Suche nach einer alternativen Vergesellschaftung jenseits von Markt und Staat

Seite 2: Die Präferenzen der gesellschaftlich sinnvollen Arbeit

Ein drittes Moment der alternativen Vergesellschaftung entsteht aus der Veränderung von Arbeitsmotivationen. In der kapitalistischen Marktwirtschaft verhalten sich die Unternehmen nach den Maximen: "Hauptsache, das Produkt lässt sich absetzen. Die Beurteilung der Motive von Konsumenten für den Kauf und die Frage, was die Produkte bzw. Dienstleistungen mit den Kunden 'machen', sind nachrangig. Nicht der Inhalt der Produkte und Dienstleistungen ist entscheidend, sondern dass mit ihrer Produktion das Kapital wächst."

In der nachkapitalistischen Gesellschaft arbeiten die Produzenten bzw. Dienstleister so, dass sie mit ihren Produkten bzw. Dienstleistungen die menschlichen Vermögen der Kunden fördern und sich als deren Treuhänder und Repräsentanten verstehen.

Sie behandeln die Angelegenheiten der Kunden so, als ob es ihre eigenen Angelegenheiten wären, ohne die Unterschiede zwischen den Erfahrungen und Kompetenzen von Produzenten und Kunden, Experten und Laien zu übergehen.

Qualität und Quantität zueinander ins Verhältnis setzen

Den Verteidigern der Marktwirtschaft zufolge bilden die Preise eine Kurzschrift, die es ermöglicht, alle nötigen Informationen schnell und effizient zu kommunizieren.

Mittlerweile breitet sich die Einsicht aus, dass Preise unterkomplexe Informationskonzentrate sind. Wer die Aktivitäten von Betrieben und Organisationen evaluieren will, wird stärker qualitative Indikatoren einbeziehen müssen. Zurzeit existieren bspw. das MIPS (Material-Intensität pro Serviceeinheit), der DGB-Index "gute Arbeit" oder der Human-Development-Index.

Bereits gegenwärtig entsteht quer zur Bepreisung eine Informationsinfrastruktur der Produktlinienanalysen, Technikfolgenabschätzungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen. Sie vergegenwärtigen die mit den Arbeiten und Arbeitsprodukten verbundenen Effekte, Voraussetzungen und Rückkoppelungen.

Darauf können "Konzepte eines 'nicht-finanziellen' oder sozial-ökologischen Rechnungswesens" oder "mehrdimensionale Erfolgskonzepte" aufbauen (Pfriem 2011, 188).

Sie bilden ein viertes Moment der alternativen Vergesellschaftung. Gemeinwohlbilanzen stellen ein Beispiel dafür dar. Es gilt, nicht allein die Effizienz des Betriebs oder der Organisation zu bilanzieren, sondern auch ihren Beitrag zum guten Leben zu vergegenwärtigen.

Erforderlich wird ein "stofflich-vieldimensionaler Wertbegriff" im Unterschied zur Maxime "Wert ist, was Geld kostet oder bringt" (Freimann 1984, 22). In der "mehrdimensionalen Wertrechnung", die auch die schwer bezifferbaren Qualitäten berücksichtigt, "kann der Grad gesellschaftlicher Wohlfahrt nur durch Abwägung […] von quantitativen und qualitativen Faktoren (Lebensstandard und Lebensqualität) bestimmt werden, muss also durch politischen Dialog entschieden werden.

Dies ist ein Nachteil hinsichtlich der modelltheoretischen Praktikabilität, entspricht jedoch in weit höherem Maße der Realität als die Reduktion ökonomischen Handelns auf monetarisierte und kommerzielle Vorgänge" (Hauchler 1985, 56). Zum Problem, Quantität und Qualität gesellschaftlich zueinander ins Verhältnis zu setzen, vgl. Creydt 2024.

Deliberative Demokratie

Allein in der öffentlichen Beratung sowie im Perspektivenwechsel zwischen den Arbeitenden, den Kunden und den von Arbeit und Konsum mittelbar Betroffenen lässt sich die volle Wirklichkeit des Arbeitens und des Konsums vergegenwärtigen.

