Streng gläubig und stramm rechts

Der "Wahrheits-Truck" - bei der plakativen Selbstdarstellung der religiösen Rechten sind die USA wegweisend. Bild: Ibagli / gemeinfrei

Nicht nur in den USA, auch in Deutschland ist die christliche Rechte auf dem Vormarsch

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Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Sommer 2017 ankündigte, ab 2019 die Evolutionstheorie aus den Schulplänen streichen zu wollen, haben wir alle ganz tief eingeatmet. Doch Erdoğan ist mit seiner Ansicht nicht allein, denn laut einer Umfrage lehnen 70% der Befragten in der muslimisch geprägten Türkei die Evolutionstheorie nach Charles Darwin ab.

Doch wir müssen gar nicht in die Türkei schauen, denn auch hierzulande gibt es Menschen, die wissenschaftliche Erkenntnisse ablehnen oder so zurechtbiegen, dass die Erde wieder zur Scheibe wird: Sie halten fest an der biblischen Darstellung, nach der Gott die Erde in sieben Tagen schuf - und zwar vor 6.000 Jahren.

"Kreationismus" nennt sich diese Glaubensrichtung und ist eine Spielart des christlichen Fundamentalismus. Die modifizierte Form ist, dass die Erde älter ist, aber Gott vor 6.000 Jahren die Menschen schuf.

Die wurden bislang allenfalls als Spinner abgetan, der christliche Fundamentalismus insgesamt nicht weiter ernst genommen. Doch spätestens seit dem "Marsch der Frauen" im Januar 2018 in Berlin ist klar: Völkisches Denken paart sich mit christlichem Fundamentalismus, Rechte bieten z. B. Lebensschützerinnen eine Bühne, und der christliche Fundamentalismus bekommt plötzlich eine ganz neue gesellschaftliche Dimension. Dieser Eindruck täuscht, denn Kreationisten z.B. unterhalten schon lange Schulen in Deutschland, das Problem ist also nicht neu.

Christlicher Fundamentalismus spiegelt sich z. B. im AfD-Programm wieder, u.a. im Hinblick auf die Ablehnung der Ehe für Alle, die Haltung zur Homosexualität insgesamt oder auch die Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen. Letztere ist allerdings nicht nur der AfD vorbehalten, sondern mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist sie Regierungsprogramm.

Mit dem Christentum ist es nicht anders wie mit dem Verhältnis zwischen Islam und Islamismus: Ohne den Katholizismus hätte es weder Inquisition noch Hexenverbrennung gegeben und es gibt keinen Katholizismus ohne Inquisition und Hexenverbrennung. Es gibt höchstens Theologen und Gläubige, die sich von beidem distanzieren. Zeit also, sich mal mit den christlichen Kirchen zu beschäftigen, denn die haben auch in "Friedenszeiten" starke Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Sehr viel stärker, als wir gemeinhin glauben.

Und der erstarkende christliche Fundamentalismus, dem die AfD auch eine parlamentarische Bühne bietet, ist eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie und erkämpfte Rechte, nicht nur im Hinblick auf die Möglichkeit des straffreien Schwangerschaftsabbruchs.

Der Publizist Lucius Teidelbaum hat sich in dem Band "Die christliche Rechte in Deutschland - Strukturen, Feindbilder, Allianzen", erschienen im Unrast Verlag, ihrer angenommen und liefert darin einen kurzen, griffigen und gut verständlichen Überblick über die verschiedenen Denkrichtungen, Strömungen, Organisationen sowie deren Akteure und Protagonistinnen. Auf knapp 100 Seiten ist das Thema natürlich nicht erschöpfend behandelt. Aber das Büchlein bietet eine fundierte Grundlage, sich intensiver mit diesem oder jenem Spektrum zu befassen. Und Teidelbaums differenzierte Darstellung spornt dazu an.

Der Ursprung des religiösen Fundamentalismus

"Während in der Öffentlichkeit ständig die Rede vom Djihadismus, Islamismus oder gar von 'dem Islam' ist, fliegt der christliche Fundamentalismus in Deutschland immer noch weitgehend unterhalb des Radars der öffentlichen Aufmerksamkeit. Manche Kommentator*innen fühlen sich zwar genötigt, bei der Erwähnung des politischen Islam oder Islamismus noch hinzuzufügen, dass es entsprechendes auch unter ChristInnen gibt, doch eine inhaltliche Kritik folgt darauf kaum", führt Teidelbaum in seinem Band aus, der "die Lücke schließen" soll, dass eine "leicht verständliche und aktuelle Einführung für Nichtkundige in dieses Thema offenbar ganz fehlt". Diesem Anspruch ist er gerecht geworden.

Was den in diesem Satz enthaltenen Vorwurf angeht: Es steht dem Autor ja frei, seinerseits ein Grundlagenwerk zum fundamentalen Christentum zu verfassen. Allerdings hat er nicht ganz Unrecht, für meinen Geschmack wäre es wünschenswert, gäbe es nur annähernd so viele Christinnen und Christen, die sich kritisch mit dem Gebaren der großen Kirchen und auch dem christlichen Fundamentalismus auseinandersetzen - und zwar ganz ausdrücklich aus der Position der/des Gläubigen oder zumindest christliche Geprägten heraus, wie es muslimische oder muslimisch geprägte Islamkritikerinnen und Islamkritiker gibt.

Zu den von Teidelbaum Gescholtenen zähle auch ich mich. Wobei ich den Vorwurf gleich wieder von mir weisen möchte, denn mein Beweggrund für meine Kritik am Islam, ja, am "Islam", ist nicht dessen Ablehnung, weil er so exotisch ist, sondern feministisch motivierte Religionskritik, die mich mein ganzes Erwachsenenleben lang begleitet.

So exotisch ist der Islam nämlich gar nicht und er ist dem Christentum ähnlicher, als uns bewusst ist. Was nahe liegt, denn das alte Testament ist der Ursprung der abrahamitischen Religionen. In meinem voraussichtlich im Frühsommer erscheinenden Buch Das Scharia Kartell - fundamental islamische Netzwerke in Deutschland setze ich deshalb den Islam zum Christentum ins Verhältnis.

