Stuttgart 21: Elend und Zukunft eines einzigartigen Projekts
Ein umstrittenes Projekt vom unterirdischen Durchgangsbahnhof bis zur aktuellen Brandschutzdebatte. Was geschieht, wenn das Projekt scheitert?
Kopfbahnhöfe stammen aus der Anfangszeit des Eisenbahnfernverkehrs, als die Lokomotiven noch mit Kohle befeuert wurden und nach einer bestimmten Reisezeit gegen eine Lokomotive mit vollem Kohletender ausgetauscht werden mussten. Ein Durchgangsbahnhof wäre hier mit einem größeren Rangieraufwand verbunden gewesen.
Die größten Kopfbahnhöfe Deutschlands befinden sich heute noch in Leipzig, Frankfurt am Main, München, Hamburg-Altona sowie Stuttgart. Als der Eisenbahnverkehr elektrifiziert wurde, bestand die Notwendigkeit des Lokomotivwechsels nicht mehr. Und somit kam in den 1970er-Jahren die Idee auf, anstelle der Kopfbahnhöfe Durchgangsbahnhöfe zu errichten.
Da die ursprünglich meist am Stadtrand gelegenen Bahnhöfe im Laufe der Zeit von der Wohn- und Gewerbebebauung eingeholt wurden, war der Bau eines Durchgangsbahnhofs nur im Untergrund möglich. Die Anlage von Tunnelbahnhöfen beschränkte sich jedoch auf den S- und U-Bahnverkehr. In Frankfurt am Main und München hatte man sich klar gegen den Bau eines unterirdischen Durchgangsbahnhofs für den Fernverkehr entschieden.
Nur in Stuttgart gab man dem unterirdischen Durchgangsbahnhof eine Chance
Bei der Vorplanung der Schnellfahrstrecke Mannheim–Stuttgart erwog die Deutsche Bundesbahn 1970, unter dem Stuttgarter Hauptbahnhof eine unterirdische Station für den Fernverkehr in Richtung Mannheim oder Ulm zu bauen. Später wurde im Rahmen der in den 1980er-Jahren geplanten Neu- und Ausbaustrecke zwischen Plochingen und Günzburg ebenfalls Möglichkeiten für einen Durchgangsbahnhof in Stuttgart untersucht.
Nachdem es im Falle der anderen deutschen Kopfbahnhöfe durchweg Absagen für die Idee eines unterirdischen Durchgangsbahnhofs gegeben hatte, wurde das Projekt Stuttgart 21 im Jahr 1994 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Mit dem Projekt Stuttgart 21 sollte die oberirdische, ursprünglich 17-gleisige Kopfbahnhofanlage des Stuttgarter Hauptbahnhofs durch einen unterirdischen, achtgleisigen Durchgangsbahnhof ersetzt werden.
Warum einzig in Stuttgart sich die Idee vom unterirdischen Durchgangsbahnhof trotz des unsicheren Untergrundes durchsetzen konnte, lässt sich nur verstehen, wenn man die Lage der Landeshauptstadt näher betrachtet. Die Stadt liegt in einem Kessel und praktisch jede Erweiterung muss am Hang oder oberhalb des Hangs erfolgen. Große ebene Flächen wie das Gleisvorfeld oder der ehemalige Güterbahnhof gelten in diesem Umfeld als Filetstücke für die Stadtentwicklung.
Gleisfeld vor dem Bahnhof soll Bauland werden
Nachdem sich der Stückgutverkehr von der Bahn auf die Straße verlagert hatte, galt der Stuttgarter Güterbahnhof spätestens dann als überholt, als die Container-Frachtabwicklung nach Kornwestheim verlagert wurde. Seine Fläche wurde inzwischen mit Einkaufsmöglichkeiten und der Stadtbibliothek überbaut.
Die mit der Verlagerung der Bahninfrastruktur in den Untergrund frei werdenden Gleisflächen sollten, so die ursprüngliche Planung, zur Stadtentwicklung genutzt werden. Nicht hinterfragt wurden die makroklimatischen Folgen der durch die geplante Bebauung entstehende Aufrauung der Oberfläche. Dem Stuttgarter Talkessel könnte die Frischluftzufuhr fehlen, wenn die jetzt noch bestehende Schneise bebaut wird.
Die erhoffte Baulandgewinnung im jetzigen Gleisvorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs lässt sich wohl nicht so schnell realisieren, wie von der Immobilienbranche erhofft. Die ersten Bauten werden wohl nicht vor 2033 realisiert werden können.
Mappus-Deal zum Schaden des Regionalverkehrs
Unter dem damaligen Baden-Württembergischen CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus wurde der Deutsche Bahn unter der Bedingung, dass sie an Stuttgart 21 festhält, die Option angeboten, ihr altes rollendes Material im Ländle weiter nutzen zu können und für den Betrieb der Regionalbahnverbindungen mehr Geld zu bekommen als in Regionen außerhalb des Südwestens üblich.
Die alten Doppelstöcker, die teilweise noch aus Reichsbahnbeständen stammten, trugen in der Folge den Namen Mappus-Garnitur. Mappus, der von Februar 2010 bis Mai 2011 Ministerpräsident war, galt als engagierter Befürworter von Stuttgart 21 und ließ den Widerstand gegen Stuttgart 21 mit exzessiver Polizeigewalt bekämpfen.
Am 30. September 2010, dem sogenannten Schwarzen Donnerstag, gab es bei einer Großdemonstration gegen das Projekt mehrere Schwerverletzte. Mappus wurde die politische Verantwortung für die Polizeigewalt gegeben. Ein konkreter Nachweis für seine Verantwortung konnte damals offensichtlich nicht belegt werden. Der ebenfalls unter seiner Regie erfolgte Rückkauf der EnBW-Anteile vom französischen Energiekonzern EdF beendete dann seine Zeit als Ministerpräsident im Südwesten nach gut einem Jahr.
Wie geht es mit Stuttgart 21 weiter?
Nach dem Regierungswechsel in Stuttgart wurde am 27. November 2011 in einer Volksabstimmung ein Ausstieg des Landes Baden-Württemberg abgelehnt. Das S-21-Kündigungsgesetz, das die Rücknahme der Landesbeteiligung an der Projektfinanzierung vorsah, wurde mit einer Mehrheit von knapp 60 Prozent der gültigen Stimmen verworfen.
Zusammen mit der bereits fertiggestellten Schnellfahrstrecke Wendlingen–Ulm wird das Vorhaben Stuttgart 21 als Bahnprojekt Stuttgart–Ulm bezeichnet und ist seit einigen Jahren Teil einer eigenen Projektgesellschaft. Zwar hat das Verwaltungsgericht in Stuttgart die Bahn Anfang Mai dazu verurteilt, die Mehrkosten alleine zu tragen, aber die Deutsche Bahn prüft Rechtsmittel gegen das Urteil.
Der alte Stuttgarter Kopfbahnhof, der inzwischen mehr einem Provisorium gleicht, soll jetzt offensichtlich über das Jahr 2026 hinaus weiterbetrieben werden. Neben der Finanzierung des nicht zuletzt durch zahlreiche Änderungen deutlich teurer gewordenen Projekts Stuttgart 21 gibt es auch massive Einwände gegen eine Inbetriebnahme des Neubaus, weil der Brandschutz in der unterirdischen Anlage nicht gesichert sei.
Im Extremfall bliebe noch die Beibehaltung des Status quo und die Anmeldung der Insolvenz für die Projektgesellschaft, wenn Stuttgart 21 nicht in Betrieb gehen und somit keine Einnahmen erwirtschaften kann.