Sudan vor dem Umsturz?
Demonstranten belagern Sitz des Präsidenten und der Armeeführung
Im Sudan haben sich die Proteste gegen die starke Abwertung der Landeswährung und die ebenfalls vom Weltwährungsfonds empfohlene Kürzung der Subventionen für Lebensmittel und Elektrizität am Wochenende zu einer Belagerung des Gebäudekomplexes gesteigert, in dem sich unter anderem der Präsidentensitz und das Hauptquartier der Armeeführung befindet.
Die Belagerer fordern den Rücktritt des seit 1989 amtierenden Präsidenten Omar al-Baschir und die Armee in Sprechchören dazu auf, sich auf ihre Seite zu stellen. Bislang versuchte die Staatsführung, die Proteste nur durch Polizeieinsätze unter Kontrolle zu halten. Dabei gab es allerdings seit Beginn der Demonstrationen im Dezember mehrere Todesopfer - sowohl unter den Demonstranten als auch unter der Polizei. Die sudanesische Staatsführung spricht von insgesamt 32, die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch von mindestens 51 und die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen sogar von über 60.
Präsident tauschte Regierung aus
Obwohl al-Baschir der sudanesischen Verfassung nach eigentlich nicht mehr zur Wahl antreten dürfte, nominierte ihn seine Partei al-Mu'tamar al-Watani im letzten Jahr erneut. Am 22. Februar verkündete er angesichts der Proteste, er werde diese Nominierung nicht wahrnehmen und erklärte gleichzeitig den Ausnahmezustand. Außerdem ernannte er seinen designierten Nachfolger Mohamed Tahir Ayala zum neuen Ministerpräsidenten und Verteidigungsminister Awad Mohamed Ahmed Ibn Auf zu seinem Vizepräsidenten. Sein Nachfolger als Vorsitzender der al-Mu'tamar al-Watani wurde Ahmed Haroun.
Harun (der kein Araber, sondern ein Maba ist) wird - ebenso wie al-Baschir selbst - vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen im Darfur-Konflikt gesucht (vgl. Darfur - Ethnographie und Geschichte eines Konflikts). Dort hatte die sudanesische Regierung in den Nullerjahren Nomadenmilizen mit Waffen ausgestattet und mit der Bekämpfung von Aufständischen beauftragt.
Eine der Rebellengruppen - das von Zaghawa dominierte "Justice and Equality Movement" (JEM) - drang 2008 bis in die unmittelbare Nähe der Hauptstadt Khartum vor, wurde aber zurückgeschlagen. Unterstützt wurde das JEM mutmaßlich vom Bidayat-Zaghawa Idriss Déby, dem Präsidenten des Tschad, den der sudanesische Präsident kurz vorher mit von ihm unterstützten Aufständischen entmachten wollte (vgl. Sudan: Zaghawa-Rebellen vor der Hauptstadt).
Abgesehen vom Tschad begrenzte Interessen anderer Mächte
Inwieweit Déby und die Zaghawa in die aktuelle Protestbewegung involviert sind, ist unklar. Dagegen spricht, dass die Proteste bislang vor allem in der Hauptstadt Karthoum und im mit ihr zusammengewachsenen Omdurman stattfanden, wo Araber dominieren. Dafür, dass al-Baschir aber zumindest befürchtet, die Zaghawa und andere Volksgruppen könnten die Gelegenheit nutzen, spricht, dass er alle Provinzregierungen auflöste. Außerdem ließ er 32 Studenten aus Darfur festnehmen, die angeblich gestanden, vom israelischen Geheimdienst Mossad für Sabotageakte angeworben worden zu sein.
Dass das der Fall ist, ist nicht nur wegen der in solchen Fällen gängigen Verhörmethoden und der Sündenbockrolle von Juden in den Weltbildern von Islamisten zweifelhaft: Der wenig entwickelte und relativ weit entfernte Sudan ist weder eine militärische Bedrohung für Israel, noch ist al-Baschir ein Verbündeter des Iran. Auch die Interessen anderer Mächte (abgesehen vom Tschad) halten sich in Grenzen:
Die wichtigen Ölquellen befinden sich großteils im 2011 abgespaltenen Südsudan (auf den seitdem nicht nur die Chinesen ihr Engagement konzentrieren) - und sonst produziert das südlich von Ägypten gelegene Saharagebiet außer vielen Geburten wenig. Die Bevölkerung wächst jährlich um 2,4 Prozent, das Durchschnittsalter liegt bei lediglich 18,9 Jahren. Dagegen sank das Bruttoinlandsprodukt zwischen 2017 und 2018 von 58,24 auf 41,68 Milliarden US-Dollar. Pro Kopf gerechnet verringerte es sich sogar von 1428,03 auf 992,65 Dollar. 2011 lag das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen noch bei 2308,84 Dollar.
Der nördliche Nachbar Ägypten, der den Sudan früher zusammen mit Großbritannien beherrschte, hatte zu Beginn der Proteste seinen Außenminister Sameh Shoukry nach Khartoum entsandt, der der sudanesischen Staatsführung versicherte, sie könne mit politischer Unterstützung aus Kairo rechnen. Die Türkei, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate kündigten die kostenlose Lieferung von Lebensmitteln und Treibstoff an.
Die offiziellen Reaktionen der Welt- und Regionalmächte sind bislang eher zurückhaltend: Die USA riefen die sudanesische Staatsführung bislang lediglich dazu auf, Journalisten und nicht gewalttätige festgenommene Demonstranten freizulassen, drohten aber kein militärisches Eingreifen an. Ähnlich äußerte sich die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien.
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