Und, zur Beruhigung des Kollegen Teidelbaum, der erste Satz dieses Buches lautet:

Eins vorweg: Ein Buch, das sich kritisch mit dem nicht nur in den USA erstarkenden christlichen Fundamentalismus und den Auswirkungen der Politik des Vatikans sowie dem Einfluss der Kirchen in Deutschland kritisch auseinandersetzt, könnte - und müsste sogar dringend - ebenfalls geschrieben werden.

Das Scharia Kartell

Grundsätzlich lässt sich sagen, Macht und der Einfluss, die den christlichen Gemeinschaften zugestanden werden, basieren auf der irrigen Annahme, Religionen, bzw. Kirchen trügen zur Stabilität einer Gesellschaft und zum (inneren) Frieden bei. Kirchen verstärken diesen Einfluss, indem sie caritative Aufgaben übernehmen, etwa Armenspeisung, Altenpflege, Kinderbetreuung, etc.. All diese Aktivitäten sind aber zu einem großen Teil staatlich finanziert.

In Wahrheit entzweit nichts so sehr die Menschen wie Religionen. Weil jede Religion, zumindest die abrahamitischen, ihren einzig wirklich wahren Gott hat und für dessen Vorherrschaft kämpft. Die Geschichte der Religionen ist die Geschichte von Unterdrückung, Verfolgung, Vertreibung, Folter, Mord und Krieg, eine Geschichte von Gewalt gegen Frauen, Unterdrückung und Verfolgung Homosexueller sowie anders oder gar nicht Gläubiger.

Religionen basieren auf oben und unten, auf Befehl und Gehorsam, sie funktionieren durch den Willen zu manipulieren und setzen auf die Bereitschaft, manipuliert zu werden.

Religionen konservieren ein vormodernes, frauenfeindliches Weltbild, das Mose ihnen mit dem "Sündenfall" in der Genesis ins Stammbuch geschrieben hat. Der Sage nach, die Generation für Generation tradiert wird, schuf der liebe Gott die Erde in 7 Tagen. Er legte einen Obstgarten an und aus dem Lehm des Ackerbodens schuf er den ersten Menschen: Adam. Der Name stammt aus dem Hebräischen und bedeutet "Mensch" oder "der von der Erde Genommene".

Diesem wurde erlaubt von allen Bäumen zu essen, bloß nicht von einem: dem Baum der Erkenntnis. Wenn er gegen dieses Verbot verstieße, müsse er sterben. Es gefiel dem lieben Gott, aus Adams Rippe einen zweiten Menschen zu schaffen: Eva. Auch das ist ein hebräischer Name und bedeutet "Leben" und Eva wurde die Mutter aller Lebendigen.

Für sie galten dieselben Regeln. Allerdings hielt sie sich nicht daran. Sie ließ sich von einer Schlange überreden, von den verbotenen Früchten zu kosten. Nicht nur das, sie verführte auch Adam zu diesem "Sündenfall" und brachte somit Vertreibung, Tod und Verderbnis in die Welt.

Diese totale Umkehr der biologischen Tatsachen, nämlich dass Frauen Leben spenden und nicht Tod und Verderben bringen, ist in den abrahamitischen Religionen, dem Judentum, dem Christentum und dem Islam somit festgeschrieben.

Dass Frauen irgendwie doch was mit Leben spenden zu tun haben, schlägt sich allerdings auch bei Mose nieder und drückt sich ja auch schon in dem Namen "Eva" aus: Als Strafe für ihre Verfehlung bekam Eva von Gott bei jeder Schwangerschaft Schmerzen auferlegt. Schlussendlich folgte die Vertreibung aus dem Paradies; Eva, Adam und ihre Nachkommenschaft alterten und starben schließlich.

Laut der christlichen Geschichtsschreibung beschuldigten die beiden eine Schlange, sie verführt zu haben, woraufhin Gott das Tier verfluchte, das nun fürderhin durch den Staub kriechen muss. Laut Koran verführte der Satan die beiden zum "Sündenfall".

Religionen konservieren ein vormodernes Weltbild, in dem das Frauenbild von solchen hanebüchenen Horrorstories geprägt ist, den Erkenntnissen der Wissenschaft zum Trotz, die Errungenschaften derselben, z. B. in Form von technischen Errungenschaften, oft und gern nutzend - z. B. um das vormoderne Weltbild zu verbreiten. Das gilt für alle abrahamitischen Religionen, und je strenger der Glaube gelebt wird, desto mehr werden die Rechte von Frauen, aber auch Homosexuellen und auch anders oder nicht Gläubigen eingeschränkt.

Das unterscheidet den Islam nicht vom Juden- oder Christentum. Darüber hinaus deutet schon die Vorstellung, dass der Erzengel Gabriel Mohammed Gottes, bzw. Allahs Wort, offenbart haben soll, was dann im Koran niedergeschrieben wurde, darauf hin, dass die Entstehung des Islams nicht völlig losgelöst vom Juden- und auch vom Christentum stattfand. So übernahm Mohammed z. B. Rituale, wie kein Schweinefleisch zu essen, oder die Frau während der Periode zu meiden, aus dem Judentum.

Und genauso so wie es schrift- oder buchstabengläubige Musliminnen und Muslime gibt, gibt es schrift- oder buchstabengläubige Christinnen und Christen. Beide streben eine Gesellschaft von vor 1.400, bzw. 2000 Jahren an, von der sie glauben, dass ein entsprechendes, an die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse angepasstes Leben Allah, bzw. Gott gefallen würde.

Dass diese Vorstellungen mit unseren modernen Gesellschaften kollidieren müssen, liegt auf der Hand. Das führt zu Reibungen. Richtig problematisch wird es, wenn die gottgefällige Lebensart als allgemeingültig betrachtet und der Restgesellschaft aufgezwungen werden soll.