Das macht die im emphatischen Sinne bildende Dimension der öffentlichen Erwägungen, Auseinandersetzungen und Beratungen (= Deliberation) im Rahmen einer deliberativen Demokratie aus (Vgl. Barber 1994). Sie bildet das fünfte Moment der alternativen Vergesellschaftung.

In ihr tritt die Bevölkerung in eine praktische Selbstbeurteilung oder Reflexion ein und wird damit zum "Mittler" zwischen den Bedürfnissen und der Produktion. Die Einwohnerschaft antizipiert dann die problematischen Folgen, Voraussetzungen und Implikationen z. B. der Verallgemeinerung des Autoverkehrs ("autogerechte Stadt").

Damit lässt sich die Situation überwinden, in der die Bevölkerung die abhängige Variable einer kurzschlüssigen gegenseitigen Steigerung von Produktion und Nachfrage bleibt.

In der gemeinsamen öffentlichen Erwägung und Beratschlagung über das Gemeinsame kommt es zu Auseinandersetzungen

  • zwischen Arbeitenden und Konsumenten (bspw. mit der Frage, wie viel Konsumgüter angeboten und wie viel Ressourcen aufgewendet werden für die Erhöhung der Qualität der Arbeit als Lebenszeit),
  • zwischen Produzenten und Konsumenten einerseits, von ihren mittelbaren Folgen Betroffenen andererseits, um eine Koalition der Sektoren Arbeit und Konsum zulasten von Belangen der Care-Tätigkeit (Beziehung zu Kindern, Kranken und Alten) oder der Ökologie abzuwenden,
  • zwischen Experten und Laien (bspw. mit der Frage, wie viel Spezialisierung notwendig ist, und welche Verluste an alltäglicher Urteilskraft und Kompetenz mit ihr einhergehen und wie sich dem entgegenwirken lässt).

Eine behauptete politische Oberhoheit über die Ökonomie bleibt prekär, solange letztere selbst sowohl als in der Hauptsache selbstbezüglich und eigendynamisch als auch als der Lebenswelt äußerlich (bzw. als deren nur äußere Bedingung) gilt. Wer bloß an der Regierung ist, kann die Resultate der Wirtschaft günstigenfalls auf andere Art verteilen.

Etwas anderes ist es, grundlegend zu verändern, wie sich die menschlichen Vermögen innerhalb der Arbeit, des Konsums und der sozialen Beziehungen bilden. Erst damit eröffnet sich das Feld des nachkapitalistischen Reichtums. Lothar Kühne (1985, 224) stellt zu Recht fest, dass dieser "neue Reichtum" etwas anderes ist "als die bloße Abwesenheit der alten Armut."

Das Bewusstsein vom in sich gegliederten gesellschaftlichen Ganzen

Was das Produkt oder die Dienstleistung mit dem "Kunden" im Sinne der Entwicklung seiner menschlichen Vermögen "macht", lässt sich nicht hinreichend aus dem bilateralen Verhältnis erschließen. Notwendig wird es, sich die multilateralen Beziehungen zu vergegenwärtigen.

Für die gemeinsame Beratung, Erwägung und Entscheidung sind Szenarien erforderlich, die darstellen, wie die verschiedenen Branchen bzw. gesellschaftlichen Bereiche Leistungen füreinander erbringen, wie sie voneinander und von übergreifenden Voraussetzungen abhängen, von ihnen zehren oder zu deren Reproduktion beitragen, und welche negativen bzw. positiven Rückkopplungen existieren.

Eines dieser Szenarien vergegenwärtigt, wie die Überwindung zentraler, für die kapitalistische Marktwirtschaft charakteristischer Verschwendungen es ermöglicht, den Aus- bzw. Umbau bislang vernachlässigter Bereiche zu finanzieren.

Das sechste Moment der alternativen Vergesellschaftung besteht aus solchen Szenarien. Sie vergegenwärtigen, wie die verschiedenen konkreten Qualitäten füreinander Bedingung bzw. Voraussetzung und wie sie aufeinander angewiesen sind, wie sie einander fördern oder begrenzen.

