember 2017 neue Richtlinien veröffentlicht, die eine verträgliche Entwicklung von Gene Drives ermöglichen sollen; die Ausrottung invasiver Arten bleibt dabei explizites Ziel.

Unabhängige Organisationen wie Island Conservation wollen lieber heute als morgen mit ersten Tests beginnen (Gene Drive demnächst auch für Mäuse). Und kalifornische Farmer finanzieren finanzieren die Entwicklung eines Gene Drive gegen einen Schädling, der ihre Kirsch-Ernte bedroht. Die eingeschleppte Fliege verursacht allerdings nur finanziellen Schaden - der Konsens, dass ein Gene Drive nur bei außergewöhnlichen Bedrohungen zum Einsatz kommt, scheint damit obsolet.

Eine öffentliche Diskussion ist daher überfällig. Doch die Aufforderung von 2014 verhallte fast ungehört, und bis heute ist das Thema im Bewusstsein der Öffentlichkeit nicht angekommen. Der deutsche Ethikrat ergriff die Initiative und hat im Oktober 2017 eine eigene Tagung zu Gene Drives organisiert - das Echo blieb jedoch höchst bescheiden.

Umstrittenes Moratorium

Die Vereinten Nationen wollen nun konkrete Richtlinien erarbeiten, die das Risiko der synthetischen Biologie für die Umwelt begrenzen. Eine Arbeitsgruppe hatte Mitte 2017 ein Online-Forum geschaltet, in dem Experten ihre Meinung und Vorschläge einbringen konnten. Gene Drives waren ein wichtiges Thema, denn die Zeit drängt: Der Ruf nach einem Moratorium - im Jahr 2016 noch abgeschmettert - wird daher zunehmend lauter.

Diese Aussicht hat offenkundig bei der Bill & Melinda Gates Foundation große Unruhe ausgelöst. Die Stiftung, finanziert aus dem Milliardenvermögen des Windows-Gründers, will mit dem Gene Drive eines ihrer Hauptziele verwirklichen - die Ausrottung der Malaria. 75 Millionen US-Dollar stehen bereit, um die Entwicklung eines geeigneten Konstrukts zu fördern. Ein Moratorium würde diese Pläne durchkreuzen.

Folglich engagierte die Gates-Stiftung für 1,6 Millionen Dollar eine PR-Agentur, die eine Gegenkampagne organisieren sollte. In den USA hat ein Aktivist die Freigabe von E-Mails erstritten, die Einblick in diese Lobbyarbeit geben (https://www.independentsciencenews.org/news/gates-foundation-hired-pr-firm-to-manipulate-un-over-gene-drives/). Wissenschaftler wurden gezielt aufgefordert, sich auf dem Online-Forum zu engagieren und weitere Kollegen zu rekrutieren. Die Agentur lieferte dazu Zusammenfassungen der laufenden Diskussion und wies auf Themen hin, bei denen sie entsprechende Wortmeldungen für wünschenswert hielt.

Manipulative Lobbyarbeit oder legitime Meinungsäußerung?

Befürworter des Moratoriums reagierten empört. Sie werteten dies als Versuch, hinter dem Rücken der Öffentlichkeit die Ausgestaltung der Richtlinien zu beeinflussen. Die beteiligten Wissenschaftler konnten die Aufregung jedoch nicht verstehen: Eine Online-Diskussion unter Experten mache schließlich nur Sinn, wenn Experten auch daran teilnehmen. Und deren Mobilisierung sei das Ziel der Kampagne gewesen.

Wo die Grenze zwischen legitimer Unterstützung und manipulativer Einflussnahme verläuft, ist schwer zu entscheiden. Aber egal wie man diesen Vorgang bewertet, ein schlechter Beigeschmack bleibt: Die Methoden von Lobbyisten sind sicherlich fehl am Platz, wenn grundsätzliche gesellschaftliche Fragen zur Diskussion stehen. Vor allem, weil es der PR-Agentur nicht um eine ergebnisoffene Debatte ging, sondern um das Durchsetzen eines klaren Ziels - das Moratorium zu verhindern.

Es trägt auch nicht zur Beruhigung bei, dass eine Institution des US-Militärs zu den wichtigsten Sponsoren des Gene Drives gehört. Die DARPA soll Technologien fördern, die für die Sicherheit der USA wichtig sind, und hat dabei auch viele zivile Anwendungen ermöglicht (Stichwort Internet). Aber viele hegen den Verdacht, dass es ihr eigentlich um die Erforschung von Biowaffen geht. Ob ein Gene Drive bei der Kriegsführung nützlich ist, ist jedoch mehr als fraglich, und der DARPA scheint es vor allem um die Abwehr von Bioterrorismus zu gehen. Doch über dem Gene Drive liegt seitdem ein schwerer Schatten.

Alte Fehler wiederholen sich

Diese Entwicklung erinnert sehr an den Beginn der Gentechnik-Diskussion. Damals waren es große Konzerne mit zweifelhaftem Ruf, die aus reinem Gewinnstreben die Welt vor vollendete Tatsachen stellten. Die Öffentlichkeit zeigte sich überrumpelt und reagierte mit Ablehnung. In Deutschland haben sich seitdem zwei unversöhnliche Lager gebildet, deren Argumente von der anderen Seite kaum noch gehört werden. Die Diskussion steckt in einer ideologischen Sackgasse fest.

Droht nun der Debatte um den Gene Drive ein ähnliches Schicksal? Der Zeitpunkt scheint verpasst, an dem eine unbelastete Diskussion über Nutzen und Risiken noch möglich wäre. Die Lager beginnen sich wieder zu spalten, die Fronten formieren sich an altbekannten Grenzlinien. Uns droht wohl erneut ein Streit, der niemandem weiterhilft.

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