Die Macht der Kirchen

Das Christentum ist auch im Jahr 2018 allgegenwärtig, und trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse die Entstehung der Welt oder die Beschaffenheit des Universums betreffend und entgegen der Tendenz, dass immer weniger Menschen an ein höheres Wesen glauben, das unser aller Geschicke lenkt, ist die Kirche allerorten und mit erstaunlichen Privilegien ausgestattet, und ihre Macht hat ernsthafte Konsequenzen.

16 Staaten (u.a. auch die Türkei, die sich gerade in einem Transformationsprozess zu einem Gottesstaat befindet) haben in der Verfassung den Begriff "Laizismus" verankert. Laizismus bedeutet die strikte Trennung von Kirche und Staat sowie die religiöse Neutralität des Staates.

Deutschland gehört nicht zu diesen 16 Staaten. Im Gegenteil, Kirche, bzw. der sogenannte "Gottesbezug" sind omnipräsent. Das wird schon in der Präambel des Grundgesetzes deutlich:

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben …

Präambel Grundgesetz

Sieben Bundesländer, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben einen "Gottesbezug" in der Präambel ihrer Landesverfassungen. So heißt es z. B. in der bayerischen Landesverfassung:

Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges geführt hat, (...) gibt sich das Bayerische Volk (...) nachstehende (...) Verfassung.

Bayerische Landesverfassung

In Bayern gibt es an jeder Straßenecke und auch in den Schulen Kruzifixe. In anderen Bundesländern, z. B. Schleswig-Holstein wird immer mal wieder über den "Gottesbezug" diskutiert. Entsprechende Anträge scheiterten zuletzt 2016.

Bei dem "Gottesbezug" wird unterschieden zwischen "invocatio dei", Verfassung im Namen Gottes, und "nominatio dei", Erwähnung Gottes. Sowohl im Grundgesetz als auch in den Landesverfassungen handelt es sich um "nominatio dei".

Außerdem gibt es den "Gottesbezug" in der Eidesformel, bei Gericht bei der Vereidigung von Zeuginnen und Zeugen sowie bei der Vereidigung der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers und den Ministerinnen und Ministern. Sie alle können den Zusatz "so wahr mir Gott helfe" wählen.

In vielen Landtagen werden zum Abschluss des Jahres feierliche Andachten im Plenarsaal gehalten. Ansonsten gibt es in allen Landtagen einen Raum, der den Abgeordneten für z. B. eine wöchentliche Andacht zur Verfügung steht.

Auch der Deutsche Bundestag verfügt über einen Andachtsraum, in den Sitzungswochen findet dort jeweils Donnerstag und Freitag eine Andacht statt. Diese werden von Geistlichen, aber auch von Mitgliedern des Bundestags gehalten.

Kirchensteuer

Der Staat zieht die Kirchensteuer ein. Konkret bedeutet das: Die Finanzämter der Bundesländer ziehen allen Beschäftigten, sofern nicht eine andere Konfession auf der Lohnsteuerkarte vermerkt ist, einen gewissen Betrag automatisch ab.

Diese Steuern stehen alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, die den Status "Körperschaft des öffentlichen Rechts" anerkannt bekommen. Die Höhe der Kirchensteuer wird von der jeweiligen Kirchenleitung festgelegt.

Damit diese Festlegung der Kirchensteuer Gesetzeskraft erlangen kann, müssen die entsprechenden Landesparlamente der einzelnen Bundesländer dem zustimmen. Die Folge davon ist, dass die Kirchensteuersätze von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein können. Die Kirchensteuer wird prozentual zur Einkommens- oder Lohnsteuer ermittelt. Bei der Festlegung wird u.a. der Kinderfreibetrag berücksichtigt.

Allerdings gibt es eine Art Beitragsbemessungsgrenze, nämlich die Höhe des Einkommens. Ab einem bestimmten Satz bleibt die Summe gleich. Vermutlich kommen sie den Betroffenen entgegen, um zu verhindern, "dass die Vermögenden aus der Kirche austreten, um die Kirchensteuerzahlung zu vermeiden" (Kirchensteuer). D.h., dass Beschäftigte mit niedrigerem Einkommen prozentual zu ihrem subjektiven Verdienst mehr zahlen als Spitzenverdiener.

Da Letztere tatsächlich in erster Linie männlich sind, bedeutet das, dass Frauen mehrheitlich zu der Gruppe gehören, die prozentual auf ihr Einkommen bezogen die meiste Kirchensteuern zahlen.

Aktuell liegt der Satz in Baden-Württemberg und Bayern bei 8%, in den übrigens Bundesländern bei 9%. Die Kirchensteuer macht insgesamt gesehen den größten Teil der Einnahmen der Kirchen aus: "Im Jahr 2008 betrugen die Kirchensteuereinnahmen für die evangelische Kirche 4,6 Milliarden €, für die katholische Kirche 5,1 Milliarden €." Für diese Dienstleistung revanchieren sich die Kirchen mit einer Aufwandsentschädigung bei den Finanzämtern.

Kirchensteuer zu zahlen, lässt sich umgehen, indem in der Steuerkarte eingetragen wird, dass die betreffende Person keiner Konfession angehört. Klingt plausibel, ist aber ein massiver Eingriff in die Privatsphäre der betreffenden Person. Denn die Steuerkarte befindet sich im Personalbüro des Unternehmens, wird der Buchhaltung für die Lohnabrechnung zugänglich gemacht, die darauf vermerkten Informationen sind also innerhalb des Betriebes bekannt. Das kann zu Komplikationen führen, z. B. bei kleinen Betrieben, wenn der Besitzer eine stark christliche Einstellung hat.