Es handelt sich um "ein neues Referenzsystem, an dem die Menschen untereinander sich neu koordinieren können, was ihnen untereinander, ohne Drittreferenz, nicht gelingt" (Priddat 2008, 69).

Diese neue Mitte zwischen den Menschen in der nachkapitalistischen Gesellschaft besteht in einer sinnvollen Vernetzung der verschiedenen Arbeiten, Gegenstände und Bereiche. Erst diese substanzielle Veränderung, nicht der bloße Regierungswechsel entzieht der Verselbstständigung der Ökonomie gegen die Bevölkerung den Boden.

In-der-Welt-Sein

Zur Gesellschaft des guten Lebens gehört ein anderes In-der-Gesellschaft-sein des Individuums. Es will nicht nur die Vorteile der Arbeitsteilung genießen und an demjenigen Reichtum teilhaben, der allein durch das direkte und indirekte Zusammenwirken vieler Akteure möglich wird (Erst daraus entsteht ein höherer Lebensstandard als in weitgehend autarken Bauernhaushalten oder lokalen Gemeinschaften mit ihren Commons).

Das Individuum will und kann in der Gesellschaft des guten Lebens aus einem anderen Grund ein gesellschaftliches Wesen sein. Ihm wird bewusst, dass die fruchtbare Auseinandersetzung mit anderen – über den Kreis enger Milieus hinaus – sowie die öffentliche Beratung, Erwägung und Gestaltung des Gemeinwesens wesentlich zur Entwicklung seiner menschlichen Vermögen beiträgt.

Auch das gehört zur erforderlichen Transformation der kognitiven und normativen Selbstverständlichkeiten im Rahmen einer alternativen Vergesellschaftung.

Gemeinsinn

Die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion werden daraufhin durchleuchtet, wie Menschen gesellschaftlich durch viele Vermittlungen hindurch die menschlichen Vermögen und die Subjektivität "produzieren". Sie tun dies

  • indem sie bestimmte Güter mit bestimmten Aufforderungs- und Ermöglichungsgehalten herstellen,
  • indem im Arbeiten selbst sich eine bestimmte Subjektivität entwickelt,
  • indem mit der Art und Weise des Wirtschaftens bestimmte Sozialbeziehungen eingehen, die ihre Auswirkungen auch auf das sog. Privatleben haben.

Die Gesellschaft des guten Lebens überwindet eine Selbst- und Weltsicht, in der die einzelnen Personen die Gesellschaft als Aushandlungsmarathon verstehen zwischen ihren Interessen oder zwischen ihren Sonderbelangen als Angehörige spezieller Gruppen.

Im Unterschied dazu geht es in der Gesellschaft des guten Lebens um denjenigen Bezug der Menschen zueinander in ihrer alltäglichen Praxis, der folgender Frage nachgeht: Wie tun sie direkt und indirekt etwas füreinander, indem sie zur Bildung der menschlichen Vermögen beitragen? Wie können sie sich beteiligen an diesem "allgemeinen Werk, das sich durch das Tun Aller und jeder als ihre Einheit […] erzeugt" (Hegel 3, 325)?

Der neue Reichtum der alternativen Vergesellschaftung findet sich im Mit- und Füreinander, der gegenseitigen Herausforderung und Anregung, dem Zusammenspiel und der Synergie der verschiedenen "Lebenstätigkeiten" (Marx) – dem Arbeiten, den Care-Tätigkeiten, der Entfaltung von Sinnen an Gegenständen außerhalb der Arbeit, dem Konsum, den Sozialbeziehungen sowie der Gestaltung der Gesellschaft durch die Bevölkerung.

Angesichts der Vernetzung und des Gefüges dieser Momente erscheinen das Privatinteresse und die betriebswirtschaftliche Effizienz als selektive und partikulare Perspektiven. Außerhalb dieser Vernetzung und dieses Gefüges zu denken heißt, schlecht abstrakt denken. Ein solches Denken verhält sich wie die Theorie zur Praxis:

Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören.

Hegel 20, 331