Hohe staatliche Summen für Kirchen

Zwar macht Kirchensteuer einen erheblichen Teil der Einnahmen der beiden großen Kirchen aus. Doch: "Daneben erhalten sie sog. Staatsleistungen und zahlreiche andere Zuschüsse, die aus dem allgemeinen Steuertopf genommen werden." Allein an Baulasten und Zuschüssen für Kirchenpersonal zahlen die Bundesländer über 500 Millionen Euro jährlich an die Kirchen.

So wird das Gehalt zahlreicher Bischöfe aus Steuermitteln entrichtet. Hohe Summen fließen auch für die Gehälter und die Ausbildung von Religionslehrern. Selbst Kirchentage und die Auslandsarbeit bezuschusst der Staat in hohem Maße. Auf diese Weise finanzieren auch Konfessionslose und Andersgläubige rein innerkirchliche Belange.

Die Kirchen selbst gehören mit ca. 1,3 Mio. Beschäftigten nach dem öffentlichen Dienst zu den größten Arbeitgeberinnen in Deutschland. Für sie gilt gar ein gesondertes Arbeitsrecht, das bis weit in das Privatleben der Beschäftigten hineinreicht. Zunächst einmal obliegt es der jeweiligen Einrichtung zu entscheiden, den Beschäftigten die Zugehörigkeit zur jeweilig dahinterstehenden Kirche abzuverlangen.

Doch damit nicht genug. So entschied im Oktober 2014 das Bundesverfassungsgericht (BVG) im Falle eines Chefarztes, der in einem katholischen Krankenhaus beschäftigt war und geheiratet hatte, zu dessen Ungunsten. Denn leider hatte er nicht zum ersten Mal geheiratet und die erste Ehe war mit einer Scheidung beendet worden. Diese Scheidung erkennt die Kirche aber nicht an, denn in deren Augen gilt: Bis dass der Tod Euch scheidet.

Also folgte dem freudigen Ereignis die Kündigung. Das BVG gab der katholischen Kirche als Arbeitgeberin Recht. Das war nicht der erste Fall.

Auch die 2016 allgemein sehr bejubelte "Ehe für Alle" könnte im Zweifelsfall eine Kündigung aus sittlich-moralischen Gründen zur Folge haben, denn Homosexualität wird insbesondere von der katholischen Kirche abgelehnt. Anfang 2018 sorgte der Fall einer Erzieherin eines katholischen Kindergartens für Schlagzeilen, die ihre Lebensgefährtin heiraten wollte und deren Vertrag deswegen nicht verlängert werden sollte.

Die Kirchen sind bekannt - und weithin geschätzt - für ihre vielen caritativen Einrichtungen. Dafür lassen sie sich auch gebührend feiern - und vom Staat mit finanzieren. Nächstenliebe auf Kosten der Steuerzahlenden, die der Kirche ihre Privilegien sichert. Rund 50.000 Unternehmungen kommen so insgesamt in Deutschland zusammen.

50.000 Unternehmungen mit ca. 1,3 Mio. Beschäftigten, denen die Kirche nicht nur schwer erkämpfte Rechte wie gewerkschaftliche Vertretung verweigert, sondern diese bis ins Ehebett hinein maßregelt und ihnen ihre verkorksten Moralvorstellungen aufzwingt.

Die kirchlichen Einrichtungen werden zudem durch den Religionsunterricht an staatlichen Schulen finanziert. Dort erteilen z. B. Nonnen den Unterricht. Diese werden nicht direkt vergütet, sondern deren Kloster bekommt eine Ausgleichszahlung.

Das alles regeln die Staatsverträge, die mit den Kirchen abgeschlossen wurden. Darin ist u.a. das bereits erwähnte Recht auf die Kirchensteuer, die Militärseelsorge oder Seelsorge in Krankenhäusern, Altenheimen oder Gefängnissen festgelegt, die Einrichtung von theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten, das Recht auf Kirchensendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Vertretung im Fernsehrat des ZDF, dem Hörfunkrat des Deutschlandradios und den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Das Tanzverbot

Puritanismus ist Bestandteil christlicher Religionen. Das "Tanzverbot" ist ein Erbe davon. Diese Bestimmung ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich, umfasst mal ein auf Tanzveranstaltungen beschränktes Verbot an hohen kirchlichen Feiertagen, mal ist an diesen Tagen jede kulturelle und gastronomische Tätigkeit verboten.

An Karfreitag, Volkstrauertag und Totensonntag herrscht in allen Bundesländern "Tanzverbot"; an Karfreitag mit Ausnahme von Berlin, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein ganztägig, an den anderen beiden Feiertagen in allen Bundesländern jeweils zeitlich begrenzt. Konkret wird das im "Feiertagsgesetz" des jeweiligen Bundeslands geregelt.

In Baden-Württemberg können z. B. Verstöße gegen dieses "Feiertagsgesetz" mit einer Ordnungsstrafe bis zu 1.500 € geahndet werden. Neben Baden-Württemberg hat Hessen eines der stringentesten "Feiertagsgesetze", an der Spitze steht Bayern:

In der fränkischen und alpenländischen Volkstanzszene wird die Tradition des Tanzverbotes in den geschlossenen Zeiten weiterhin gepflegt.

Wikipedia

In Nordrhein-Westfalen (NRW) unterlag die Initiative "Religionsfrei im Revier" vor dem Bundesverfassungsgericht, vor das sie gezogen waren, um eine Filmvorführung an Karfreitag zu erstreiten. Die Rede ist von dem Monty-Python-Klassiker "Das Leben des Brian".

Diesen von der "Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft" (FSK) als "nicht feiertagsfrei" eingestuften Film hatte die Initiative mehrfach in Bochum an Karfreitag in Bochum vorgeführt. Das ist in NRW jedoch verboten. "Die Bochumer fühlten sich von Kirche und Staat bevormundet, weil die öffentliche Vorführung der Monty Python-Satire in NRW am Karfreitag verboten ist.

Die Stadt verhängte ein Bußgeld, Amtsgericht und Oberlandesgericht gaben ihr Recht. Und auch am höchsten deutschen Gericht hatten die Filmfreunde kein Glück. Es hielt ihnen vor, sie hätten doch einfach eine Ausnahmegenehmigung beantragen können.

Das hatten sie versäumt - und müssen jetzt bezahlen. Genau das wollte die Initiative aber nicht, denn die Vorführung trotz des Verbots begreifen sie als einen Akt des zivilen Ungehorsams gegen die Macht der Kirche.

Für heute erteilte die Bezirksregierung Arnsberg der Bochumer Initiative "Religionsfrei im Revier" eine Ausnahmegenehmigung, sowohl für den Film als auch für ein "antiklerikales Kabarett-Programm", das den Event komplettiert. Darum läuft „Das Leben des Brian“ an Karfreitag jetzt ganz legal (Rechtsweg statt Kreuzweg).

Der christliche Fundamentalismus

Alles das ist der "Normalfall". Teidelbaum befasst sich in seinem Band "Die christliche Rechte in Deutschland" mit dem Extrem: mit dem Evangelikalismus, dem protestantischen Fundamentalismus, den katholischen Traditionalismus, Kreationismus, dem Thema "Lebensschutz" oder "christlicher Glaube an Karma und Dämonen".

Die Anzahl der Evangelikalen soll in Deutschland etwa 1,3 Millionen betragen. Weltweit werden bis zu550 der mehr als 800 evangelischen ChristInnen den Evangelikalen zugerechnet. Dabei sind Evangelikale aber kein homogener Block; es gibt ganz unterschiedliche Strömungen und Organisationsformen. Für Deutschland schätzt man, dass die Hälfte der Evangelikalen Mitglied der Landeskirchen sind, die andere Hälfte in Freikirchen, unabhängigen Gemeinden und Hauskreisen organisiert sind.

Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland

Die Letztgenannten seien theologisch konservativ, aber "fast ausnahmslos auch in allen gesellschaftspolitischen Fragen konservativ, bzw. reaktionär", so Teidelbaum.

Protestantischer Fundamentalismus zeichnet sich generell dadurch aus, dass seine Anhängerinnen und Anhänger von der "Irrtumslosigkeit der Bibel" und deren Widerspruchslosigkeit ausgehen, so Teidelbaum. Damit wären wir dann beim eingangs erwähnten Kreationismus. Dieser sei ein "anschauliches Beispiel für die Wissenschaftsfeindlichkeit der christlichen Rechten", verbreitet vor allem unter den Evangelikalen.

Zu unterscheiden sind Kurzzeit-Kreationismus bzw. Junge-Erde-Kreationismus und Intelligent-Design-Kreationismus. Ersteres orientiert sich streng an der Bibel und geht aus von einem Alter der Erde von 6000 Jahren. Selbst unter den Evangelikalen dürften überzeugte Kurzzeit-KreationistInnen nur eine Minderheit stellen.

Mehrere Jahrhunderte nach der Aufklärung und nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen über das ungefähre Alter der Erde zu behaupten, diese sei nur 6000 Jahre alt, stellt VertrteterInnen dieser Position ins Abseits. Zumal es mit der 'Intelligent Design'-Position auch den Versuch einer Synthese von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und theologischen Inhalten gibt. Demzufolge war es ein intelligenter Schöpfer, der die Evolution lenkte.

Und man geht von einer separaten Entwicklung der Arten aus, weswegen der Mensch beispielsweise nicht vom Affen abstammen soll.

Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland

Konkret sieht das dann so aus:

Lesen wir einmal die Bibel:
Bibel: 1.Mose 5,3: und Adam lebte 130 Jahre und zeugte ... Seth.
Bibel: 1.Mose 5,6-8: und Seth lebte 105 Jahre und zeugte Enos. Und Seth lebte, nachdem er Enos gezeugt hatte, 807 Jahre.
Bibel: 1.Mose 5,9: Und Enos lebte 90 Jahre und zeugte Kenan ... usw...
Damit sind die ersten 325 Jahre (130+105+90=325) seit Adams Erschaffung anhand von 3 Menschen-Generationen geklärt.
Wobei Adam insgesamt 930 Jahre alt wurde.
Die weiteren Zeiträume werden komplizierter und nebulöser aber am Prinzip ändert sich nichts.
Der in der Bibel beschriebene Stammbaum der Menschen und der Ereigniskalender ergäbe dann eine Zeitspanne von rund 4000 Jahren von Adams Erschaffung bis zu Christi Geburt. Zu diesen 4000 Jahren kommen dann unsere "modernen" 2017 Jahre nach Christi Geburt hinzu. Was in der Summe rund 6000 Jahre ergibt.
Da nun eine erzeugende Kraft alles in 6 Tagen erschuf kann die Erde höchstens 6 Tage älter sein als der Zeitraum von Adams Erschaffung bis heute. Somit ist das Alter der Erde rund 6000 Jahre plus höchstens 6 Tage.
NEIN, kommt mir nun nicht mit "die Bibel sein kein Naturwissenschaftsbuch und dürfe nicht wörtlich genommen werden". Das ist ja genau der Punkt der biblischen Kreationisten:
sie MUSS wörtlich genommen werden. Also ist die Erde rund 6000 Jahre alt.
Und Seth wurde 912 Jahre alt.
Beweis: siehe Bibelstelle oben: Seth erzeugte im Alter von 105 Jahre Enos und lebte dann noch 807 Jahre. Macht insgesamt 105+807=912 Jahre.
Diese biblischen Texte zeigen nun eindrucksvoll, dass die gesamte Evolutionstheorie der modernen Wissenschaft und die Naturwissenschaft selbst falsch sein muss!
Die Wissenschaft muss falsch sein da sie zu anderen Ansichten kommt als die Bibel. Damit funktioniert natürlich auch kein CD-Player mehr. Denn der braucht einen Laser und somit brauchen unsere CD-Player Hersteller wiederum eine halbwegs moderne Quantenphysik. Wir haben kein Telefon und kein LED-Fernseher, keine ISS (internationale Raumstation).
Kein PC. Kein World Wide Web.

Geokasper

Das klingt amüsant, ist es aber weniger, wenn wir uns vor Augen führen, dass z. B. der "Verband Evangelischer Bekenntnisschulen e.V." (VEBS), der immerhin "46 freie Schulen - von Grundschulen bis Gymnasien -, die staatlich bezuschusst werden und sich vor allem in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg finden" (Die Welt) unterhält, 2013 ankündigte, die Schöpfungsgeschichte gleichberechtigt mit der Evolutionstheorie in den Lehrplan aufnehmen zu wollen.

Sie bemühen sich um eine "ganzheitliche Orientierung der Unterrichtsinhalte am Deutungsrahmen der Bibel". Daraus folgt soziales Engagement, das oft gelobt wird. Doch folgt daraus auch, die Naturwissenschaften nicht für die einzige sachgerechte Form des Umgangs mit den Befunden der Biologie oder Physik zu halten.

Vielmehr scheint der VEBS auch eine andere Möglichkeit für die Entwicklung sinnvoller Hypothesen zur Entstehung von Universum und Leben zu sehen: die Bibel. In jener Stellungnahme - empfohlen "zur Orientierung und Auseinandersetzung in den Fachkollegien in Religion und Naturwissenschaften" - heißt es:

"Übernatürliche Schöpfung ist Ausgangspunkt für die Deutung naturwissenschaftlicher Daten. Die wissenschaftlichen Daten, die durch Schöpfung gedeutet werden, sind dieselben wie die Daten, die durch Evolution gedeutet werden. Die naturwissenschaftliche experimentelle Forschung unterscheidet sich methodisch nicht von Forschung im Rahmen der Evolutionsanschauung."

Demnach wäre eine Betrachtung empirischer Befunde im Licht der Bibel ("Evolutionsanschauung") methodisch gleichrangig mit der Naturwissenschaft.

Die Welt

Das ist höchst bedenklich, selbst wenn der VEBS der "Intelligent Design"-Position, dem "Versuch einer Synthese von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und theologischen Inhalten" folgt. Diese sähe in der Praxis dann ungefähr so aus:

Der Schöpfungsbericht der Bibel beginnt ganz einfach:
"Im Anfang erschuf Gott die Himmel und die Erde" (1. Mose 1:1).
Bibelgelehrte stimmen darin überein, dass die in diesem Vers beschriebene Handlung getrennt zu sehen ist von den Schöpfungstagen, die ab Vers 3 beschrieben werden.
Daraus folgt ein wichtiger Schluss:
Gemäß den einleitenden Worten der Bibel existierte das Universum mitsamt der Erde schon unbestimmte Zeit, bevor die Schöpfungstage begannen.
Geologen schätzen das Alter der Erde auf etwa 4 Milliarden Jahre; das Universum könnte nach Berechnungen von Astronomen sogar 15 Milliarden Jahre alt sein. Widersprechen diese Erkenntnisse — oder ihre potenziellen Modifikationen — der Aussage in 1. Mose 1:1?
Nein. Die Bibel gibt nicht an, wie alt "die Himmel und die Erde" sind. Die Wissenschaft entkräftet den Text der Bibel nicht.

geistigenahrung.org

Aufgrund von Protesten wurde die entsprechende Erklärung zurückgezogen. Doch Zweifel bleiben angebracht, denn wer garantiert, dass den Kindern diese krude Weltsicht nicht trotzdem nahgebracht wird?

Aberglaube kann tödlich enden

Fundamentale Christinnen und Christen sind nicht nur mit tiefem Glauben gesegnet, sondern auch mit Aberglauben. Und zwar laut Teidelbaum "sowohl im Protestantismus als auch im Katholizismus, wo derartige Überzeugungen von höchster Stelle legitimiert sind".

So existiere unter Berufung auf die Bibel "ein Glaube an Dämonen, die Menschen manipulieren und kontrollieren können".

Auch das gibt es im Islam übrigens auch: Djinn, die der Teufel in Form von Versuchungen schickt, und Engel, die wohlfeiles Verhalten kontrollieren und bei Regelverstößen Rapport nach ganz oben erstatten.

Im Christentum könnten "solche von Dämonen oder Teufeln besessene Personen mittels eines 'Exorzismus', also einer Teufels- und Dämonenaustreibung 'kuriert' werden", schreibt Teidelbaum.

Offenbar psychisch kranke Menschen wurden mittels solcher Exorzismen gequält, statt dass ihnen eine angemessene medizinische Behandlung zuteilwurde.

Derartige Austreibungsrituale sind nicht nur quälend, sondern sie können tödlich enden. So verletzte beispielsweise am 5. Dezember 2015 eine aus Südkorea stammende evangelikale Familie in Frankfurt ein 41jähriges Familienmitglied während eines Exorzismus tödlich. Die Frau erstickte qualvoll am massiven Druck auf ihren Brustkorb und Gewalteinwirkungen auf den Hals.

Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland

Der Schutz des ungeborenen Lebens

"Als 'Lebensschutz' wird die unter Christinnen weit verbreitete Anti-Abtreibung-Position bezeichnet", schreibt Teidelbaum.

So veröffentlichte das evangelikale Magazin 'IdeaSpektrum' unter 'www.aufruf-lebensrecht.de' eine Online-Petition zugunsten einer Verschärfung der gesetzlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen: 'Es gibt kein Recht auf Abtreibung!'. Anlass war der Fall eines niedersächsischen Danneberg, der sich geweigert hatte, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen.

Immer wieder werden in diesem Spektrum Schwangerschaftsabbrüche mit diversen Menschheitsverbrechen gleich gesetzt. Eine Rednerin bei der Auftaktkundgebung vom "Marsch des Lebens" in Berlin, der gegen Abtreibung mobilisierte, meinte 2012: "Abtreibung ist der größte Weltkrieg aller Zeiten gegen die Kinder." Und Kardinal Joachim Meisner (1933 - 2017) meinte im Januar 2005 in einer Predigt: "Zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen lässt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernichten ließen, und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht." Tatsächlich ist die Diskussion um Abtreibung in der Bundesrepublik quasi 'eingefroren'. In der Bundesrepublik gilt Abtreibung nach § 218 bis heute als Straftat.

Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland

Der letzte Satz ist leider nicht mehr ganz richtig. Zum einen erfährt die Debatte um das Recht aus Schwangerschaftsabbruch aktuell Aufwind, genau genommen Gegenwind, denn aktiv wird sie angefacht durch Abtreibungsgegnerinnen und -gegner.

So fand der "Marsch der Frauen" am 17.2.2018 statt unter Beteiligung von Heidi Mund, einer ausgesprochenen "Lebensschützerin", jedenfalls, wenn es um den Schutz des ungeborenen Lebens geht, die in Frankfurt einen "Marsch für das Leben" organisierte.

Auch Bundes-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), noch nicht ganz im Amt, machte gegen Schwangerschaftsabbrüche mobil:

Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos. Aber in dieser Debatte wird manchmal gar nicht mehr berücksichtigt, dass es um ungeborenes menschliches Leben geht.

Jens Spahn

Das sei "keine ärztliche Leistung wie jede andere", so Spahn.

Offenbar wird es immer schwieriger für Frauen, eine Ärztin oder einen Arzt zu finden, die oder der Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Laut taz ist es "das Ergebnis der Recherche: Ein vollständiger Überblick, wie viele Ärzt*innen in Deutschland an welchen Orten Schwangerschaftsabbrüche durchführen, existiert schlicht nicht. Was es gibt, sind die Einschätzungen der Beratungsstellen: In Städten ist die Situation besser als auf dem Land. In katholischen Regionen schlechter als in protestantischen. Vielerorts ist die Versorgung extrem dünn - und das kann sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Denn in ganz Deutschland gehen immer mehr Ärzt*innen, die Abtreibung durchführen, in Rente - und es fehlt an Nachwuchs".

Werde "eine Frau in Trier ungewollt schwanger, muss sie für eine Abtreibung bis ins Saarland fahren. Frauen in Fulda finden schon seit Jahren keine Behandlung. In ganz Niederbayern gibt es nur noch einen Arzt, der eigentlich längst in Rente gegangen sein sollte, aber immer noch Abbrüche durchführt. Weil es sonst niemand machen will. Und selbst in Berlin, wo die Versorgung noch vergleichsweise gut ist, spitzt sich die Lage zu" (taz).

An sich wäre es die Aufgabe des Gesundheitsministers, dafür zu sorgen, dass Frauen flächendeckend die Möglichkeit haben, ortsnah einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Bleiben wir mal beim Beispiel der Frau aus Trier, die ins Saarland fahren muss: Häufigster Grund für einen Schwangerschaftsabbruch ist die prekäre ökonomische Lage der betroffenen Frau. Die Fahrtkosten ersetzt ihr niemand.

Womöglich hat sie schon Kinder. Wer kümmert sich derweil um sie? Hinzu kommt, dass Schwangerschaftsabbrüche in aller Regel ambulant durchgeführt werden. Das bedeutet, dass der Frau nach einer OP eine solche Reise zugemutet wird. Ob nun allerdings ein Gesundheitsminister, der sich gegen Schwangerschaftsabbrüche ausspricht, sich dafür zuständig fühlt, diesen Missstand zu beseitigen, ist nicht nur fraglich, sondern kann nahezu als ausgeschlossen gelten.

Im Wahlprogramm der AfD, der die Organisatorin dieses Marsches, Leyla Bilge, angehört, steht:

Auch ungeborene Kinder haben ein Recht auf Leben. Viel zu oft wird dieses Recht der Selbstverwirklichung oder sozialen Zukunftsängsten untergeordnet. Solchen Ängsten will die AfD durch konkrete Hilfen für Familien in allen Lebenslagen vorbeugen, insbesondere den lebensrettenden Ausweg der Adoption erleichtern und fördern.

AfD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl am 24.9.2017

Dümmer geht’s nun wirklich nimmer. Vor allem herzloser. Die meisten Frauen, die ein Kind zur Adoption freigeben, tun das, weil sie in absolut ökonomisch prekären Verhältnissen leben. In den meisten Fällen leiden sie ein Leben lang darunter, können nur mit niemandem darüber reden. Da viele der Betroffenen noch sehr jung sind, vielleicht 70 oder 80 Lebensjahre lang nicht.

Denn niemand ist in unserer Gesellschaft so stigmatisiert wie Mütter, die ein Kind zur Adoption freigaben. Schwerverbrecher sind dagegen honorige Mitglieder unserer Gesellschaft - sie sind nach Ablauf ihrer Haftzeit rehabilitiert, Mütter, die ein Kind zur Adoption freigaben werden von dieser "Schuld" nie befreit.

"Für Gott und Vaterland"

Völkisches Denken und christlicher Fundamentalismus, diese traute Zweisamkeit bei der AfD beschreibt auch Treidelbaum:

Die AfD war von Anfang an als Partei mit einem rechtsklerikalen Flügel konzipiert. Gegründet wurde sie immerhin im Gemeindesaal der Christuskirche in Oberursel am 6. Februar 2013, von achtzehn Männern. … 2016 haben sich innerhalb der AfD Angehörige des rechtsklerikalen Flügels der Bundesvereinigung 'Christen in der AfD' (ChrAfD) organisiert. … Bei der Bundestagswahl im September 2017 stellte die ChrAfD drei von 94 für die AfD in den Bundestag gewählten Abgeordneten. Wichtigste Vertreterin des rechtsklerikalen AfD-Flügels ist die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch.

Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland

Doch die AfD ist nicht die einzige Partei im rechten Spektrum, in dem christlich orientierte Menschen gezielt angesprochen werden. So gibt, bzw. gab es z. B. die Arbeitskreise "Christen in der NPD" oder auch "Christen pro Köln".

Allerdings habe der gemeinsame Kampf "für Gott und Vaterland" Grenzen, so Teidelbaum:

Grundsätzlich ist das Christentum aber eigentlich universell ausgerichtet, das heißt, alle Menschen können Mitglied der Gruppe werden, indem sie konvertieren. Die extreme Rechte dagegen akzeptiert getreu ihrem völkischen Weltbild nur weiße und möglichst noch Menschen mit deutschsprachigen Vorfahren als Teil ihrer Gruppe.

Das ergibt im Endeffekt einen gewissen Widerspruch zwischen einer universal ausgerichteten Religion, die in der Theorie alle ansprechen will und einem Nationalismus, der sich auf bestimmte Herkunftsgruppen beschränkt.

Doch es gibt auch unter Evangelikalen verbreitete Varianten von Nationalismus. Dabei wird die starre Einteilung der Welt in Staaten und Völker nicht pseudowissenschaftlich (kulturell oder biologistisch) legitimiert, sondern religiös. Man könnte von einer Art religiösem Ethnopluralismus sprechen.

"Gott schütze unser Land": Besonders unter Evangelikalen findet sich eine Form von christlichem Nationalismus, die kaum völkisch grundiert und auch weniger einwanderungsfeindlich ist.

Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland

Trotz diverser Unterschiede hätten "christliche und extreme Rechte auch allerhand gemeinsame Feindbilder: Antimodernismus, Feindbild Links, Feindbild Freimaurer, Antisemitismus bzw. Antijudaismus, Antifeminismus, das Feindbild Gender-Mainstreaming, das Feindbild Islam und Homophobie. Besonders in Osteuropa führen diese gemeinsamen Feindbilder zu Allianzen zwischen der christlichen und extremen Rechten auf der Straße".

Einig sei man sich zum Beispiel in Puncto "Lebensschutz", also in der Ablehnung von Abtreibung, doch aus unterschiedlichen Gründen. Die extreme Rechte fürchte ein Aussterben des deutschen Volkes, die christliche Rechte sehe in Schwangerschaftsabbrüchen eine Form von Mord. Bei deutschnationalen Christinnen und Christen finden sich beide Motive.

Das Thema "Lebensschutz" fand deswegen auch Eingang in die Programm rechtsextremer Parteien", z. B. in das Landtagswahlprogramm der NPD Sachsen von 2009.

"Neben gemeinsamen Feindbildern teilen christliche und extreme Rechte den Antimodernismus, den Rückgriff auf vormoderne Gesellschaften und ihre Idealisierung, die Propagierung absoluter Weltbilder in Verbindung mit der Ablehnung von Pluralisierung und Individualisierung, den Dualismus von Gut und Böse und die damit einhergehende Anfälligkeit für Verschwörungstheorien", so Teidelbaum.

Seiner Ansicht nach "stellt sich die Frage, ob die größtenteils religionskritische Linke (wo sieht er die bloß?) nicht auch in den Kirchen fortschrittliche Bündnispartner finden und unterstützen könnte. Sonst besteht die Gefahr, dass der fortschrittliche Flügel an Einfluss verliert und der bisher liberale Mainstream zunehmend Zugeständnisse nach rechts macht. "Dafür müsste die Linke allerdings auf vulgäre Religionsfeindlichkeit verzichten."

Es ist beim besten Willen nicht Aufgabe der Linken, dafür zu sorgen, dass die Kirchen einigermaßen auf Linie bleiben. Das wirksamste Mittel gegen rechts wäre, wenn die Linke sich wieder auf ihre Kernkompetenz besinnen und soziale Kämpfe führen würde. Momentan scheint das irgendwie Cockpit und der Gewerkschaft der Lokführer vorbehalten (GdL).

Gesellschaftskritik kommt aktuell von rechts, statt von links. Was wir neben sozialen Kämpfen dringend brauchen, ist eine sachliche, öffentliche Debatte über drängende gesellschaftliche Probleme, zu denen unbestreitbar auch der Rechtsruck - nicht nur unter Christinnen und Christen - gehört, geleitet von der Idee des Laizismus.

(Nicht nur) Frauen meiner Generation haben erlebt, wie der Einfluss der Kirchen zurückgedrängt werden konnte. Wenn er auch für meinen Geschmack noch viel zu groß ist. Aber wir haben die Kruzifixe rausgeschmissen aus unseren Klassenzimmern, haben rebelliert gegen Schulgottesdienst, das Gebet vor dem Essen abgeschafft, auf die Pfaffen gepfiffen, uns die kirchliche Trauung erspart und unsere Kinder nicht taufen lassen.

Wir können uns über Religionen lustig machen, ohne dafür hart, eventuell sogar mit dem Tod, bestraft zu werden. Wir können sogar an Karfreitag tanzen gehen. Wollen wir das alles, was wir so mühselig erkämpft haben, und das auf mehr als wackeligem Boden steht, wirklich aufs Spiel setzen?

Je mehr Macht Religion und religiöse Instanzen in einer Gesellschaft eingeräumt wird, desto mehr werden die Menschenrechte - zuerst die Rechte der Frauen, Minderheiten und Angehörigen anderer Konfessionen oder Konfessionslosen - eingeschränkt. Je mehr Macht die Kirchen/Konfessionen haben, desto trister und eintöniger wird eine Gesellschaft.

Wir brauchen nicht mehr Glaube, mehr Religionen, mehr Kirche, sondern weniger. Wir brauchen eine Leitkultur, ausgerichtet an den Allgemeinen Menschenrechten und den in der Verfassung verbrieften Grundrechten und dabei sollten wir den Aspekt "Trennung von Kirche und Staat" sehr ernst nehmen. Das würde uns übrigens auch die endlosen Debatten über den Islam ersparen.

Tipp: Teidelbaum, Lucius, Die christliche Recht in Deutschland - Strukturen, Feindbilder, Allianzen, Unrast Verlag, Münster, ca. 100 S.